Sven Giegold

„Das Gift im Haar; Die Zulassung von Pestiziden muss restriktiver werden“ – Gastwirtschaftskolumne in der Frankfurter Rundschau

Im Sommer wurden in sechs EU-Mitgliedsstaaten (Deutschland, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien) von insgesamt 148 Freiwilligen Haar-Proben genommen. 30 zugelassene Pestizide wurden im Rahmen eines Pilot-Projektes getestet, die alle auch hormonverändernde Eigenschaften besitzen. Diese sogenannten endokrinen Disruptoren können schon durch geringste Mengen tiefgreifende Veränderung des menschlichen Hormonsystems bewirken und zu Entwicklungsstörungen, Unfruchtbarkeit, Krebs und neurologischen Erkrankungen führen. Bisher war unklar, wie weit diese Stoffe in der Bevölkerung verbreitet sind.

Die Ergebnisse sind alarmierend. In 60 Prozent der Proben wurden eindeutige Rückstände von hormonverändernden Pestiziden entdeckt. Jede zweite Testperson hatte substantielle Mengen endokriner Disruptoren im Körper. Der Test zeigt, dass es keine Rolle spielt, wie nah eine Person an landwirtschaftlichen Flächen wohnt: Menschen aus Stadt und Land sind gleichermaßen betroffen. Die Pestizide werden vermutlich über die Nahrung und das Trinkwasser aufgenommen oder im heimischen Garten eingesetzt.

Ein weiteres Ergebnis: Das Alter ist nicht entscheidend, vom Kleinkind bis zum 70-Jährigen sind alle betroffenen. Das ist gerade angesichts der nachgewiesenen Auswirkungen auf Entwicklungsprozesse bei Kindern äußerst bedenklich. In Deutschland sieht die Situation nur leicht besser aus: Von den 34 Proben aus Deutschland waren in knapp der Hälfte hormonverändernde Pestizide nachweisbar.

Gemäß der EU-Pestizidverordnung dürften solche hormonverändernden Chemikalien in der EU gar nicht mehr zugelassen werden. Die Hersteller nutzen aber eine Reihe von Ausnahmen, um dieses Verbot zu umgehen. Denn wenn nur wenige Menschen diesen Stoffen ausgesetzt sein werden, dürfen sie trotzdem auf den europäischen Markt.

Die Ergebnisse müssen ein Weckruf sein, das Zulassungsverfahren für Pestizide zu verschärfen. Alle Studien müssen öffentlich werden, auch wenn die Ergebnisse den Agrarchemieherstellern nicht passen. Hormonverändernde Substanzen müssen ohne Ausnahmen sofort vom Markt genommen werden. Der Schutz der Bevölkerung muss über kurzfristigen Industrieinteressen stehen. Die Geheimhaltung wissenschaftlicher Ergebnisse durch die Chemiekonzerne muss aufhören.

Der Autor ist Abgeordneter

von Bündnis 90 / Die Grünen im Europäischen Parlament.


Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 15.11., alle Rechte verbleiben beim Verlag der Frankfurter Rundschau GmbH

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Rubrik: Klima & Umwelt

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