Sven Giegold

Die Basis des Wandels

Die Basis des Wandels

Rot-Grün-Rot Ein neues gesellschaftliches Projekt braucht Zeit – und die Einbeziehung seiner Kritiker

Erschienen im Freitag, 25.06.2010

Nachdem die schwarz-gelbe Ehe nicht einmal Flitterwochen er­lebt habt, wirkt schon der Titel der Veranstaltung antiquiert. Soll das Gewürge der so genann­ten bürgerlichen Koalition wirklich noch bis 2013 weiter gehen? Dass die öffentlich zur Schau gestellte Uneinigkeit noch drei Jahre andauern soll, erscheint wenig wahrschein­lich, und eine Katastrophe für die meisten Menschen in einem Land inmitten von Kri­sen.

Trotzdem, bei Gründung des Instituts Soli­darische Moderne nahmen wir gemeinsam an: Wir wollen und müssen uns Zeit nehmen, um an einem neuem Projekt linker Hegemo­nie zu arbeiten, das die Basis für eine rot-grün-rote Koalition bildet. Dabei war uns klar, dass es nicht leicht wird angesichts vieler vorange­gangener Fehlversuche. Die konsequenzenar­me Geschichte der Crossover-Debatten lässt sich im Internet in Form von Webseiten-Lei­chen leicht besichtigen. Viele kluge Texte wur­den da geschrieben, Vorträge gehalten und Konferenzen organisiert. Viel daraus gefolgt ist leider nicht. In der konkreten Parlaments­politik sieht es nicht besser aus. An Saar und Elbe, in Thüringen, in Nordrhein-Westfalen und im Land der Hessen haben wir rot-rot-grüne Mehrheiten in den Parlamenten, aber keine entsprechenden Regierungen.

Das Institut hat daraus produktive Konse­quenzen gezogen. Erstens, muss Crossover auf einer Einigkeit über gemeinsame Reformpro­jekte beruhen. Nur wenn es eine starke inhalt­liche Basis gibt, ist das Projekt sinnvoll und kann auch machtpolitisch funktionieren. Des­halb will das Institut an genau dieser inhaltli­chen Basis arbeiten, und zwar schwerpunkt­mäßig, wo es am Schwersten ist – bei der Frage nach Ökonomie und Arbeit unter den Bedin­gungen der Globalisierung und immer knap­peren Ressourcen. Genau im Bereich der so genannten Wirtschaftskompetenz wird linken Parteien von den Wählern wenig zugetraut. Hier liegt eine der Ursachen für die schwachen Zustimmungswerte für rot-grün-rote Farben­spiele. Nur wenn die Bürger nicht mehr mas­senhaft befürchten, dass eine links-mittige Regierung das Land wirtschaftlich ruinieren würde, hat das Projekt wirklich Chancen. Selbstredend, dass „wirtschaftlich“ sich nicht an der Höhe der Unternehmensgewinne, son­dern am Ziel von Teilhabe, Wohlstand, Sicher­heit und Würde für Alle zu orientieren hat. Ein solcher Diskursprozess braucht Zeit und ist nur dann sinnvoll, wenn man echte Konver­genz zwischen den beteiligten Partnern er­reicht. Dazu dürfen nicht nur diejenigen mit­einander reden, die sich ohnehin grün sind, sondern die Differenzen müssen so bearbeitet werden, dass etwas Neues entsteht. Das wird nur gehen, wenn man über die jeweils bekann­ten Gewissheiten hinaus geht. Es genügt also nicht, wenn man sich zum Beispiel bei einer Diskussion über soziale Sicherung einigt, dass die Bürgerversicherung ein zu begrüßender Schritt wäre. Auch die schwierigen Fragen, etwa nach der demografiebedingten Kosten­entwicklung im Gesundheitswesen müssen auf den Tisch. Denn sonst sind die Konzepte vielleicht bequem für die Zusammenarbeit in­nerhalb der Linken, manchmal vielleicht sogar hegemoniefähig, aber nicht in der realen Welt umsetzbar.

Labor des Vertrauens

Zweitens braucht der Prozess Ressourcen und Institutionalisierung. Wenn ohnehin in ihren jeweiligen Organisationen und Parteien über­arbeitete Personen zusätzlich Crossover orga­nisieren sollen, ist das immer eine prekäre Veranstaltung. Deshalb haben wir uns ent­schieden, einen von Mitgliedern und ihren Beiträge getragenen Verein zu bilden.

Drittens kann Crossover nur als gesellschaft­licher Crossover erfolgreich sein. Eine linke Regierung wird nur Veränderung bewirken, wenn sie mit der kritischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Gewerkschaften, Nichtregie­rungsorganisationen und Initiativen verbun­den ist. Deshalb ist das Institut von vornherein übergreifend zusammengesetzt. Gerade Wis­senschaftler sind nicht nur als eingeladene Input-Geber dabei, sondern gestalten das Ins­titut mit. Umgekehrt nehmen sich politisch Aktive Zeit für eine vertiefte inhaltliche Ausei­nandersetzung, für die die Zeit im stressigen politischen Alltag fehlt.

Viertens braucht Crossover Vertrauen. Das kann nur wachsen, wenn alle handelnden Personen fair miteinander umgehen. Gerade bei sensiblen Fragen wie der Verteilung von öffentlicher Aufmerksamkeit, Posten und Ein­flussmöglichkeiten wird in Parteien, aber auch in der Zivilgesellschaft oft mit harten Bandagen und unsauberen Mitteln gearbei­tet. Nur wenn es uns gelingt, dies in unserem Institut als Labor zu überwinden, kann Ver­trauen wachsen.

Fünftens darf man das Institut nicht über­schätzen. Es ist gut, dass es eine ganze Reihe von weiteren Initiativen gibt. Dazu gehört die Oslo-Gruppe im Bundestag, in der sich vor al­lem jüngere Abgeordnete von SPD, Linken und Grünen regelmäßig treffen. Auch das Linksreformismus-Projekt hat einen spannen­den Ansatz. Sinnvoll wäre, wenn sich auch auf Landes- und Kommunalebene entsprechende Kreise organisieren würden, um den Cross­over-Prozess voranzubringen. Bislang jedoch ist das Institut die einzige Initiative, die ver­sucht, die Zusammenarbeit dauerhaft auf eine breitere Basis zu stellen. Es bleiben jedoch eine ganze Reihe von Herausforderungen.

Wo sind die Realos?

Zunächst ist da die Falle der Wohlmeinenden. Die bisherigen Crossover-Initiativen haben durchweg diejenigen versammelt, für die Rot-Rot-Grün eine spannende Perspektive ist. Die Gegner in den jeweiligen Parteien, Gewerk­schaften, Nichtregierungsorganisationen und anderen Bewegungen haben sich einfach nicht angeschlossen. So ist es auch jetzt wie­der. Bei der Gründung des Instituts haben etwa wir Grünen Co-Initiatoren innerhalb der Partei intensiv versucht, Mitglieder des Realo-Flügels zu finden, die beim Projekt mitma­chen. Die Reaktionen waren aufschlussreich. Wer von Rot-Rot-Grün nicht viel hielt, hatte natürlich kein Interesse. Aber auch diejenigen, die eine Links-Mitte-Regierung aktiv vorberei­ten wollen, trauen sich kaum, den Kopf aus dem Gebüsch zu stecken. Groß war die Be­fürchtung, innerhalb der eigenen Peer-Group kritisiert zu werden. Alle Zusicherungen, dass die Vorbereitung einer rot-rot-grünen-Pers­pektive auch andere Konstellationen wie Schwarz-Grün, Rot-Grün oder eine grüne Al­leinregierung ja nicht ausschließt und auch unser Engagement im Institut nicht so ge­meint ist, halfen nichts. Bis heute gibt es mei­nes Wissens kein Mitglied im Institut, das sich innerhalb der Grünen den Realos zugehörig fühlt. Dabei ist die Vertretung der Grünen und der Linken innerhalb des Instituts noch ver­gleichsweise repräsentativ. Die Vertretung von Gewerkschaften und SPD ist noch prekä­rer. Daraus kann nur folgen, dass wir echte Anstrengungen unternehmen müssen, weite­re Kreise einzubeziehen. Denn wenn es um konkrete Koalitionsprojekte geht, scheitern diese ja nicht an denjenigen, die schon immer überzeugt waren. Wir müssen auch die einbe­ziehen, die konstruktiv nachdenken wollen.

Das ist jedoch nicht nur ein Problem der be­teiligten Parteien, sondern auch der Gewerk­schaften und sozialer Bewegungen. Das Ver­hältnis zwischen Zivilgesellschaft und politi­schen Parteien, vor allem wenn sie an der Regierung sind, ist Gegenstand besonders lan­ger und zermürbender Debatten. Klar ist, dass auch eine linke Regierung sich keine hörige und Beifall spendende Bewegungslandschaft wünschen kann. Schon um an die Macht zu kommen, braucht es gesellschaftliche Mobili­sierung. Das weckt natürlich Erwartungen, an­gesichts des globalisierten Unrechts auch völ­lig zurecht. Gleichzeitig wird jede Regierung mit echten und vermeintlichen Sachzwängen der Umsetzung alternativer Konzepte kon­frontiert sein. Nun kann man eine linke Regie­rung mit maximalistischen Forderungen so­wohl gesellschaftlich kaputt machen, als auch durch falsche Loyalität oder schlimmer noch Fremdgesteuertheit inhaltlich veröden lassen. Kritische Zivilgesellschaft sollte seine Unab­hängigkeit von jeder Regierung bewahren, ohne dass es ihr egal sein kann, welche Partei­en an der Regierung sind. Dieses Spannungs­feld konstruktiv nutzen zu können, ist ein Auf­ruf an das Institut, eine neue Runde in dieser nicht enden wollenden Diskussion zwischen Bewegung und Parteien einzuleiten.

Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, ist Gründungsmitglied des Instituts Solidarische Moderne.

Am 1. Juli veranstaltet der Freitag im Berliner Ballhaus Ost einen Salon zum Thema Rot-Rot-Grün. Gäste: Sven Giegold, Katja Kipping und Sascha Vogt.

Rubrik: Politik, Veröffentlichungen

Bitte teilen!