Sven Giegold

ZEIT Online: Bankenunion – „Friss Vogel oder strib“

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Zeit online, 12.03.2014

BANKENUNION

„Friss Vogel oder stirb“

Wer soll zahlen, wenn künftig eine Bank in Europa pleitegeht? Die Banken, und nicht der Staat, sagt Sven Giegold von den Grünen. Aber die Bundesregierung verhindere das.

EIN INTERVIEW VON 

ZEIT ONLINE: Herr Giegold, das Parlament verhandelt derzeit mit Rat und Kommission über die so genannte Bankenunion. Was steht dabei für Europa auf dem Spiel?

Sven Giegold: Künftig sollen Banken ihre Rechnungen wieder selbst bezahlen und nicht mehr die Steuerzahler. Es geht also um die Frage: Wie trennen wir Risiken, die Banken eingehen, von den Haushalten der Staaten? Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass überall in Europa das Bankensystem wieder auf die Beine kommt, damit auch in den Krisenregionen die Arbeitslosigkeit dauerhaft sinken kann und sich Banken wieder auf ihr Kerngeschäft besinnen können, nämlich Kredite gegen Zinsen auszugeben. Dazu müssen die verdeckten Verluste aufgedeckt werden.

ZEIT ONLINE: Konkret streitet das Parlament gerade mit dem Rat über die Frage, wie Banken in Europa künftig abgewickelt werden, wenn sie in Schieflage geraten. Worum geht es im Einzelnen?

Giegold: Auf Druck von Finanzminister Wolfgang Schäuble und der Bundesregierung will der Rat, dass für die Abwicklung von Banken nicht wie in den USA eine kleine Abwicklungsbehörde zuständig ist, sondern die Mitgliedsländer der EU sollen mitreden. Damit werden die Entscheidungen langwierig und politisiert. Zweitens möchte der Rat auf Drängen der Bundesregierung, dass die Staaten noch für zehn Jahre mithaften für Fehlentwicklungen und Versagen einzelner Banken. Drittens ist umstritten, welche Banken wie hohe Beiträge zahlen sollen und wer darüber bestimmt.

ZEIT ONLINE: Die Finanzminister haben sich auf ein neues Verhandlungsmandat mit dem Europaparlament geeinigt. Ist das ein echter Fortschritt?

Giegold: Was wir bisher darüber wissen, ist nicht überzeugend. Die Mitgliedsländer bestehen weiter darauf, dass die Entscheidungen über Bankenabwicklungen im politischen Kuhhandel getroffen werden. Wie das im Krisenfall über das Wochenende gehen soll, kann der Rat nicht erklären. Die EU-Kommission hat festgestellt, dass das Wochenende des Rats bis Mittwoch dauert.

ZEIT ONLINE: Rechnen Sie nun mit einem schnellen Kompromiss?

Giegold: Ehrlich gesagt nein, denn die Positionen liegen weit auseinander. Mit einem Bankenabwicklungsmechanismus, der nicht funktioniert, ist bei allem Zeitdruck niemandem geholfen.

ZEIT ONLINE: Warum scheiterte eine Lösung des Streits bisher?

Giegold: Eigentlich sind sich in den Kernaussagen fast alle einig. Die EU-Kommission, die meisten Mitgliedsländer und auch das Europaparlament wollten alle eine EU-Bankenabwicklungseinrichtung samt bankenfinanziertem Fonds im europäischem Gemeinschaftsrecht etablieren. Das entsprach auch weitgehend den Empfehlungen der Europäischen Kommission. Die Bundesregierung hat dann aber gesagt: nur über unsere Leiche, und es geschafft, den Rat gegen die Mehrheit der Mitgliedsländer zu einer anderen Position zu bewegen. Schäubles Methode war: Friss Vogel oder stirb. Seitdem stehen Europäische Zentralbank, Kommission, EU-Parlament und unzählige Bankenexperten auf der einen Seite und die Finanzminister der Mitgliedsländer auf der anderen. Diese absurde Situation habe ich in fünf Jahren Brüssel noch nie erlebt und sie verzögert eine Einigung seit Monaten.

ZEIT ONLINE: Der Rat hat doch im Dezember eine klare Position gefunden. Zunächst einmal soll versucht werden, Banken im eigenen Land mit eigenen Mitteln zu stützen. Was ist so falsch daran?

Giegold: Wenn wir über Großbanken reden, gibt es keine „eigenen“ Banken mehr, die ein Staat mit eigenen Mitteln stützen sollte. Sie sind ein Mythos. An der Deutschen Bank ist nichts deutsch außer der Name. Die Frage ist doch: Wer haftet, wenn eine Bank pleitegeht? Zunächst die Gläubiger, darin sind sich alle einig. Aber dann? Schäuble will, dass erst mal wieder der Staatshaushalt herangezogen wird. Das Europaparlament will, dass die anderen großen Banken in Europa dann einspringen. Das ist die große Frage: Haften die Banken untereinander oder zahlen die Staatshaushalte?

ZEIT ONLINE: Sie halten den deutschen Finanzminister tatsächlich für einen Interessenvertreter der Großbanken?

Giegold: Nein, aber er folgt der Gemeinschaftsphobie vieler Abgeordneter der Großen Koalition. Das Ergebnis ist nun, dass die Große Koalition lieber neue Sparprogramme der Staaten riskiert, wenn Banken scheitern, als Banken gemeinschaftlich haften zu lassen.

ZEIT ONLINE: In den Abwicklungsfonds sollen Banken binnen zehn Jahren 55 Milliarden Euro einzahlen. Wird das Geld reichen?

Giegold: Ja, denn die Banken müssen nachzahlen, wenn der Fonds nicht reicht und zuerst haften ohnehin die Gläubiger. Aber wir wollen die Risiken von Banken und Staaten trennen. Wenn die nationalen Teilfonds jedoch ausgeschöpft sind, müssen die Nationalstaaten noch zehn Jahre lang einspringen. Und damit wird das Versprechen gebrochen, wonach endlich Schluss sein soll mit der Rettung der Banken durch Staaten . Das ist das genaue Gegenteil der Wahlkampfversprechen der SPD.

ZEIT ONLINE: CDU-Finanzminister Schäuble fürchtet, ein zu weitreichender Kompromiss könne gegen deutsches Recht verstoßen und damit das Bundesverfassungsgericht auf den Plan rufen. Hat er Recht?

Giegold: Die Bundesregierung weigert sich seit Beginn der Verhandlungen ein Rechtsgutachten vorzulegen, wonach die Vorstellungen der Kommission oder des Parlaments gegen europäisches Recht oder deutsches Verfassungsrecht verstoßen. Sowohl die Grünen im Bundestag, als auch wir im Parlament, die Europäische Kommission und die Partnerländer haben die Bundesregierung ungezählte Male aufgefordert, endlich ihre Rechtsposition schlüssig darzulegen. Doch dazu ist die Bundesregierung offensichtlich nicht in der Lage. Im Übrigen sind die Mitgliedsländer verpflichtet, ihre Rechtsordnungen mit den europäischen Verträgen in Einklang zu bringen. Uns liegen Gutachten der Kommission, des Rates und meiner Fraktion vor, wonach das europäische Recht längst eine solide Rechtsgrundlage bietet. Damit ist auch Deutschland verpflichtet, das deutsche Verfassungsrecht diesen Verträgen anzupassen.

ZEIT ONLINE: Warum reagiert Deutschland dann so zögerlich?

Giegold: Vielleicht fürchtet die Bundesregierung die Richter in Karlsruhe. Aber auch dazu hat die Bundesregierung bis heute nicht im Detail dargelegt, wo genau das Problem mit dem Grundgesetz liegt. Wenn es überhaupt ein zwischenstaatliches Abkommen geben muss, dann muss es so kurz wie irgend möglich sein und dazu noch zeitlich befristet. In jedem Falle ist rechtlich fragwürdig, ob ein zwischenstaatliches Abkommen parallel zur ordentlichen Gemeinschaftsrecht verhandelt werden darf. Damit wird dem Europaparlament ein Teil seiner Rechte genommen.

ZEIT ONLINE: Die Kommission schlug jüngst vor, Beiträge der Banken unabhängig vom Risiko ihrer Anlagen zu erheben. Was halten Sie davon?

Giegold: Die haben vielleicht Humor! Dieser Vorschlag ist eine Frechheit, denn Bankenrettungsfonds müssen, wie Anfang des Jahres mit der Bankenabwicklungsrichtlinie beschlossen, ihre Beiträge immer im Verhältnis zum Risiko erheben. Vorschläge im Rat und der EU-Kommission weichen von diesem Prinzip ab und sind daher als Kompromissposition völlig ungeeignet. Dahinter stecken offensichtlich Interessen französischer und niederländischer Großbanken, die gemerkt haben: Wenn man die Beiträge in Relation zu den eingegangenen Risiken erhebt, müssten sie besonders viel zahlen.

Das würde auf Kosten der nachhaltiger wirtschaftenden Banken gehen, etwa der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Übrigens nicht nur in Deutschland. Dieser Vorschlag bedeutet, dass in Zukunft vorsichtig wirtschaftende Banken Investmentbanken wie die Deutsche Bank subventionieren sollen. Das ist völlig unakzeptabel und systemgefährdend. Zudem will der Rat über eine Verwaltungsverordnung ohne das Europaparlament entscheiden, welche Banken wie viel bezahlen sollen. Eine Verordnung, die über 55 Milliarden Euro entscheidet. Demokratisch unakzeptabel

ZEIT ONLINE: Das Parlament hat nun angekündigt, selbst dann über die Bankenunion abzustimmen, wenn eine Einigung über die konkrete Ausgestaltung mit den Mitgliedsstaaten ausbleibt. Setzen Sie dem Rat die Pistole auf die Brust?

Giegold: Das ist eher normal. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren sieht eine Abstimmung in zwei Lesungen vor. Inzwischen machen wir von diesem Verfahren kaum noch Gebrauch, um schneller zu sein. Das zeigt, dass das Europaparlament bereit ist, pragmatisch zu handeln und seine Macht mit Bedacht einsetzt. Wenn der Rat sich jedoch nicht auf uns und die große Mehrheit unabhängiger Experten bei der Bankenunion zubewegt, müssen wir dennoch irgendwann in die erste Lesung gehen.