Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Interessierte,
mit einem politischen Kniff will Energieministerin Katharina Reiche den Boom von Solar- und Windenergie in Bürgerhand ausbremsen. Ihr Vorschlag: Erneuerbare Energien sollen künftig für den Ausbau der Stromnetze zahlen – während Kohle und Gas das Netz weiterhin kostenlos nutzen dürfen.
Diese Regelung würde gezielt Unsicherheit schaffen und Investitionen in Bürgerenergie ausbremsen. Auch Investitionen kleinerer Unternehmen würden entmutigt. Was zunächst vielleicht sogar „nur gerecht“ klingt, ist in Wahrheit ein strategischer Eingriff: Wind- und Solarprojekte in Bürgerhand sollen ausgebremst werden, während fossile Energieträger weiterhin bevorzugt werden.
Wie in anderen Bereichen zahlen bisher beim Strom die Verbraucher:innen die Infrastruktur. Würden die erneuerbaren Energieerzeuger die Netzgebühren “selbst” zahlen, würden sie diese Kosten natürlich auf ihren Verkaufspreis draufschlagen – und wären damit automatisch teurer als fossile Erzeuger, die weiter umsonst ans Netz angeschlossen sind. Ein Wettberbsmnachteil für grüne Energie.
Denn: Kohle und Gas wurden jahrzehntelang subventioniert und durften ihre Emissionen kostenlos in die Atmosphäre kippen. Nun sollen die günstigsten Stromquellen aller Zeiten – Photovoltaik und Windkraft – zusätzlich belastet werden. Jetzt werden auch Batteriespeicher jedes Jahr erschwinglicher. Diese Entwicklungen gefährden die zentralen Geschäftsmodelle der großen Energieversorger, für die Reiche bis vor kurzem tätig war.
Dieser Angriff auf die Erneuerbaren passt aber zu Reiche, die ja auch unbedingt den Bau von 40 neuen Gaskraftwerken durchsetzen will – gegen die Einschätzung vieler Energieexpert:innen und gegen geltendes EU-Recht. Das wäre ein Geschenk für das fossile Kartell, aber ein Rückschritt für den Klimaschutz und eine zukunftsfähige Wirtschaft.
Gegen diese fossile Laufzeitverlängerung werden wir uns wehren!
Denn Reiche stellt sich immer klarer gegen die Erneuerbaren. So hat sie neulich beim BDI explizit angekündigt, dass der Business Case für die Erneuerbaren „runter“ müsse. Schon damals brachte sie Baukostenzuschüsse ins Spiel – nichts weiter als der technische Begriff für die Netzsteuern, die sie jetzt Sonne und Wind aufbrummen will.
Klar ist auch: Immer günstiger werdende Erneuerbare, gekoppelt mit rapide sinkenden Speicherpreisen, passen weder in Reiches Weltbild noch in das Geschäftsmodell der großen zentralen (fossilen) Energiekonzerne.
Auch hier ist wieder ihr Auftritt beim Bund der Deutschen Industrie verräterisch: Dort versuchte sie, sich über den Satz des Ökopioniers Franz Alt „Die Sonne schickt keine Rechnung“ lustig zu machen. Der sei ebenso simpel wie falsch.
Doch auch hier irrt Reiche: Die Sonne – und auch der Wind – schickt wirklich keine Rechnung. Die Verteilnetzbetreiber, deren Interessen Reiche lange als Lobbyistin vertreten hat, schicken allerdings immer höhere Rechnungen.
Natürlich kosten auch Solarmodule und Windräder Geld. Allerdings immer weniger. Hier haben die Geschichte und auch der Markt Franz Alt und allen anderen Energiewende-Pionierinnen und -Pionieren längst recht gegeben. Wind- und Solarenergie sind mit Abstand die günstigsten Stromerzeugungstechnologien – und sie werden jedes Jahr noch günstiger.
Natürlich müssen diese Investitionen finanziert werden. Aber wenn man es geschickt macht, braucht es dafür auch immer weniger Geld. Reiche macht aber bewusst das Gegenteil: Indem sie die Unsicherheit gerade für die Bürgerenergie erhöht, steigert sie die Risikoprämien und damit die Kapitalkosten. Damit wird jede Kilowattstunde grüner Strom teurer – auch wenn die Kosten für Solar- und Windenergie gleich bleiben beziehungsweise weiter fallen.
Gleichzeitig ist Reiches Vorschlag für die Netzkosten insgesamt ein Nullsummenspiel – und ein Ablenkungsmanöver. Denn längst ist klar: Wir brauchen nicht nur “mehr”, sondern auch ein viel effektiver genutztes Netz. Früher war Effizienz sehr schwer: Kohle und Atom produzieren am liebsten eine immer gleiche “Bandlast” von Strom, reagieren aber nur sehr träge auf Schwankungen in der Nachfrage. Diese Nachfrage war obendrein eine Unbekannte. Die Industrie schickte zwar mit 24 Stunden Vorlauf grobe “Fahrpläne” seit den 90ern per Fax, der Rest des Verbrauchs wurde aber über “Standardlastprofile” schlicht errraten. Heute ist das anders: Mit digitalen Stromzählern könnten wir eigentlich in Echtzeit wissen, wo wie viel produziert und verbraucht wird – und wo und wann die Netze „voll oder “leer” sind. Gleichzeitig können wir heute mit Batterien und anderen Speichern millisekundengenau darauf reagieren was im Netz “los” ist – und damit jeden Meter Kupferkabel viel besser ausnutzen. Aber dazu macht Reiche – natürlich – keine Vorschläge.
Für mich ist deshalb klar: Die Kostenvorteile von Wind, Sonne und Speichern müssen bei den Menschen und Unternehmen ankommen – nicht bei den Konzernen, die weiterhin auf teure Importe von Gas, Öl und Kohle setzen. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Statt Scheindebatten über Kostenverteilung brauchen wir echte Lösungen: Wie kommt günstiger grüner Strom auch günstig dahin, wo er gebraucht wird? Dafür braucht es Innovation im Stromnetz – nicht Umverteilung von unten nach oben. Dafür bieten viele innovative Unternehmen längst die Lösungen an. Jüngst konnte ich mich auf Europas größter Solarmesse, der InterSolar in München, selbst davon überzeugen. Das Stromnetz muss rasch digitalisiert werden, der Speicherboom muss netzdienlich weitergehen und die Verbraucher:innen flächendeckend Zugang zu smarten Stromzählern bekommen. Die Verteilnetzbetreiber müssen so reguliert werden, dass sie Innovationen schnell ausrollen. Die notwendigen Investitionen können wir zinsgünstig langfristig finanzieren. Dann ersparen wir uns alle unnötig hohe Kosten, statt die Erneuerbaren auszubremsen. So wird die Energiewende bezahlbar, gerecht und zukunftsfähig.
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In den nächsten Monaten wird es eine große Auseinandersetzung geben zwischen dem fossilen Kartell und der Bundesregierung auf der einen Seite und innovativen Unternehmen der Energiewende, Zivilgesellschaft und uns Grünen auf der anderen Seite. Wir beraten uns derzeit mit vielen Akteur:innen, wie wir diese Auseinandersetzung um die Energiewende in Deutschland und Europa gewinnen können. Ich halte Euch auf dem Laufenden.
Mit entschlossenen grünen Grüßen
Sven Giegold
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