Nach der Finanzkrise 2008 hatte die EU strengere Regeln gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln eingeführt. Diese könnten nun wieder aufgeweicht werden, befürchtet Sven Giegold, Grünen-Sprecher im Europaparlament, im DLF. Es geht um das Kleingedruckte einer neuen Finanzmarkt-Richtlinie, über die die EU-Kommission nun abstimmt.
Georg Ehring: Strengere Regeln gegen die Spekulation mit Nahrungsmitteln, das war eine Lehre, die die Europäische Union aus der Finanzkrise von 2008 gezogen hat. Damals fuhren die Preise für Lebensmittel-Rohstoffe wie Weizen, Mais oder Reis Achterbahn. Krasse Preiserhöhungen sorgten in armen Ländern für Unruhe. Die Europäische Union reagierte mit verschärfter Regulierung der Finanzmärkte. Die Spekulation dort war auch Ursache für die Preisschwankungen auf den Agrarmärkten.
Die Finanzmarkt-Richtlinie mit dem Kürzel „Mifid II“ umfasst auch diese Märkte. Doch jetzt steht das Kleingedruckte, sprich die Ausführungsbestimmungen zur Abstimmung, und die machen das hehre Ziel nach Ansicht von Kritikern wieder zunichte. Zu den Kritikern gehört Sven Giegold, Sprecher der Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Herr Giegold.
Sven Giegold: Guten Tag, Herr Ehring.
Ehring: Herr Giegold, wo liegt das Problem?
Giegold: Das Problem ist, dass im Kleingedruckten die gut gemeinten Regeln gegen Nahrungsmittel-Spekulation zum Papiertiger zu werden drohen. Wir brauchen aber harte Regeln und keinen Papiertiger. Konkret geht es darum, dass den einzelnen Börsen in Europa beziehungsweise ihren nationalen Finanzaufsehern sehr breiter Spielraum gelassen werden soll, doch letztlich wieder viel spekulatives Kapital auch auf Grundnahrungsmittel zuzulassen, und dem stellen wir uns diese Woche mit einer Abstimmung im Europaparlament in den Weg.
„Wir brauchen keine Finanzexzesse“
Ehring: Welche Hürden sollten Ihrer Ansicht nach denn aufgerichtet werden oder höher werden?
Giegold: Es geht darum, ab welchem Zeitpunkt eine Grenze gezogen wird, wie viel Finanzkapital gerade in kritische Grundnahrungsmittel fließen darf. Diese Grenze kann ich hoch oder niedrig setzen. Dass überhaupt eine gesetzt wird, ist ein Erfolg der Bemühungen des Europaparlaments. Doch jetzt auf letzten Metern hat die EU-Kommission leider Ausführungsbestimmungen vorgeschlagen, die letztlich dieses Ziel wieder zunichtemachen.
Deshalb bekomme ich gerade Dutzende von E-Mails von den kirchlichen Hilfswerken, aber genauso auch von anderen Entwicklungsorganisationen und besorgten Bürgern, die sagen, wir brauchen strenge Grenzen, wir brauchen etwas spekulatives Kapital auch in diesem Bereich, etwa damit Bauern oder die Nahrungsmittelindustrie sich absichern können gegen Preisschwankungen. Wir brauchen aber keine Finanzexzesse, denn Nahrungsmittel sind kein normales Anlageprodukt auf den Kapitalmärkten.
Ehring: Aber Rohstoffmärkte leben ja von der Bewegung. Das sagen die Befürworter des freien Marktes. Was kann denn passieren, wenn das stärker eingeschränkt wird als geplant?
Giegold: Grundsätzlich erst mal: Würde man Nahrungsmittel-Spekulation vollständig verbieten, dann gäbe es in der Tat das Problem, dass sich diejenigen, die sich legitimerweise gegen Preisschwankungen absichern wollen, das nicht mehr tun können. Sie brauchen aber eben nicht unendlich viel liquides Kapital. Zu viel Kapital kann genau zu dem führen, was Sie im Beitrag am Anfang erzählt haben, nämlich wenn Finanzkapital Schwierigkeiten hat, andere Anlagen zu finden, dass dann die Preise kurz- bis mittelfristig durch die Decke gehen, und wir hatten damals in 40 Ländern Hungeraufstände.
Wir reden hier nicht über ein Nebenproblem, sondern die Gefahr, dass Menschen das Grundrecht auf Nahrung entzogen wird, und deshalb appelliere ich auch an meine Kollegen gerade bei den Christdemokraten und Liberalen, die bisher den bisherigen Regeln noch zustimmen wollen, dass sie sich uns anschließen und dieses Detail ablehnen und damit die EU-Kommission unter Druck setzen, strengere Regeln zu erlassen.
Ehring: Umstritten ist ja unter anderem, wie viel ein einzelner Händler von einem Rohstoff kaufen darf. Es ist die Rede von bis zu einem Drittel des Weltmarktes. Das ist für Sie dann zu viel?
Giegold: Das ist ganz entschieden zu viel, weil damit eine marktbeherrschende beziehungsweise beeinflussende Stellung eingenommen werden kann, und ein Finanzmarktprodukt funktioniert dann besonders gut, wenn viele einzelne Anleger Positionen einnehmen, damit nicht ein einzelner Akteur den Preis übermäßig bewegen kann.
„Diese Bestimmungen sind zu lasch“
Ehring: Große Teile der Agrarmärkte laufen aber abseits der Rohstoffbörsen. Kann man das überhaupt regulieren?
Giegold: Ganz genau darum geht es auch. In den Ausführungsbestimmungen sollte eigentlich verankert sein, dass die Produkte, die außerhalb der regulierten Börsen sind, genauso reguliert werden wie auf den Börsen, damit es fairen Wettbewerb gibt. Und diese Bestimmungen sind ebenfalls zu lasch, sodass zu befürchten ist, dass die Bestimmungen nur dazu führen, dass um die Regulierung zu umgehen, außerbörsliche Produkte aufgelegt werden. Auch das muss strenger angegangen werden. Und das Ironische ist: Der Grund, warum die Regeln so schwach sind, ist unter anderem, weil Großbritannien keine starken Regeln wollte, obwohl die die EU sowieso relativ bald verlassen werden. Es kann wirklich nicht sein, dass wir deshalb auf eine strenge Regulierung verzichten.