Sven Giegold

Zur Zukunft der Europäischen (Währungs-)Union

In ihrer Regierungserklärung ließ Bundeskanzlerin Merkel heute überraschendes verlauten: Wenn man in Europa ein gemeinsames Verständnis über Inhalt und Substanz einer stärkeren wirtschaftspolitischen Koordinierung erzielt habe, könne man über „verbindliche Verabredungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission“ reden. „In diesem Zusammenhang halt ich einen an enge Bedingungen geknüpften Solidaritätsmechanismus für denkbar, zum Beispiel in Form eines Fonds für die Euro-Zone“, so Merkel.

Diese Worte sind zwar vorsichtig, doch kommen sie überraschend, hat Deutschland solche Pläne im Dezember doch noch vehement abgelehnt. Tatsächlich scheint man sich in Europa langsam die Tatsache ernst zu nehmen, das ein Währungs- und Wirtschaftsunion ohne enge wirtschaftspolitische Korrdinierung und fiskalischen Spielraum weder auf kurze noch auf lange Frist funktionieren kann.

Bislang hat man sich hauptsächlich mit Brandlöschung beschäftigt. Instrumente wie der ESM und Maßnahmen, wie die „Outright Monetary Transactions“ der EZB, zielten darauf kurzfristig die Märkte zu beruhigen und zu stabilisieren. Die langfristigen Maßnahmen fußten größtenteils auf dem Irrglauben, die Eurozonenkrise sei ein Problem unverantwortlicher Haushaltspolitik. Das sorgte dafür, dass der Sparzwang für Staaten lange als Marschroute zruück zur Stabilität gesehen wurde.

Erst deutlich später diskutierten politische Entscheidungsträger auch öffentlich, dass es sich bei der Krise der einzelnen Staaten nicht nur um die Folge hausgemachter Probleme handelte, sondern um ein europäisches Problem einer Wirtschafts- und Währungsunion mit Mängeln. Van Rompuy präsentierte Ende 2012 umfassende Pläne für die Zukunft Europas. Sie fußten auf der Erkenntnis, dass eine Währungsunion ohne wirtschaftliche Integration den Aufbau struktureller Ungleichgewichte fördert und fiskalischer Spielraum auf europäischer Ebene nötig ist, um mit diesen Problemen umzugehen. Zudem schlug van Rompuy weitreichende Reformen für eine Bankenunion vor, um dem Problem freier Kapitalflüsse unter nationalen Aufsichtsbehörden entgegenzutreten.

Das dringlichste Problem, das Bankensystem als Hauptakteur der Krise, effektiver zu regulieren, wurde dann rasch angegangen. Das Bekenntnis zu einer gemeinsamen europäischen Überwachung und Bankenabwicklung wird wohl zu Beginn des Jahres 2014 implementiert. Vorschläge zu stärkerer wirschaftspolitischer Koordinierung und Schritte zu einer Fiskalunion, um den Aufbau struktureller Ungleichgewichte verhindern und bei Krisenausbruch gegenzusteuern, verschwanden hingegen wieder in den Schubladen.

Dabei handelt es sich bei diesen Plänen um entscheidende Faktoren für das zukünftige Bestehen der EU und insbesondere der Währungsunion. Die Eurozone ist ein imperfekter Währungsraum. Die strukturellen Unterschiede der Volkswirtschaften sind groß. Die Vergangenheit zeigte zwar eindrücklich, dass der Euro die Konvergenz der Mitgliedstaaten fördern kann, doch wurde auch deutlich, dass die Gemeinschaftswährung Überhitzungen fördern kann.

Mit der Einführung des Euro kam es zu starken Kapitalflüssen in die Peripheriestaaten. In Ländern wie Spanien und Irland finanzierte das Kapital einen beachtlichen Aufholprozess. In dieser Phase konnten diese Länder – im Gegensatz zu Deutschland – auch ihre Staatsverschuldung abbauen. Als problematisch erwies sich allerdings, dass es dort mittelfristig zu überhöhten Preissteigerungen kam, die nicht durch Produktivitätssteigerungen gedeckt waren. Die hohen Preise schlugen sich direkt auf Verlusten der internationalen Wettbewrbsfähigkeit nieder. Deutschland spielte hier eine unrühmliche Rolle und verschlimmerte diese Lage noch zusätzlich. Die Lohnkosten wurden dort künstlich niedrig gehalten, deutlich unterhalb dem vereinbarten Inflationsziel von 2%. Dadurch verschaffte sich Deutschland Exportvorteile, die für die Realwirtschaft in den heutigen Krisenstaaten zusätzlich schädigend wirkten.

Das Kernproblem lag darin, dass keine Instrumente zur Verfügung standen, um solche Preisüberhitzungen zu dämpfen. Deutschlands Niedriglohnpolitik zwang die EZB zu einer Zinssenkung. Der Einheitszins erwies sich allerdings als zu niedrig für Staaten mit überschießenden Preisentwicklungen. Daraus entstand in der Peripherie eine Situation, in der viele Kredite aber wenig rentable Investitionsprojekte zur Verfügung standen. Das Geld bahnte sich daher den Weg in spekulativere Vermögensklassen, etwa Immobilien.

Als die Krise über Europa hereinbrach, wurden weitere Mängel deutlich: Es standen nur unzulängliche Mittel zur Verfügung, um dem wirtschaftlichen Einbruch entgegenzuwirken. Dieser manifestiert sich nun im sozialen Elend der Bürgerinnen und Bürger der betroffenen Staaten. Die Abwärtspirale kann bislang nicht wirksam unterbrochen werden. Die Krisenstaaten finden sich in einer Situation hoher Kosten für Staatsschulden, wachsender Kosten für Sozialtransfers und einbrechender Wirtschaftsleistung. Von ihnen wird die Quadratur des Kreises verlangt: Sie sollen mehr sparen, mehr für Arbeitslose ausgeben, das Wachstum ankurbeln und insbesondere ihren Exportsektor stärken.

Die fehlerhafte Konsequenz aus dieser Analyse wäre es, den Euro als Gesamtprojekt zu verdammen. Die katastrophalen Folgen eines Zusammenbruchs des Euro sind kaum abschätzbar. Vielmehr müssen Mechanismen geschaffen werden, die diese Fehler korrigieren. Der effektive Umgang mit den Ungleichgewichten und der akuten Krisensituation kann allerdings nur durch tiefere europäische Integration realisiert werden. Das Projekt Euro ist in seiner Art einzigartig: Es gibt keinen anderen einheitlichen Währungsraum, der nicht über eine Zentralregierung verfügt, die diese Aufgaben wahrnehmen kann. Nun müssen die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden. Die Regierungen der Mitgliedstaaten dürfen ihr defensives Verhaltensmuster nicht länger aufrecht erhalten. Sie müssen ihre nationalpolitischen Interessen hinten anstellen und Steuerungsinstrumente auf europäischer Ebene etablieren, die für eine echte integrierte Wirtschafts-, Fiskal- und Bankenunion sorgen.

Wir haben verschiedene Vorschläge untersucht und in einer Präsentation zusammengefasst. Die Vorschläge, die sich in der Literatur finden, können dabei grob in drei Kategorien unterteilt werden:

(1) Mechanismen, die die strukturelle Konvergenz thematisieren und die Angleichung die Angleichung verschiedener Wettbewersbfähigkeitsniveaus fördern.

(2) Instrumente, die für einen Abschwächung der Konjunkturzyklen sorgen und damit die geldpolitische Aufgaben übernehmen, wirtschaftliche Überhitzungen und Unterkühlungen abzufedern.

(3) Instrumente, die in akuten Krisenphasen die Spirale zwischen hohen Refinanzierungskosten und realwirtschaftlichen Einbrüchen entgegenwirken.

Über Anregungen und vor allem Hinweise auf Vorschläge, die wir nicht gesehen haben, freuen wir uns sehr!

Die Präsentation finden Sie hier.