Sven Giegold

Gemischtes Urteil zu Steuervergünstigungen für Amazon und Engie: Recht hinkt Realität hinterher

12. Mai 2021. Soeben hat das EU-Gericht sein Urteil zu Steuervergünstigungen für Amazon und den französischen Energiekonzern Engie bekanntgegeben. Die beiden Konzerne hatten geklagt, nachdem Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager 2017 angeordnet hatte, dass Luxemburg 250 Millionen € Steuern von Amazon eintreiben müsse. Der Grund: Das Unternehmen habe zwischen 2006 und 2014 wettbewerbswidrige steuerliche Staatsbeihilfen genossen, die andere Unternehmen nicht bekamen. Diese Vorteile basierten auf einem luxemburgischen Steuervorbescheid von 2003, der es Amazon erlaubt haben soll, über diesen Zeitraum auf ca. drei Viertel seiner Gewinne in Europa keine Steuern zu zahlen. 2018 forderte die Kommission das Großherzogtum dazu auf, 120 Millionen € Steuern von Engie einzufordern. In diesem Fall geht es um zwei Steuervorbescheide (“tax rulings”) aus den Jahren 2008 und 2010, die es Engie erlaubt haben sollen, seine zu zahlenden Steuern etwa 10 Jahre lang künstlich zu senken. 
In seinem Urteil stellt das Gericht einen unzulässigen steuerlichen Vorteil für Engie fest, nicht aber für Amazon. Im Fall von Engie befindet das Gericht, dass der Konzern auf Grund der Nichtanwendung einer Vorschrift gegen Rechtsmissbrauch in den angefochtenen Steuervorbescheiden steuerlich begünstigt wurde. Im Fall von Amazon urteilt das Gericht, die Kommission habe mit ihrer Methodik nicht hinreichend nachgewiesen, dass ein selektiver Vorteil vorlag und dass dieser Vorteil daher Unternehmen in einer ähnlichen Situation nicht gewährt worden wäre. Dies zeigt erneut, wie schwer es ist, Verrechnungspreismethoden vor Gericht zu bekämpfen. Amazons Steuervorteile basieren laut der Kommission auf der übermäßigen Zahlung von konzerninternen Lizenzgebühren, die vor Steuern geschützt sind. Das ermöglicht die Verschiebung von Gewinnen hin zu Tochtergesellschaften, in der keine Steuern fällig werden. So werden Gewinne konzernintern “verrechnet” und damit auf auf dem Papier (der Steuererklärung) verringert. Im Kern geht es der EU-Kommission um eine Verletzung des sogenannten „Fremdvergleichsgrundsatzes“. Im Bezug auf Steuern soll dieser Grundsatz sicherstellen, dass Transaktionen zwischen Tochtergesellschaften auf realistischen Preisen basieren. Realistisch bedeutet hier, dass ein anderes Unternehmen, was nicht Teil des Konzerns ist, einen ähnlichen Preis zahlen würde. Dieser Argumentation ist das Gericht nicht gefolgt. 

Die Parteien können vor dem Europäischen Gerichtshof Einspruch gegen das Urteil des EU-Gerichts einlegen. 

Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, erklärt:

“Unser bestehendes Recht reicht nicht aus, um Steuergerechtigkeit durchzusetzen. Die konsequenten rechtlichen Schritte der Kommission sind richtig und wichtig. Einzelne Beihilfeentscheidungen ersetzen aber keine europäischen Steuergesetze. Wir brauchen strengere Wettbewerbsregeln, die staatlichen Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen enge Grenzen setzen. Wir brauchen endlich faire Steuerregeln in Europa. Wir können uns angesichts leerer Kassen nicht mehr leisten, dass europäische Nachbarn sich ungestraft die Steuereinnahmen abgraben können. Während die öffentliche Hand Milliarden Euro an Steuereinnahmen verliert, profitieren die großen Konzerne. Neben dem Gemeinwohl leiden die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die sich solcher Steuertricks nicht bedienen können. Hier geht es um eine anhaltende und schwerwiegende Verzerrung des Binnenmarkts. Wenn dies vorliegt, kann und muss die Kommission Artikel 116 AEUV anwenden, um die nötigen Steuergesetze mit einer qualifizierten Mehrheit der Mitgliedstaaten beschließen zu können. Das Einstimmigkeitsprinzip in Steuerfragen darf nicht dazu führen, dass die Steueroasen in der EU jeglichen Fortschritt verhindern. 

Joe Biden hat vor kurzem einen ambitionierten Vorschlag für einen effektiven Mindeststeuersatz von 21% auf multinationale Unternehmen vorgelegt. Solch ein Mindeststeuersatz würde es Deutschland und allen anderen geschädigten Ländern künftig erlauben, die entgangenen Steuereinnahmen von Amazon zurückzufordern. Damit wäre Luxemburg das Steueroasen-Handwerk gelegt. Joe Bidens ambitionierter Vorschlag hat daher alle Unterstützung verdient. Gleichzeitig muss die öffentliche länderbezogene Steuerberichterstattung endlich kommen. Dann müssen Großkonzerne ihre Gewinne und gezahlten Steuern pro Land offenlegen. Damit wird für jeden überprüfbar, ob Amazon und Co. ihren gerechten Beitrag zur Allgemeinheit leisten.” 

Mein Gastbeitrag zu Joe Bidens Vorschlag: https://sven-giegold.de/steuerdumping-biden-verdient-volle-unterstuetzung/ 

Pressemitteilung des EU-Gerichts zu Amazon: “No selective advantage in favour of a Luxembourg subsidiary of the Amazon group: the General Court annuls the Commission’s decision declaring the aid incompatible with the internal market” https://curia.europa.eu/jcms/jcms/p1_3519455/en/ 

Pressemitteilung des EU-Gerichts zu Engie: “Tax rulings granted by Luxembourg to companies in the Engie group: the General Court finds the existence of a tax advantage” https://curia.europa.eu/jcms/jcms/p1_3519448/en/


P.S.: Eil-Petition: “Rettet den Europäischen Green Deal” – Das Jahrhundertprojekt des Green Deals droht zu scheitern. Denn EU-Staaten und allen voran die deutsche Bundesregierung blockieren jede Ambition beim Klimaschutz. Aber noch haben wir gemeinsam die Chance den Green Deal zu retten. Helft mit Eurer Unterschrift und ladet andere dazu ein: www.change.org/save-the-green-deal

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