Heute morgen hat Bundesfinanzminister Schäuble in einem Deutschlandfunkinterview behauptet, eine gemeinsame Bankenabwicklungsbehörde sei nur mit einer Änderung der Europäischen Verträge möglich. Dabei bezog er sich auf einen aktuellen Schlussantrag des Generalanwalts am EuGh.
Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, kommentiert die Aussagen von Minister Schäuble:
Wolfgang Schäuble täuscht die Öffentlichkeit. Die Schaffung einer gemeinsamen Bankenabwicklungsbehörde und eines von den Banken zu finanzierenden Bankenabwicklungsfonds ist auch im Rahmen der geltenden EU-Verträge möglich. Wie der Generalanwalt jüngst zeigte, bietet Art. 352 AEUV eine sichere Rechtsgrundlage. Allerdings ist der von der EU-Kommission vorgeschlagene Art. 114 AEUV unzureichend. Auch eine Verfassungswidrigkeit kann Schäuble hier nicht vorschützen. Die Abwicklung von Banken greift nicht in das Haushaltsrecht des Bundestages ein. Kein Parlament ist gezwungen Banken zu retten, das ist und bleibt eine souveräne Entscheidung, die ohnehin zu vermeiden ist.
Das Bemühen juristischer Argumente verdeckt nur mühsam die politische Absicht: Die schwarz-gelbe Bundesregierung will die Bankenunion nicht vollenden, die sie selbst vorgeschlagen hat. Sie war zwar gerne bereit, die Macht über die Banken der Eurozone bei der EZB zu konzentrieren. Nun verweigert sie aber den versprochenen nächsten Schritt: Die Verantwortung für die gemeinsam getroffenen Entscheidungen über einen gemeinsamen Fonds von den Europäischen Banken ebenso zusammen zu tragen. Angesichts der bevorstehenden verschärften Bankenstresstests ist das Vorgehen der Bundesregierung fahrlässig. Ein glaubwürdiger Sicherheitsmechanismus für Europas wankende Banken muss mit dem Bankenrettungsfonds zügig geschaffen werden. Nur so kann verhindert werden, dass entweder die Stresstests unglaubwürdig lasch ausfallen oder wiederum in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Steuerzahler zur Kasse gebeten werden müssen.
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Die Details:
Schäuble argumentiert in dem Interview mit dem Deutschlandradio, der Generalanwalt beim EuGH habe in einer Stellungnahme am 12. September „mit nicht zu bezweifelnder Klarheit vertreten“, dass die Position der deutschen Bundesregierung, wonach die Einrichtung eines Bankenrestrukturierungsmechanismus einer Vertragsänderung bedürfe, europarechtlich zutreffend sei. Tatsächlich ging es in dem genannten Verfahren um Notfallbefugnisse der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA), um mittels verbindlicher Rechtsakte in die Finanzmärkte bei Leerverkäufen einzugreifen. Eine solche Notfallbefugnis hielt der Generalanwalt für nicht mehr von Artikel 114 AEUV erfasst, der die Harmonisierung von mitgliedstaatlichem Recht in Binnenmarktfragen beinhaltet.
Seiner Ansicht nach wäre aber Artikel 352 AEUV eine taugliche Rechtsgrundlage. Er schreibt:
„Denn es besteht eindeutig ein Bedarf für ein Tätigwerden auf Unionsebene, da es auf einem integrierten Markt für Finanzinstrumente erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen haben kann, wenn eine zuständige nationale Behörde in Bezug auf Leerverkäufe untätig bleibt oder keine angemessenen Maßnahmen ergreift. Mögliche Auswirkungen sind unter anderem Verzerrungen in den Bankensystemen anderer Mitgliedstaaten als desjenigen, auf dessen Markt die Leerverkäufe stattfinden. Somit erscheint in Situationen, die die ordnungsgemäße Funktionsweise und Integrität der Finanzmärkte oder die Stabilität des gesamten oder eines Teils des Finanzsystems in der Europäischen Union bedrohen, ein zentrales Entscheidungsverfahren, das die einheitliche Anwendung der Unionsbestimmungen über Leerverkäufe ermöglicht, sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig.“ (Nr. 54 der Schlussanträge)
Im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung hält der Generalanwalt sogar Einzelentscheidungsbefugnisse europäischer Agenturen für grundsätzlich mit dem europäischen Recht vereinbar. Im Gegensatz zu Schäubles Aussagen bestätigt der Generalanwalt vielmehr, dass auf der Grundlage der geltenden Verträge die Einrichtung eines Bankenrestrukturierungsmechanismus möglich wäre, wenn auch nicht auf Artikel 114 AEUV, sondern Artikel 352 AEUV.
Unser Rechtsgutachten von René Repasi (Uni Heidelberg) zum Thema gibt es hier: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2013/07/Gutachten-zur-rechtlichen-Machbarkeit.pdf
Den Schlussantrag des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof gibt es hier: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=140965&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=721494