Sven Giegold

TTIP-Resolution von 375 NGOs für eine Position des Europaparlaments, die Menschen, Umwelt und Demokratie über kurzfristiges Profitstreben und unverhältnismäßige Konzernrechte stellt

Für eine TTIP Resolution, die Menschen, Umwelt und Demokratie über kurzfristiges Profitstreben und
unverhältnismäßige Konzernrechte stellt

Liebe(r) Abgeordnete(r) des Europa-Parlaments,

Im Zusammenhang mit der laufenden Arbeit des Europäischen Parlaments zu einer Resolution über die
Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP (auch als transatlantisches
Freihandelsabkommen oder TAFTA bekannt), schreiben wir Ihnen als ein EU-weites Bündnis von 375
Organisationen der Zivilgesellschaft, die eine tiefe Sorge über die vielfältigen Bedrohungen durch das
Abkommen teilen.

Wir vertreten eine Vielzahl von Interessen der Öffentlichkeit, unter anderem in den Bereichen Umweltschutz,
Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Verbraucher_Innenschutz, Schutz von Lebensmittel- und
Landwirtschaftsstandards, Tierwohl, soziale Standards, Arbeitsschutz, Arbeitnehmer_Innenrechte,
Entwicklung, Zugang zu Informationen, digitale Rechte, grundlegende öffentliche Dienstleistungen
einschließlich Bildung, Stabilität der Finanzsysteme und weitere.

Wir begrüßen die Tatsache, dass das Europäische Parlament sich seinen Standpunkt zu TTIP bilden will sowie
die Rolle, die das Parlament in der Organisation der öffentlichen demokratischen Debatte in dieser Frage spielt.
Wir appellieren an alle Mitglieder des Europäischen Parlaments, sich auf eine starke Resolution zu
verständigen, die deutlich macht, dass das Europäische Parlament alle zukünftigen Handels- und
Investitionsabkommen ablehnt, die nicht im öffentlichen Interesse sind, sondern stattdessen wichtige, in
langen demokratischen Kämpfen erworbene Rechte in der EU, den USA und dem Rest der Welt
bedrohen.

Dazu möchten wir Ihnen unsere wichtigsten Forderungen an die TTIP Verhandlungen darlegen, die wir mit
unseren Kooperationspartnern in den USA entwickelt haben und die erstmalig in einer gemeinsamen Erklärung
der Zivilgesellschaft im Mai 2014 veröffentlicht wurden1:

1) Sofortige Transparenz: Die Verhandlungstexte der EU-Kommission und alle anderen
Verhandlungsdokumente (inklusive gemeinsamer Entwürfe von EU und USA) müssen veröffentlicht
werden, damit eine offene und kritische öffentliche Debatte über das TTIP-Abkommen möglich ist.

2) Einen demokratischen Prozess einschließlich einer genauen Untersuchung und Beurteilung der
Verhandlungstexte, durch den sichergestellt wird, dass die Verhandlungen dem öffentlichen Interesse
dienen. Der Prozess muss das EU-Parlament, Debatten in nationalen Parlamenten, zivilgesellschaftlichen
Organisationen, Gewerkschaften und Interessengruppen einschließen.

3) Keine Investor-Staat Schiedsgerichtsbarkeit: Alle Bestimmungen, zum so genannten Investor-State
Dispute Settlement (ISDS) müssen dauerhaft aus den Verhandlungen herausgenommen werden. Es darf
kein anderer Mechanismus eingeführt werden, der Investor_Innen Sonderrechte einräumt (auch nicht
indirekt durch bereits bestehende oder zukünftige Handelsabkommen).

4) Kein Rat für regulatorische Zusammenarbeit: Jedwede Regulierung hat ausschließlich durch
demokratisch kontrollierte Gremien und auf Grund demokratischer Verfahren zu erfolgen.

5) Keine Deregulierung von Standards, die das öffentliche Interesse wahren und ihm dienen: EUStandards müssen respektiert und nicht durch „Harmonisierung” nach unten auf den kleinsten
gemeinsamen Nenner reduziert werden. Das betrifft Sozial- und Arbeitsstandards, Verbraucher_Innen-,
Gesundheits-, Umweltschutzstandards einschließlich der Regeneration natürlicher Ressourcen, Tierschutz,
Standards zur Lebensmittelsicherheit, umweltverträgliche landwirtschaftliche Verfahren, Zugang zu
Informationen, Kennzeichnung, Kultur und Medizin, die Regulierung der Finanzmärkte, Datenschutz,
Netzneutralität und andere digitale Rechte. Eine gegenseitige Anerkennung ist nicht angemessen, weil sie
die auf demokratische Weise vereinbarten Standards und Schutzmaßnahmen unterminiert. Das
Vorsorgeprinzip muss umfassend angewandt werden.

6) Keine weitere Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Wir fordern
garantierten Zugang zu hochwertiger Bildung, Gesundheitsvorsorge und anderen öffentlichen
Dienstleistungen sowie ein öffentliches Beschaffungswesen, das lokale Beschäftigung, Wirtschaft und
Produktion, positive Diskriminierung, soziales Unternehmertum und nachhaltiges Wirtschaften fördert und
dem öffentlichen Interesse dient.

7) Förderung menschenwürdiger und umweltverträglicher landwirtschaftlicher Praktiken und Schutz kleinbäuerlicher Betriebe.

8) Öffentliche Institutionen müssen weiterhin über die politische Macht und die notwendigen Strukturen verfügen, um bestimmte sensible Sektoren zu schützen und Standards zu bewahren, die für unsere
Lebensqualität wichtig sind. International vereinbarte Arbeits- und Umweltstandards müssen eingehalten
und durchgesetzt werden. Die dauerhafte Verletzung von Arbeitsstandards sollte zur Verhängung von
Geldstrafen führen.

9) Keine Beschränkungen der internationalen und europäischen Menschenrechtsstandards.

Die wenigen Informationen, die über die TTIP-Verhandlungen veröffentlicht wurden – oder durchgesickert sind
–, werfen erhebliche Bedenken auf, dass unsere Forderungen sich nicht in der Vorgehensweise widerspiegeln,
die von der die EU verfolgt wird. Zum Beispiel:

• Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, ohne umfassende und effektive Beteiligung
der Öffentlichkeit. Der Mangel an Transparenz und demokratischen Verfahren macht es den
Bürger_Innen und der Zivilgesellschaft unmöglich, die Verhandlungen zu beobachten, um sicherzustellen,
dass das öffentliche Interesse gewahrt bleibt. Lobbygruppen der Wirtschaft erhalten privilegierten Zugang
zu Informationen und können Einfluss auf die Verhandlungen nehmen.

Das vorgeschlagene Kapitel zum Schutz von Investitionen, besonders die Bestimmungen zum “Investor-
State Dispute Settlement” (ISDS) räumen Investor_Innen ein Sonderklagerecht gegen Staaten ein, wenn
demokratische Entscheidungen – von öffentlichen Institutionen im öffentlichen Interesse vorgenommen –
angeblich negative Auswirkungen auf erwartete Konzernprofite haben. Diese Mechanismen beruhen auf
Entscheidungen außerhalb der nationalen Gerichte. Sie unterminieren damit unsere nationalen
Rechtssysteme und das der EU sowie unsere demokratischen Strukturen zur Gesetzgebung und zu einer
Politik im öffentlichen Interesse.

Die Schaffung von neuen, antidemokratischen Governancestrukturen und -verfahren, die – wie der
vorgeschlagene Regulierungsrat – „Regulierungen harmonisieren“ sollen, würden TTIP und andere
Abkommen zu ‘lebenden’ Abkommen machen („living agreements“), die ständig im Geheimen von nicht
gewählten Bürokrat_Innen und Vertreter_Innen des Big Business weiter entwickelt würden. Diese
undemokratischen Strukturen drohen wichtige Standards und Regeln zum Schutz öffentlicher Interessen
abzusenken oder sie verbieten zukünftige Verbesserungen, unabhängig davon, ob sie notwendig sind oder
es ein öffentliches Mandat dafür gibt.

• Erkenntnisse aus Lobbydokumenten der Wirtschaft und Industrie offenbaren, dass der Fokus auf
nichttarifäre Handelshemmnisse und regulatorische Konvergenz genutzt wird, um Deregulierung,
vermehrte Investitionsgarantien, verstärkte Monopolbildung an geistigen Eigentumsrechten und
letztlich einen Unterbietungswettlauf voranzutreiben.

Wir fordern Sie auf, ein klares und starkes Signal an die Verhandlungsführer_Innen zu senden, dass das
Europäische Parlament TTIP und andere gleichartige Handels- und Investitionsabkommen ablehnen wird
(so z.B. das EU-Kanada Abkommen CETA), weil sie nicht dem öffentlichen Interesse dienen und weil sie
fundamentale Grund- und Freiheitsrechte bedrohen, die in langen demokratischen Kämpfen errungen wurden.