Die Zeit vom 27.03.2013
Schreck der Banken
Bereits 2001 forderte der Grüne Sven Giegold eine Steuer auf Finanzgeschäfte – und galt als Spinner. Jetzt führt Europa die Steuer ein
VON CLAAS TATJE
Als Sven Giegold das erste Mal 200 Milliarden Dollar von Banken forderte, war er ein Exot. Sein Kampf gegen die Finanzindustrie begann im Sommer 2001. »Wie kann sich ein Markt globalisieren, ohne dass sich die demokratische Kontrolle globalisiert?«, fragte Giegold damals. Er forderte Regeln für Banken, Fonds und Versicherungen, die überall gleichermaßen gelten. Eine Steuer auf deren Geschäfte sollte die Spekulation bremsen und die Entwicklungshilfe finanzieren. Weil der Handel mit Devisengeschäften und anderen Finanzprodukten explodierte, hätte schon eine Steuer von 0,1 Prozent auf den Handelsumsatz die 200 Milliarden Dollar gebracht. Jährlich.
Als deutsche Stimme von Attac galt Giegold Konservativen als linker Spinner, als jemand, der den Kapitalismus nicht verstand. Die Deutsche Bank weigerte sich damals, mit ihm auf Podien zu streiten.
Giegold galt unter Konservativen als linker Spinner, als jemand, der den Kapitalismus nicht verstand
Zwölf Jahre später stehen Europas Finanzminister nun kurz davor, eine entsprechende Steuer tatsächlich einzuführen. Immerhin machen elf Länder, darunter Deutschland und Frankreich, mit. Allerdings streiten sie in Brüssel noch um die Ausgestaltung. Die Deutsche Bank hat Giegold gerade zu einer kleinen, informellen Kaminrunde mit Co-Vorstandschef Anshu Jain eingeladen. Er hat abgesagt.
Sven Giegold steht vor dem größten Triumph seiner politischen Laufbahn, doch er will davon nichts wissen. »In den nächsten Wochen entscheidet sich, ob die Steuer ein Erfolg wird, oder ob sie weiter ausgehöhlt und damit sinnlos wird«, sagt er. Mit jeder zugelassenen Ausnahme sinke der Wert der Steuer, sagt Giegold.
Längst hat er sich von Attac verabschiedet und sitzt für die Grünen als Wirtschaftsexperte im Europaparlament. Giegold ist kein Rebell, bei einem Treffen am vergangenen Donnerstag sind es nur die grünen, gestrickten Socken, die etwas ungewöhnlich wirken. Ansonsten ginge der 43-Jährige mit seinem weißen Hemd, dem Sakko und dem braven Haarschnitt leicht als Mitglied der liberalen Fraktion durch.
Giegold und die Geschichte der Transaktionssteuer lehrt vor allem eines: Jedes Thema braucht seine Zeit. Vor zwölf Jahren ging es noch unter. Dabei konnten die Befürworter der Steuer zunächst durchaus hoffen.
Zusammen mit einigen Mitstreitern hatte Giegold gerade ein Ökozentrum aufgebaut. Die Gruppe bewegte vor allem eine Frage: »Stürzt uns die regellose Macht der Finanzmärkte alle ins Elend?« Giegold schloss sich dem deutschen Ableger der Attac-Bewegung an. In Frankreich stritten bereits Tausende für die Einführung einer weltweiten Steuer auf den Handel mit Finanzprodukten. Vom Namensgeber James Tobin und dessen Denkvater John Maynard Keynes hatte Giegold bereits im Studium gelesen. In Deutschland warben Globalisierungskritiker der Organisation namens Weed dafür.
Schließlich erreichte die Debatte um die Tobinsteuer* im Sommer 2001 sogar das Kanzleramt. Kirchen und Gewerkschaften schlossen sich den Ideen an. Die Pressekonferenz in Berlin war vollkommen überfüllt. Es gab nur ein Problem. Die Konferenz begann am Mittag des 11. September. Zwei Stunden später brachen die Türme des World Trade Center zusammen. Schnell wurde klar, dass es nicht mehr um soziale Gerechtigkeit ging, sondern um »Krieg und Frieden«, wie Giegold heute sagt. Die Tobinsteuer hatte ihre wichtigste Zutat verloren: öffentliche Aufmerksamkeit.
Der Gedanke lebte trotzdem weiter – und wurde bitter bekämpft. Inge Kaul leitete in den 1990er Jahren ein Forschungsbüro der Vereinten Nationen in New York. Zusammen mit Kollegen und mehreren amerikanischen Top-Ökonomen gab sie eine wissenschaftliche Studie über die globale Finanztransaktionssteuer heraus. Daraufhin formulierte der einflussreiche US-Politiker und Republikaner Bob Dole ein Gesetz, wonach die Vereinigten Staaten die finanzielle Unterstützung der Vereinten Nationen stoppen würden, sollten Kaul und ihre Mitstreiter nicht aufhören, die Steuer zu thematisieren. »Auch von deutscher Seite ist uns damals niemand zu Hilfe gekommen. Politische Veränderungen bedürfen halt oft einer Krise, um Akzeptanz zu finden«, sagt Kaul.
Diese Krise kam – im Herbst 2008 mit der Pleite von Lehman Brothers. Es dauerte allerdings noch ein Jahr, ehe sich die Politik wieder des alten Instruments besann. Giegold war inzwischen Europaparlamentarier und schrieb Ende September 2009 eine Mitteilung an die Presse, in der er erneut mahnte: »Wir brauchen dieses Instrument, um einerseits spekulative Finanztransaktionen einzudämmen, andererseits auch, um einen Beitrag zur Deckung der immensen Kosten der Bankenrettung zu bekommen. Sollten die USA oder andere Länder einer solchen Finanztransaktionssteuer ihre Zustimmung verwehren, muss die Europäische Union sie vorerst im Alleingang einführen.«
Am Tag darauf trafen in Pittsburgh die Regierungschefs der 20 führenden Wirtschaftsnationen zusammen. Und siehe da: Auch die deutsche Regierung forderte jetzt die Einführung der globalen Steuer – und scheiterte zunächst.
Das Land stört sich vor allem am sogenannten Residenzprinzip
In Europa kann allein die EU-Kommission entsprechende Gesetze vorschlagen. Nicht immer hat dabei Vernunft Vorrang vor politischer Opportunität. So warnte der Steuerkommissar Algirdas Šemeta im August 2010 vor »beträchtlichen unerwünschten Effekten«, die mit der Steuer einhergingen. Zwei Jahre später klang das schon ganz anders: In einem Interview mit der ZEIT erklärte er, dass die Steuer »von mir aus schon morgen« eingeführt werden könne. Was war passiert? »Der öffentliche Druck stieg wieder«, sagt Giegold. Nachdem sich Wolfgang Schäuble zur Steuer bekannt hatte, habe auch der Kommissar seine Haltung um 180 Grad geändert.
Von nun an war der Grüne nur zum Zuschauen verdammt. Steuergesetze entscheiden die Finanzminister nämlich im Alleingang. Schnell war klar, dass Großbritannien mit Rücksicht auf den Finanzplatz London ausscheren würde, auch Luxemburg war nicht zu überzeugen.
Die Kommission griff daraufhin in eine Trickkiste. Sie berief sich auf das Instrument der verstärkten Zusammenarbeit. Damit kann sie die Einstimmigkeit aller 27 Staaten aushebeln. Jetzt mussten sich nur noch neun Mitgliedsstaaten für die Finanztransaktionssteuer aussprechen, um sie gemeinsam einführen zu können. Am Ende stimmten sogar elf Länder zu. In den nächsten Monaten werden die Details verhandelt. »Ein zweistelliger Milliardenbetrag muss her«, fordert Giegold. Das sei nur möglich, wenn sich kaum jemand der Steuer entziehen könne.
Wie schwer das wird, zeigt ein Blick in interne Protokolle des Auswärtigen Amtes. Darin heißt es: »Die nichtteilnehmenden Mitgliedsstaaten kritisierten den Richtlinienvorschlag (…) teilweise scharf. LUX wies gleich zu Beginn der Beratungen darauf hin, dass Rechtsmittel ausgenützt würden, sofern der Vorschlag angenommen werde. Er sei nicht mit EU-Verträgen vereinbar.« LUX steht für Luxemburg. Dort droht man also unverhohlen mit einer Klage gegen die Finanztransaktionssteuer.
Giegold will jetzt Steueroasen bekämpfen
Das Land stört sich vor allem am sogenannten Residenzprinzip. Demnach wäre für die Steuer entscheidend, wo die Akteure ihren Sitz haben – und nicht, von wo aus sie ihre Transaktionen tätigen. Überdies würden Kleinanleger und die Altersvorsorge von der Steuer betroffen. Allerdings fordert die EU-Kommission heute viel weniger als seinerzeit Giegold: Für den Handel mit komplexen Finanzprodukten geht es nur noch um einen Betrag von 0,01 Prozent auf den Handelsumsatz. Aber selbst das ist Ländern wie Luxemburg zu viel. Und Sven Giegold viel zu wenig: »Die Steuer ist im Vergleich zu den Kosten, die Banken durch ihr Handeln verursacht haben, winzig klein. Aber die Regierungen tun so, als würde der Finanzsektor nun zur Kasse gebeten.« Giegold vermutet trotzdem, dass mit diesem Thema nicht mehr viel zu holen ist. Er hat schon ein neues gefunden. In den nächsten Jahren will er Steueroasen bekämpfen. Giegold glaubt, die Zeit sei jetzt reif dafür.
Weitere Informationen:
*Tobinsteuer
James Tobin schlug 1971 eine Umsatzsteuer für den Devisenhandel vor. Der US-Ökonom wollte den elektronischen Handel eindämmen und Wechselkurse stabilisieren. Von der Organisation Attac distanzierte sich Tobin zu Lebzeiten. Er kritisierte, dass es den Aktivisten vor allem um die Einnahmen aus der Steuer gehe. Tobin hingegen wollte den Devisenhandel bremsen
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