Sven Giegold

Durchbruch für mehr Transparenz in den Agenturen der Europäischen Union

Liebe Freundinnen und Freunde,

liebe Interessierte,

das bedeutet einen Durchbruch für mehr Transparenz: Auf meine Nachfrage hin verpflichtete sich gestern Fausto Parente, Exekutivdirektor der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA, dass seine Behörde in Zukunft ihre zentralen Entscheidungsprozesse transparenter machen wird. Insbesondere wird sie bei Entscheidungen mit Relevanz für den europäischen Gesetzgebungsprozess künftig offenlegen, wie die Vertreter der einzelnen Mitgliedstaaten abgestimmt haben. Bisher erfuhr die Öffentlichkeit nicht, welche Länder bestimmte Beschlüsse mitgetragen oder blockiert hatten. Vorausgegangen war ein Verfahren der Europäischen Ombudsfrau, die bei EIOPA genau diese Transparenz angemahnt hatte. EIOPAs Entscheidung wird weit über die Behörde hinausstrahlen. Es ist an den anderen europäischen Agenturen, nun nachzuziehen und ebenfalls entsprechende Transparenzregeln einzuführen. Ein Video meiner Frage an Fausto Parente findet sich hier.

Den Stein ins Rollen gebracht haben Journalisten des Online-Portals MLex. Nachdem im Juli 2020 EIOPAs Rat der Aufseher die Zustimmung zu einem wichtigen Regelungstext verweigert hatte und damit die gesetzlich vorgesehene Implementierung der sogenannten PRIIPs-Regulierung blockierte, forderten die Journalisten von EIOPA die Offenlegung der Abstimmungdetails. Der Rat der Aufseher, das oberste Entscheidungsgremium der Behörde, setzt sich aus Vertreter*innen der europäischen Mitgliedstaaten zusammen. Wer also stand hier auf der Bremse? Grundsätzlich sind EU-Institutionen verpflichtet, sämtliche von Bürger*innen angefragten Dokumente zu veröffentlichen, wenn nicht gewichtige Gründe dagegen sprechen. Auf genau solche berief sich EIOPA jedoch in diesem Fall und verweigerte den Journalisten die Auskunft. Doch die Journalisten ließen nicht locker und brachten den Fall vor die Europäische Ombudsfrau, die im September 2020 ein Verfahren eröffnete.

Die vorläufige Einschätzung der Ombudsfrau, die sie im Januar EIOPA mitteilte, ist eindeutig: Das Abstimmungsverhalten der EU-Mitgliedstaaten im Rat der Aufseher habe direkten Einfluss auf EU-Gesetzgebung. Eine Veröffentlichung sei deshalb zur Stärkung des demokratischen Wesens der EU geboten, um eine Überprüfung durch die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Es gehe um die Rechenschaftspflicht des demokratischen Systems gegenüber seinen Bürger*innen. Die von EIOPA vorgebrachten Schutzbedürfnisse seien entweder nicht nachvollziehbar oder wögen weniger schwer als das öffentliche Interesse an den Informationen.

Es ist begrüßenswert, dass EIOPA diesen Forderungen nun nachkommt. Wie Fausto Parente bei seiner gestrigen Anhörung vor dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments erstmals erklärte, habe die Behörde bereits im März eine entsprechende Änderung ihrer Geschäftsordnung beschlossen. In Zukunft werde sie das Abstimmungsverhalten der Vertreter der Mitgliedsländer veröffentlichen, wann immer es um Entscheidungen mit gesetzgeberischen Bezug geht.

Dies verweist zugleich auf eine Schwäche der gestrigen Ankündigung von EIOPA. Auch bei Entscheidungen der Agenturen ohne Gesetzgebungsbezug besteht oft ein erhebliches öffentliches Interesse am Abstimmungsverhalten der Mitgliedstaaten. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Agenturen mögliche Europarechtsverstöße durch nationale Behörden untersuchen. In einem konkreten Fall hatte die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA im Jahr 2019 ein solches Verfahren gegen die dänischen und estnischen Aufsichtsbehörden im Zusammenhang mit dem Geldwäscheskandal bei der Danske Bank unverständlicherweise eingestellt. Auch hier forderten die Journalisten von MLex Einsicht in das Abstimmungsverhalten im Rat der Aufseher und wurden bisher abgewiesen. Es ist nicht einzusehen, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Transparenz bei der Rechtsdurchsetzung ist ebenso wichtig wie Transparenz bei der Gesetzgebung. EIOPA sollte deshalb von der geplanten Einschränkung absehen und eine generelle Abstimmungstransparenz einführen.

Entscheidend ist, dass die anderen rund 40 europäischen Agenturen nun nachziehen. Während manche bereits heute größere Transparenz praktizieren, etwa die Europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA, sind andere völlig intransparent. Alle Agenturen sollten sich überlegen, inwiefern die Befunde der Ombudsfrau auch auf ihre Entscheidungsprozesse zutreffen, und ihre Verfahren entsprechend anpassen. Ich werde alle Agenturen anschreiben und dies von ihnen einfordern.

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

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Meine Frage an Fausto Parente bei seiner Anhörung vor dem ECON-Ausschuss am 14. März 2020: https://multimedia.europarl.europa.eu/de/committee-on-economic-and-monetary-affairs_20210414-1345-COMMITTEE-ECON_vd?start=20210414133255&end=20210414133908 

Die vorläufige Einschätzung der Europäischen Ombudsfrau vom 28. Januar 2021: https://www.ombudsman.europa.eu/de/correspondence/en/137470#_ftn2 

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Übrigens: Gemäß der Europäischen Verträge und der Verordnung EG 1049/2001 haben die Bürger*innen Europas ein Anrecht auf den öffentlichen Zugang zu Dokumenten der EU-Institutionen.

Anfragen kann jeder ganz einfach selbst stellen über die folgende Plattform: https://www.asktheeu.org/de 

Eine (englischsprachige) Anleitung, wie man von seinem Recht auf Transparenz Gebrauch macht, findet sich hier: https://www.greens-efa.eu/en/article/news/everyone-has-a-right-to-access-eu-information-you-just-have-to-know-how 

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Rubrik: Wirtschaft & Währung

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