Sven Giegold

taz.lab-Debatte mit Wagenknecht und Flassbeck zur Eurorettung

Eurokrise: Gefährlicher Alptraum

Von Axel Pietras

„Wir bekommen eine Stagnation der japanischen Art. Aber den Europäern fehlt die Geduld der Japaner.“

Martin Hellwig, Volkswirt und Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeingütern gibt diese düstere Prognose der europäischen Entwicklung in den nächsten zehn Jahren ab. Das Auditorium ist voll besetzt, als Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold und dem Volkswirt Martin Hellwig über die Zukunft des Euro diskutiert. Moderatorin Ulrike Herrmann will wissen ob es richtig war, die Banken zu retten. Die Positionen sind klar: Sahra Wagenknecht lehnt dies als unsozial und falsch ab und stellt den Euro in seiner derzeitigen Konstruktion ganz infrage.

„Die Linke bedient antieuropäische Positionen“ sagt Sven Giegold und differenziert, dass die Rettung nicht richtig aber notwendig war. „Das weltweite Finanzsystem wäre zusammengebrochen und hätte Europa mit in den Abgrund gerissen.“ Für Martin Hellwig läuft die Diskussion etwas undifferenziert. Er will die einzelnen Akteure in der ihnen zukommenden Verantwortung sehen: „Marktwirtschaft heißt Haftung. Ich muss für alle Konsequenzen einstehen.“ Daher wären aus seiner Sicht Direkthilfen besser gewesen, allerdings bei voller Haftung. Sahra Wagenknecht drückt es kämpferischer aus: „Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Diejenigen, die dieses Gut zur Erpressung der Allgemeinheit missbraucht haben, müssen sich verantworten.“ Applaus im Publikum.

In der Frage nach der Zukunft des Euro sind sich Giegold und Hellwig im wesentlichen einig, dass es im Moment keine vernünftige Alternative gibt. „Das heißt weiter durchwuschteln bis man in stabilere Verhältnisse kommt“ fasst Ulrike Herrmann zusammen. Für Sahra Wagenknecht kann eine gemeinsame Währung nur ohne Dumpingwettbewerb bei Löhnen und mit einem regulierten Arbeitsmarkt funktionieren. „Die Agenda 2010 war der vehementeste Anschlag auf den Euro. Ich will kein Europa der Dumpinglöhne.“ Deshalb plädiert sie für die Möglichkeit, dass einzelne Länder den Euro verlassen können, damit die Möglichkeit besteht, sich dem ruinösen Wettbewerb durch Währungsabwertung zu entziehen. Dem widersprach Giegold, indem er die Gefahr von Kapitalflucht und Chaos vor Augen führte.

Welche Schlüsse sollen aus den Krisen seit 2008 gezogen werden? Für Sahra Wagenknecht stellt sich die Frage von Armut und Reichtum. Sie ist sich mit Martin Hellwig darüber einig, dass die zunehmende Verschuldung von Staat, Banken und Privaten die eigentliche Gefahr darstellt. Sie geht aber noch weiter und wird grundsätzlich: „Schuldenwachstum und Vermögenswachstum gehören zusammen. Aus der Vermögensblase muss die Luft raus. Die Vermögen der Reichen sind explodiert während die mittleren Schichten enteignet werden. Deshalb sind Vermögenssteuer oder Schuldenschnitte sinnvoll, bei denen die oberen ein Prozent der Vermögen gezielt zur Kasse gebeten werden.“

Foto: Wolfgang Borrs

 

Linker Zwist über Euro-Rettung

„An die Wand gefahren“

Die Frage, ob der Euro zu retten ist, spaltet die Linke. Nun werfen sich der Grüne Giegold, die Linke Wagenknecht und der Ökonom Flassbeck Ahnungslosigkeit vor.

BERLIN taz | Wie weiter mit dem Euro? Diese Frage entzweit linke Politiker und Wissenschaftler. Der Streit schwelt schon länger, aber seit etwa einer Woche ist er offen ausgebrochen.

Den Anfang machte der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, der auf Zeit.de eine Frontalattacke gegen die linke Bundestagsabgeordnete Sahra Wagenknecht platzierte: Sie würde „den Knecht der AfD“ spielen und „rechtspopulistischen Euro-Totengräbern“ hinterherlaufen.

Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten – kam aber nicht von Wagenknecht, sondern von Heiner Flassbeck, einst Chefökonom der UN-Organisation Unctad und jetzt Betreiber eines Blogs, der in linken Kreisen breit rezipiert wird. Am Montag ließ Flassbeck dort wissen, Giegold habe ein „schlimmes Stück“ geschrieben und würde die „erhebliche Mitschuld“ leugnen, die die Grünen an der Eurokrise hätten.

Um Flassbeck kurz zusammenzufassen: Seit der Euroeinführung betreibt Deutschland Lohndumping, indem es seine Reallöhne senkt – was nun dazu führt, dass die anderen Euroländer nicht mehr mit Deutschland konkurrieren können. Dieses fatale Lohndumping begann aber genau unter Rot-Grün, etwa mit der Agenda 2010 und den Hartz-Reformen. Flassbeck über Giegold: „Er hat all das nicht verstanden oder will es einfach nicht verstehen.“

„Popanz aufgebaut“

Giegold findet diese Kritik ungerecht: „Flassbeck baut einen Popanz auf.“ Er habe das deutsche Lohndumping angesprochen, „aber das war nicht das Hauptthema meines Textes“. Giegold wollte den „linken Fehler der Renationalisierung“ anprangern. Denn Wagenknecht und Flassbeck plädieren dafür, dass die Krisenländer den Euro verlassen, wenn sich die Politik in Brüssel und in Deutschland nicht bald radikal ändert.

Dieses „unbedachte Gerede“ von einem Euroausstieg hält Giegold für verheerend: „Wer investiert denn noch in Griechenland, wenn er mit den unkalkulierbaren Risiken einer Währungsumstellung von Euro auf Drachme rechnen muss?“

Auch bezweifelt Giegold, dass es den Krisenländern ohne Euro besser ginge, denn die eigene Währung würde stark abgewertet, so dass sich Importe, etwa von Öl, extrem verteuerten: „Nur noch Besserverdienende und Vermögende könnten ihr Haus heizen.“ Wagenknecht und Flassbeck leugnen gar nicht, dass es für die Krisenländer eine extreme Härte bedeuten würde, den Euro zu verlassen. Aber sie sehen keine Alternative, wenn Deutschland bei seinem Lohndumping bleibt. Die Krisenländer würden „an die Wand gefahren“.

Das Kapital haut ab

Wagenknecht und Flassbeck glauben, dass der Euroaustritt einzelner Krisenländer beherrschbar wäre – wenn man Kapitalverkehrskontrollen einführte. Giegold hält diese Hoffnung für abwegig: Es würde eine „Kapitalflucht unvorstellbaren Ausmaßes“ einsetzen. „Da würden auch die Kapitalverkehrskontrollen von Frau Wagenknecht nicht helfen. Denn bis diese greifen würden, gäbe es längst kein Kapital in den Krisenländern mehr, das sich kontrollieren ließe.“

Giegold plädiert dafür, die Krisenländer zu entschulden, indem man die Steuerflucht bekämpft. „Allein in Europa gehen jährlich 1.000 Milliarden Euro verloren, weil Steuern hinterzogen werden.“ Auch Flassbeck ist für höhere Steuern. Nur bleibt er dabei: Deutschlands Lohndumping ist das größte Problem, weil es nicht nur die Krisenländer aus dem Euro drängt – sondern auch Frankreich.

Bei allem Streit gibt es aber eine Gemeinsamkeit zwischen Giegold, Flassbeck und Wagenknecht: Sie sind alarmiert oder gar verzweifelt. Die meisten Deutschen glauben, die Eurokrise sei unter Kontrolle, doch diese drei fürchten, dass das Schlimmste noch kommt.

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