Sven Giegold

Die ZEIT: Dem Diesel treu

Als Lobbyist der Autobauer versucht die Bundesregierung, eine ökologisch faire Besteuerung von Dieselkraftstoff in der EU zu torpedieren

VON CLAAS TATJE

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel unlängst die Internationale Automobil-Ausstellung in Frankfurt eröffnete, lobte sie das Zusammenspiel von Regierung und Autobauern. Abwrackprämie und Elektromobilität führte sie ins Feld, ehe sie sagte: „Gemeinsames, kohärentes Handeln von Politik und Wirtschaft zahlt sich aus.“ Wie das geht, lasst sich gerade wieder in Brüssel beobachten. Dort torpediert die deutsche Regierung in diesen Monaten eine Gesetzesneufassung zur Erhebung von Energiesteuern. Die neue Richtlinie – so die Furcht – könnte künftig Dieselkraftstoff verteuern.

Wichtigster Ratgeber der Regierung ist dabei der Verband der Automobilindustrie (VDA). In einem internen Protokoll, dessen Adressaten unter anderem Bundeskanzleramt und Finanzministerium waren, berichten deutsche Diplomaten über die Sitzung einer Ratsarbeitsgruppe am 14. Juli in Brüssel zum Thema „indirekte Steuern (Energiesteuer)“. Dort berieten sämtliche EU-Mitgliedsstaaten über den Kommissionsvorschlag. Es „wurde auf die Effizienz von Diesel- im Vergleich zu Ottokraftstoffmotoren und deren Entwicklungspotenziale hingewiesen. Im Anschluss an die Sitzung übergab DEU ein entsprechendes Informationspapier des VDA“ an die polnische Präsidentschaft zur Weiterleitung an die Mitgliedsstaaten und an die Kommission. DEU ist die Abkürzung für Deutschland.

In Kreisen der EU-Kommission wird der Vorfall als „ziemlich ungewöhnlich“ gewertet. Der Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold kritisiert: „Die Bundesregierung blockiert mit den Argumenten der Autolobby den Gesetzgebungsprozess. So unverfroren wird Lobbyarbeit selten in konkrete Politik gegossen.“

Tatsächlich konterkariert die Bundesregierung mit ihrem Vorgehen die europäische Klimaschutzpolitik. Mit dem neuen Richtlinienvorschlag kommt die Kommission nämlich einer Forderung des Rates der Mitgliedsstaaten nach. Bereits im Marz 2008 regten die Regierungschefs „eine Überprüfung der Energiesteuerrichtlinie“ an, „um diese Richtlinie besser mit den Zielen der EU im Bereich Energie und Klimawandel in Einklang zu bringen“.

Nach den erstmals im April vorgelegten Plänen würde sich die Steuer im Wesentlichen an den CO₂-Emissionen der Energieträger ausrichten. Zudem gäbe es eine allgemeine Energieverbrauchsteuer. Heute zahlen Autofahrer innerhalb der EU mindestens 35,9 Cent je Liter Benzin an Energiesteuern. Für Diesel waren es bisher 33 Cent. Bis 2018 wurde die Mindeststeuer für Diesel auf 41,2 Cent steigen, jene für Benzin bliebe mit 35,9 Cent gleich. In Deutschland betragen die Sätze heute schon 65 Cent je Liter für Benzin und 47 Cent für Diesel. Diese De-facto-Subventionierung von Diesel würde die Kommission gern beenden. Denn steuersystematisch gibt es für die Bevorzugung der Dieseltreibstoffe überhaupt keinen Grund.

Dass der Vorschlag von der Kommission in Kraft tritt, erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Deutschland blockiert das Vorhaben an vielen Stellen. „Von DEU wurde – wie auch in der letzten Sitzung – betont, dass eine CO₂-Komponente abgelehnt werde“, heißt es ebenfalls in dem als „vertraulich“ gekennzeichneten Dokument.

Auch der Versuch der Kommission, Steuerermäßigungen für gewerblichen Diesel abzuschaffen, scheitert wohl im Rat. „Gegen eine Streichung der Differenzierung zwischen gewerblich genutztem und nicht gewerblich genutztem Diesel sprachen sich BEL, FRA, ESP, ITA und DEU aus“, heißt es im Protokoll. Das sind die Kürzel der Autobaunationen Belgien, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland.

Der VDA hat in seinem Papier berechnet, dass die Energiesteuer auf Diesel – wegen des im Vergleich zu Benzin höheren Energiegehalts – in Deutschland um 60 Prozent ansteigen wurde. Vorausgesetzt, die Steuer auf Benzin ändert sich nicht. „Die Erhöhung der Steuerbelastung des Diesels“ würde „die Position europäischer Automobilhersteller auf den globalen Märkten deutlich schwachen“.

Das Horrorszenario, das der VDA auf sieben Seiten zusammengetragen hat und das Deutschland an alle 27 Mitgliedsstaaten im Rat verteilen lies, ist jedoch fragwürdig. So ließe sich im Gegenzug die heute höhere Kfz-Steuer auf Dieselautos hierzulande senken, und auf den globalen Markten ist Diesel schon heute weniger gefragt als in Europa. „Es ist ein Trugschluss, dass der deutsche Dieselmotor die Welt erobern kann“, sagt Magnus

Nilsson von Transport & Environment, der Dachorganisation wichtiger Umweltverbände in Brüssel. In wichtigen Märkten wie den USA oder China werden Benzinantriebe oder Hybride von den Autokäufern oder per Regierungserlass bevorzugt.

Die Autolobby setzt dagegen, dass Dieselmotore 25 bis 30 Prozent weniger als herkömmliche Ottomotoren verbrauchen. „Die Erhöhung der Steuerbelastung für Dieselkraftstoffe und die damit verbundenen Nachfragerückgänge bei Diesel-Modellen gefährden die Ziele zur Senkung der CO₂-Emissionen.“

Bei Kommissionsbeamten mag dieses Szenario Erinnerungen wecken an die verpflichtende Einführung von Katalysatoren in den achtziger Jahren. „Der VDA stellt uns mal wieder als blindwütige Regulierer da, aber das ist mitnichten der Fall“, heißt es aus der Kommission. Der Vorteil, dass Dieselfahrzeuge effizienter seien, bleibe ja bestehen. Und auch weitere Argumente der Autolobby entkräftet die Kommission. So garantierten Übergangsfristen von mehr als zehn Jahren, dass die Nachfrage nach Dieselfahrzeugen keinesfalls schlagartig einbrechen werde.

Angesprochen auf die ungewöhnliche Verteilung des VDA-Papiers, zeigen sich Vertreter des Auto-Verbandes überrascht und unschuldig. „Das kann schon mal passieren, dass ein Papier verbreitet wird“, sagte ein Lobbyist, aber „wir haben die Bundesregierung nicht konkret dazu aufgefordert“.

Erschienen in der ZEIT vom 29.09.2011

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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