Heute hat der Generalanwalt Sharpston beim Europäischen Gerichtshof seinen Schlussantrag zum EU-Singapur-Freihandelsvertrag vorgelegt. Die EU-Kommission wollte vom EuGH in einer Richtungsentscheidung wissen, ob solche Verträge auch ohne Ratifizierung der Mitgliedsländer beschlossen werden können. Dem hat der Generalanwalt einen Riegel vorgeschoben und listet eine große Zahl von wichtigen Rechtsbereichen auf, die nicht in der alleinigen Kompetenz der EU liegen. Das Gericht folgt bei seiner Schlussentscheidung in der großen Mehrzahl der Fälle dem Generalanwalt.
Den Beschluss des Generalanwalts kommentiert Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament
und stellvertretendes Mitglied im Verfassungsausschuss:
Das ist ein guter Tag für den Rechtsstaat in Europa. Die klaren Worte des Generalanwalts sind eine Ohrfeige für die EU-Kommission und alle Freihandelsbeschleuniger. Das europäische Recht ist stärker als mächtige Interessen, die einseitige Freihandelsverträge möglichst schnell durchpeitschen wollten. Die Analyse des Generalanwalts ist auch eine Lektion für alle TTIP-Kritiker, die alle europäischen Institutionen ohnehin für lobbygesteuert halten. Wer nun die angebliche Handlungsunfähigkeit der EU beklagt, sollte nochmal nachdenken, denn in einem Rechtsstaat darf sich keine politische Ebene Kompetenzen aneignen. Hinzu kommt, dass es für die EU-Handelsverträge nicht einmal eine Subsidiaritäsprüfung gibt.
Die Konsequenz darf jetzt nicht in neues Rechtstricks bestehen, wie etwa die Aufspaltung von Verträgen in einen zustimmungspflichtigen und rein europäischen Teil. Vielmehr brauchen wir einen Neustart der europäischen Handelspolitik, der soziale und ökologische Standards stark macht, sowie Demokratie und Rechtsstaat schützt. Nur eine Handelspolitik, die auch in der Zivilgesellschaft breite Zustimmung findet, hat rasche Entscheidungsverfahren verdient. Die Globalisierung braucht nicht noch mehr Beschleunigung, sondern einen Ordnungsrahmen. Nur mit einem solchen demokratischen Ordnungsrahmen ergibt auch mehr Freihandel Sinn.
Die aufgeheizte Stimmung bei den Freihandelsverträgen zeigt, dass wir nun eine inklusive Debatte über Handelspolitik brauchen. Nur wenn sich Regierungen, Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Umweltverbände und Zivilgesellschaft an einen Tisch setzen, kann ein gemeinwohlorientierter Neustart in der EU-Handelspolitik gelingen. Wir brauchen einen neuen gesellschaftlichen Konsens über die Handelspolitik. Nur über mehr Beteiligung ist mehr Akzeptanz für die Handelspolitik zu gewinnen. Die EU-Handelspolitik krankt an einem Beteiligungsdefizit, nicht an einem Demokratieüberschuss.