Sven Giegold

EU-Parlament/Bericht: Schlechte Steuerzusammenarbeit der EU-Länder geht auf Kosten der Steuerzahlenden

Heute, 16. September, stimmen die Mitglieder des Europäischen Parlaments über die Umsetzung der EU-Vorschriften zum Austausch von Steuerinformationen zwischen den EU-Mitgliedstaaten ab. Der „Bericht über die Umsetzung der EU-Anforderungen für den Austausch von Steuerinformationen: Fortschritte, Erkenntnisse und zu überwindende Hindernisse“ ist der erste Umsetzungsbericht, den das Europäische Parlament jemals im Bereich der Wirtschafts- und Währungspolitik vorgelegt hat. Die „Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung“ ist seit dem Jahr 2011 in Kraft und wurde seitdem sechs Mal erweitert. Auch wenn Fortschritte erzielt wurden, zeigt der Bericht erhebliche Mängel bei der effektiven Umsetzung auf.

Sven Giegold, Berichterstatter des Europäischen Parlaments und finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen/EFA-Fraktion, kommentiert:

„Bei unserer Untersuchung der Steuerkooperation zwischen EU-Ländern haben sich tiefe Abgründe aufgetan. EU-Regeln zur Steuerkooperation werden von den Mitgliedstaaten schlecht umgesetzt. Nicht die Gesetze, sondern deren Umsetzung sind das Problem. Die Nachlässigkeit der nationalen Steuerbehörden bei der grenzüberschreitenden Kooperation geht auf Kosten der Steuerzahlenden. Unser Bericht deckt wichtige Missstände auf, die dem Gemeinwohl jedes Jahr Milliarden kosten. Es ist ein großer grüner Erfolg, dass das Europaparlament mit breiter Mehrheit präzise Vorschläge zu einer effektiven Zusammenarbeit der Steuerbehörden macht. Fast zwei Jahre Arbeit an diesem Bericht haben sich ausgezahlt!

Im EU-Steuerrecht sind gute Fortschritte erzielt worden, aber die Zusammenarbeit der Steuerbehörden über Ländergrenzen hinweg wird bisher nur halbherzig verfolgt. Wenn die bestehenden Steuervorschriften nicht ordnungsgemäß angewandt werden, führt dies zu wachsender Ungleichheit und birgt die Gefahr von Betrug, Korruption und Steuerhinterziehung. Viele Informationen über Einkommen und Vermögen werden immer noch nicht systematisch über die Grenzen hinweg ausgetauscht. Die Daten, die ausgetauscht werden, werden oft nur unzureichend genutzt, auch  mangelt es häufig an Qualität.

Trotz international dokumentierter Mängel bei der Umsetzung des EU-Rechts hat die EU-Kommission kein einziges Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat eingeleitet. Die EU-Kommission muss gegenüber den Mitgliedstaaten deutlich konsequenter vorgehen und unverzüglich Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Die EU-Kommission sollte die anstehende Überarbeitung der Richtlinie nutzen, um die Zusammenarbeit der nationalen Steuerbehörden einen großen Schritt voranzubringen.

Die Forderung nach der Wertschätzung des Steuerwettbewerb vom rechten Flügel des EU-Parlaments ist im Lichte von Pandemie und Klimakrise ein Zeichen des politischen Bankrotts. Glücklicherweise hat eine Mehrheit die Forderung abgelehnt. Die Tatsache, dass solche Änderungsanträge von vielen Christdemokraten und Liberalen offen unterstützt werden, zeigt deren Geringschätzung für fairen Wettbewerb und Steuergerechtigkeit.

Leider bleiben die Ergebnisse des Berichts unvollständig, da die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission sich weigerten, dem Parlament Zugang zu den nötigen Informationen zu gewähren. Damit hat die Kommission das Europaparlament in der Ausübung seiner demokratischen Kontrollfunktion behindert. Deshalb ist es wichtig, dass das Parlament mit großer Mehrheit abgestimmt hat: Das Europäische Parlament muss alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel nutzen, um Zugang zu den Dokumenten zu erhalten, die es für seine Arbeit benötigt – einschließlich den Gang vor den Europäischen Gerichtshof.”

Link zum Bericht und den Änderungsanträgen aus dem Plenum: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0193_DE.html

Eine Mehrheit stimmte auch dafür, Verweise auf die LuxLetters-Enthüllungen hinzuzufügen, in denen die Praxis der informellen Steuervorbescheide in Luxemburg angeprangert wird: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0193-AM-014-016_DE.pdf

Änderungsanträge der Europäischen Konservativen und Reformer im Plenum zum Steuerwettbewerb, die den Bericht abschwächen sollen: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0193-AM-002-007_DE.pdf

 

Hintergrund zu den Ergebnissen der internationalen Überprüfungen

Internationale Überprüfungen, die vom OECD Global Forum und der Financial Action Task Force durchgeführt wurden, dokumentieren das Ausmaß der Defizite in den Mitgliedstaaten: 10 haben die Regeln für den automatischen Austausch von Steuerinformationen in der EU nicht vollständig umgesetzt. Rumänien verfügt nicht einmal über den rechtlichen Rahmen für den automatischen Informationsaustausch. Die internationale Überprüfung der Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung ergriffen haben, fällt noch vernichtender aus: Von den 18 überprüften Mitgliedstaaten erhielt keiner eine Bewertung, die auf ein hohes Maß an Wirksamkeit schließen lässt. Dies zeigt, dass es eindeutig an einer wirksamen Umsetzung der Maßnahmen mangelt, die nicht nur zur Verhinderung von Finanzkriminalität erforderlich sind, sondern auch die Grundlage für eine wirksame Zusammenarbeit in Steuerangelegenheiten bilden.

Weitere Hintergründe sind in Kürze unter folgendem Link zu finden: https://sven-giegold.de/steuerzusammenarbeit-europa-umsetzungsbericht/

P.S.: Top-Webinar “Schattenwirtschaft – Wie wir faire Löhne & gute Arbeit für alle schaffen” Freitag, 17.9., 18:00 Uhr. – Bis zu 10% der Wirtschaftsleistung kommt aus der Schattenwirtschaft (sog. Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit, Kriminalität). Ausbeuterische Arbeitsbedingungen inklusive. Wie die nächste Regierung das angehen kann, diskutieren wir im Webinar mit Ex-ver.di-Chef Frank Bsirske, DGB Expertin Anna Weirich und der stv. Bundesvorsitzenden Ricarda Lang. Gleich hier anmelden!

Hinweis: Dieser Blogbeitrag wurde innerhalb der letzten 2 Monaten vor der Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. In diesem Zeitraum wurde die Homepage und die zugrunde liegende IT-Infrastruktur aus Wahlkampfmitteln und nicht aus dem Parlamentsbudget finanziert.