Sven Giegold

Die G20 und die internationale Steuerpolitik: Schäubles Bande

Wolfgang Schäuble, deutscher Finanzminister

Am Freitag, den 17. März treffen sich die G20-Finanzminister in Baden-Baden. Wolfgang Schäuble sollte seine Blockadehaltung in Fragen der Steuertransparenz aufgeben und das Forum für den Kampf gegen Steuerflucht nutzen. Auf europäischer Ebene fehlt bisher die Bereitschaft dazu. Beitrag für die Heinrich-Böll-Stiftung.

 

Trotz aller Konferenzen und Skandale wurden die globalen Steuersümpfe seit den 1980er Jahren immer tiefer. Der Steuerwettbewerb führte zu niedrigeren Steuersätzen auf global mobile Einkommen und Vermögen, wie Gewinne von Großunternehmen, Kapitaleinkommen von Privatpersonen wie Zinsen und Dividenden, oder auch steuerliche Sonderregelungen für reiche Privatpersonen aus dem Ausland.

Während sich die Märkte rasch globalisierten, waren selbst vergleichsweise kleine Schritte zur Trockenlegung der Steuersümpfe kaum zu erreichen. Nationalstaaten wollen von ihrer, freilich nur noch scheinbaren, Souveränität in Steuerfragen nicht lassen. Denn Steuerregeln sind der heilige Gral des Nationalstaates. Internationale Steuerkooperation erwies sich daher als eine lahme Ente. Mächtige Interessensgruppen hofften zudem, durch den losgetretenen internationalen Steuerwettbewerb den ungeliebten Sozialstaat mit seiner Umverteilung über das Steuersystem endlich kleinkochen zu können. Nationale Spielräume zur Bekämpfung der Steuersümpfe wurden oftmals nicht genutzt.

In Europa verdichten sich die Probleme wie in einem Brennglas. Nirgendwo auf der Welt ist die internationale Öffnung der Märkte so stark vorangetrieben worden, wie im europäischen Binnenmarkt. Das Projekt des Binnenmarktes ist ein historischer Fortschritt, der fatalerweise ohne starke gemeinsame Gesetze im Bereich Steuern und soziale Sicherung auf den Weg gebracht wurde.

Die offenen Grenzen für Waren, Dienstleistungen, Investitionen und Finanzkapital sowie Privatpersonen führten zu einem aggressiven Steuerwettbewerb zwischen den EU-Staaten, der international seines gleichen sucht.

Auch die deutsche Wirtschaft setzt auf die Steuersümpfe

Im Rahmen der Sonderausschüsse gegen aggressive Steuervermeidung und Steuerflucht – TAXE 1 und TAXE 2 – bekam das Europaparlament Einblick in die geheimen Unterlagen des Rates der Mitgliedsländer zur Kooperation in Steuerfragen. Gemeinsam mit dem Europaabgeordneten Fabio de Masi konnte ich in einer aufwändigen Recherche nachweisen, wie über 20 Jahre viel geredet und fast nichts erreicht wurde, wenn es um die Bekämpfung von privater Steuerflucht und Steuerdumping durch transnationale Unternehmen geht.

Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien setzten sich zwar hinter verschlossenen Türen des Brüsseler Rates konsistent über alle Regierungswechsel für mehr Steuerkooperation und für das Trockenlegen der Steuersümpfe ein. Aber gleichzeitig nutzte eine kleine Gruppe von Staaten die Intransparenz der Arbeitsgruppen des Rates aus, um immer wieder mit ihrem Veto ambitionierte Maßnahmen zu blockieren, ohne sich dafür öffentlich rechtfertigen zu müssen.

Die im EU-Vertrag vorgesehene Einstimmigkeit in Steuerfragen ohne Mitentscheidung des Europaparlaments wurde zur Falle. Die Niederlande, Luxemburg, Belgien und Großbritannien blockierten, was sie konnten. Das änderte sich auch nicht durch die neuen Mitgliedsländer, die hier keine entscheidende Rolle spielten. Es waren die Gründungsstaaten der EU, die gemeinsam mit Großbritannien als Hauptbremser auftraten. Deutschland und die anderen geschädigten Mitgliedsländer ließen die Blockierer gewähren.

Es kam – über alle Regierungswechsel hinweg – niemals zu einem Großkonflikt um die Abzocke mit Hilfe steuerlicher Sonderregeln für international mobiles Kapital, obwohl die Schäden für den deutschen Staat sich auf einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag jährlich belaufen.

Die Nutzung dieser Steuersümpfe war und ist in der deutschen Wirtschaft tief verwurzelt. Viele vermögende Privatpersonen haben ihr Geld in die Steueroasen verbracht. Hier geht es nicht nur um wenige Superreiche und Großkonzerne, sondern um eine Praxis, die in relevanten Teilen des Mittelstands akzeptiert war.

Mit der Finanzkrise wurde die G20 zum entscheidenden Ort des Kampfes gegen Steuerflucht

Erst mit der Finanzkrise ab 2007/2008 änderte ich die Lage. Auf globaler Ebene entstand mit der G20 ein neues Forum der internationalen Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Um das globale Finanzsystem zu stabilisieren, mussten die Steuerzahler/innen dieser Staaten gigantische Summen mobilisieren. Schon in den ersten Erklärungen der G20 zur Finanzkrise fand sich das Thema „Steueroasen“ prominent. Denn die G20 hatte im Vergleich zur EU und auch den Vereinten Nationen einen entscheidenden Vorteil: Klassische Steueroasen spielten hier keine Rolle, denn sie sind zu klein, um in die G20 aufgenommen zu werden. Großbritannien und die USA unterhalten und fördern zwar in vielfacher Weise internationale Steuersümpfe. Aber die Akzeptanz des faktischen steuerlichen Sonderrechts für internationale Großunternehmen und Vermögende war durch die Finanzkrise in der eigenen Bevölkerung erschüttert. So wurde die G20 zum entscheidenden Ort des internationalen Kampfes gegen Steuerflucht, Steueroasen und Steuerdumping von Großunternehmen.

Die Agenda der entscheidenden G20-Gipfel der Staatschefs und Finanzminister wurde dabei durch immer neue Skandale stark beeinflusst: Offshore Leaks, LuxLeaks, Panama Leaks. All diese von international vernetzten Journalist/innen mit Hilfe von Whistleblower/innen aufgedeckten Steuerskandale sorgten für Rückenwind. Konkret gelangen dabei zwei zentrale Fortschritte, die noch vor wenigen Jahren als komplett utopisch gegolten hätten:

  • Grenzüberschreitende Kapitaleinkommen von Privatpersonen werden automatisch den Steuerbehörden der Wohnsitzländer gemeldet. Länder, die sich dabei nicht beteiligen, werden perspektivisch als unkooperative Steueroasen sanktioniert.
  • Staaten müssen sich bei ihren steuerlichen Regelungen für Unternehmen am BEPS-Plan („Base erosion and profit shifting“) ausrichten. Dieser Plan verbietet die aggressivsten Steuerdumping-Angebote der Staaten und macht sie für die Steuerbehörden transparenter.

Die G20 bedient sich für die Aushandlung der Details regelmäßig der Ressourcen der OECD, die faktisch Arbeitsaufträge der G20 erhält, auch wenn die Mitgliedschaft in beiden Institutionen nicht identisch ist. Die EU hat die global ausgehandelten Maßnahmen inzwischen in europäisches Recht übersetzt, das nun nach und nach in Kraft tritt. Dabei hat die EU im Wesentlichen nur nachvollzogen, was global schon durchgesetzt war.

Die drei offenen Baustellen

Die G20 war in Sachen Steuerpolitik ein Spiel über Bande. Gerade Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nutzte den Kreis der G20 mit mehreren Verbündeten als Bande, um durchzusetzen, was in Europa alleine nie gelungen wäre. Eine wirkliche Konsequenz aus der eigenständigen steuerpolitischen Handlungsunfähigkeit Europas steht dagegen bis heute aus. An der Einstimmigkeit in Steuerfragen im Rat der Mitgliedsländer wird ebenso wenig gerüttelt, wie an der Intransparenz der Entscheidungsfindung.

Die in der G20 beschlossenen Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um die Steuersümpfe tatsächlich trocken zu legen. Mehrere Großbaustellen verbleiben, sowohl international als auch in Europa:

1. Gemeinsame Bemessungsgrundlage und Gesamtkonzernsteuer statt komplexer Sonderregeln

Der BEPS-Plan ist nur ein erster Schritt auf einem langen Weg gegen globales Steuerdumping von Konzernen. Das ohnehin schon komplexe internationale Steuersystem wird durch die zahlreichen neuen BEPS-Regeln noch komplizierter. Die Wurzel des Steuerdumping-Übels wird nicht gezogen: Weiterhin werden Großkonzerne steuerlich nicht als Einheit behandelt, sondern als bestünden sie aus Hunderten von unabhängigen Firmen. Zu einer gleichmäßigen und bürokratiearmen Besteuerung kommen wir letztlich nur über eine Gesamtkonzernbesteuerung, die den Gewinn eines Unternehmens den Staaten nach einer Formel über gemeinsame Regeln zur Besteuerung zuweist.

2. Mindeststeuersätze

Je mehr Möglichkeiten des Steuerdumpings über die Bemessungsgrundlage eingeschränkt werden, desto härter wird der Wettbewerb um die Steuersätze. Schon heute sehen wir die Tendenz, mobiles Kapital gar nicht mehr zu besteuern. In den Sonderwirtschaftszonen und Steueroasen der Welt geht der Trend eindeutig in Richtung Nullbesteuerung von Gewinnen und Kapitaleinkommen. Dabei wird die Nullbesteuerung Inländer/innen und Ausländer/innen gleichermaßen eröffnet, um die internationalen Regeln gegen unfairen Steuerwettbewerb zu umgehen. Dem muss mit Mindeststeuersätzen begegnet werden, die in reichen Ländern höher und in ärmeren Ländern niedriger sein können. Hier ist bisher nichts geschehen.

3. Finanzkriminalität und Geldwäsche

Während es beim Kampf gegen Steuerdumping und Steuerflucht Fortschritte gab, offenbarten die Panama Papers der Weltöffentlichkeit eine Parallelwelt kriminellen Geldes. Das Schwarzgeld aus Korruption, Waffenhandel, Drogen, Menschenhandel, usw. wird auf fünf Prozent der globalen Wirtschaftsleistung geschätzt. Gegen die Strukturen der Finanzkriminalität aus Briefkastenfirmen und Verschleierung der Besitzverhältnisse wurde bisher wenig unternommen. Die globalen Institutionen gegen Geldwäsche, wie die FATF, sind bisher wenig wirksame zahnlose Tiger. Auf der Agenda der G20 spielte das Thema nur eine untergeordnete Rolle. Genauso wurde zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in der Finanzbranche im Rahmen der G20 und des Financial Stability Boards vergleichsweise wenig unternommen. Die Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität und der Geldwäsche ist daher eine wichtige Zukunftsaufgabe internationaler Zusammenarbeit.

Europa muss jetzt vorangehen

Die G20 hat in den letzten Jahren bewiesen, welches Potential in der internationalen Zusammenarbeit steckt. Ob die Fortschritte sich so fortsetzen lassen, steht in den Sternen. Denn in den Vereinigten Staaten scheint die neue Trump-Administration von globalen Regeln weniger zu halten. Gleichzeitig kann kein Staat der globalisierten Finanzkriminalität Einhalt gebieten. Das können die Länder nur gemeinsam, wenn die Welt offenbleiben soll.

Daher ist umso wichtiger, dass Europa selbst vorangeht. Große Fortschritte in der Steuerpolitik in der EU wird es dabei nur geben, wenn die geschädigten Staaten mehr Konfliktbereitschaft zeigen. Wo es nicht anders geht, kann auch eine kleinere Gruppe von Staaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit die Steuerkooperation vorantreiben.

Gleichzeitig sind große Fortschritte gegen Finanzkriminalität in Europa möglich, wenn sie über ein anderes Bandenspiel erfolgen: Europäische Gesetze gegen Geldwäsche und für Unternehmenstransparenz werden im Mehrheitsverfahren entschieden. Es wäre ein Leichtes, alle Großunternehmen zu verpflichten, jährlich zu veröffentlichen, in welchem Land sie wie viel an Gewinnen erwirtschaften und wie viel an Steuern bezahlen.

Steuertransparenz hilft Investor/innen und der Öffentlichkeit. Bisher ist solche länderbezogene Steuerberichterstattung in der G20 und in Europa nur zwischen Steuerbehörden vereinbart. Die kritische Öffentlichkeit bleibt außen vor. Fatalerweise ist die deutsche Bundesregierung mit Finanzminister Schäuble an der Spitze der entscheidende Gegner von Steuertransparenz. Die gleiche Blockade betreibt Schäuble bei Unternehmensregistern, die die wirtschaftlich Berechtigten von Briefkastenfirmen zur Bekämpfung der Geldwäsche transparent machen.

Das ist fatal, denn nur was in Europa auf den Weg gebracht wird, kann man glaubhaft von anderen Staaten verlangen. Auf der Basis eigener Handlungsfähigkeit zur demokratischen Kontrolle der sich globalisierenden Wirtschaft muss Europa sich international Partner suchen.

Ein Schritt zur globalen Demokratie

Natürlich sind die Legitimationsprobleme eines „Clubs der 20“ nicht gelöst. Letztlich wäre natürlich besser, dass die entschlossenen Staaten noch weitergehen und über eine internationale Konvention im Rahmen der UN eine globale Steuerbehörde auf den Weg bringen. Sie sollten Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern gleichermaßen offenstehen. Doch um weitere Fortschritte zu erreichen, hat sich die G20 in Sachen Steuerkooperation und Regulierung der Finanzmärkte in letzten Jahren als Teil der Lösung erwiesen.

Ungelöst ist bisher die ungenügende parlamentarische und öffentliche Kontrolle der G20. Damit die G20 nicht zu einem von demokratischer Rechenschaftspflicht beruhigten Raum wird, müssen die Verhandlungsprozesse in der G20 transparenter werden. Die Verhandler/innen aus Regierungen und EU müssen mit Mandaten aus den Parlamenten ausgestattet werden. Denn nur eine globale Zusammenarbeit, die letztlich auch demokratisch ist, wird auf Dauer effizient und legitim sein. Die Weiterentwicklung der G20 ist daher nur ein Schritt auf dem langen Weg zu einer globalen Demokratie.

Sven Giegold ist Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament und wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er war Mitbegründer von Attac Deutschland und des internationalen Tax Justice Network.

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Rubrik: Wirtschaft & Währung

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