„Deutschland profitiert wie kein anderes Land in der EU vom Euro“
Sven Giegold, Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen, diskutiert mit Michael Breuer, dem Präsidenten des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes
Von Joachim Zinsen, Aachen. Geht es nur um die großen Überschriften, sind sich der Banker und der Politiker schnell einig. ,,Deutschland profitiert wie kein anderes Land in der EU vom Euro“, sagt Michael Breuer, Präsident des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbandes. ,,Wer das Gegenteil behauptet, redet dummes Zeug.“ Sven Giegold, Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen im Europaparlament, nickt. ,,Die Euro-Krise muss der Startschuss zu einer echten europäischen Wirtschaftsunion sein“, sagt Giegold. Dieses Mal nickt Breuer. Bei der Frage allerdings, was denn nun konkret als Text unter diesen Schlagzeilen stehen soll, vertreten der Attac-Mitbegründer und Nordrhein-Westfalens ehemaliger Europaminister von der CDU in einem zentralen Punkt dann doch völlig unterschiedliche Positionen.
Deutlich wurde das am Donnerstagabend auf einer Veranstaltung der Grünen in Aachen. Was hat die derzeitige Schuldenkrise ausgelöst? Für Giegold steht am Anfang ein Versäumnis. ,,Der Euro wurde eingeführt, ohne dass sich die Staaten der Währungsunion auch auf eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik geeinigt haben“, sagt der Grüne. Trotzdem habe das System lange funktioniert, allerdings nur an der Oberfläche. ,,Darunter entwickelten sich die realen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten der einzelnen Volkswirtschaften immer weiter auseinander.“ Deutschland habe seine Exportfähigkeit massiv steigern können, weil hier die Kosten gerade im Lohnbereich niedrig gehalten wurden. Andere Staaten hätten dadurch zwangsläufig an Konkurrenzfähigkeit verloren, sich gleichzeitig aber – wie etwa Griechenland – massiv verschuldet. Zudem seien in Ländern wie Irland oder Spanien gewaltige Immobilienblasen entstanden, die nun geplatzt seien, was wiederum dazu geführt habe, dass heute Banken und öffentliche Haushalte auf gewaltigen Schuldenbergen sitzen. ,,Unsere Profite sind die Schulden der anderen“, fasst Giegold zusammen.
Breuer sieht das offenbar ähnlich. Widerspruch kommt von seiner Seite jedenfalls nicht. Merkel ,,immer hinter der Kurve“ Fakt ist: Die überschuldeten Staaten sind heute kaum noch in der Lage, ihre Kredite ohne EU-Hilfe zu erträglichen Kosten zu finanzieren. ,,Die Bundesregierung trägt daran eine gehörige Portion Mitschuld“, sagt Giegold. Sie sei bei allen Maßnahmen zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung stets ,,hinter der Kurve“ gewesen, habe gebremst und damit die Spekulationen an den Finanzmärkten weiter angeheizt. Das sei bei der gemeinsamen Bankenrettung der EU-Staaten ebenso deutlich geworden, wie bei der finanziellen Hilfe für einzelne überschuldete EU-Länder und bei der Errichtung eines dauerhaften Rettungsschirms. ,,All diese Maßnahmen sind der Regierung von Angela Merkel mühsam abgerungen worden“, betont Giegold. ,,Dadurch ist der Finanzbedarf für die Rettung von Ländern wie Griechenland oder Irland nur noch weiter in die Höhe getrieben worden.“
Dass Giegold diese Meinung vertritt, ist wenig überraschend. Dass er dafür jedoch Rückendeckung von Breuer erhält, ist um so bemerkenswerter. Auch er spricht – ,,allerdings nicht als Politiker, sondern nur als Bankenvertreter“ – davon, dass die Bundesregierung ,,in diesem Fall unglücklich“ agiert und damit manches ,,verschlimmbessert“ habe. Und noch einen Pfeil schießt Breuer auf seine Parteifreundin Merkel ab. Als Giegold verlangt, zur besseren Finanzierung von überschuldeten Staaten Eurobonds auszugeben, findet auch das die Zustimmung des Bankers, obwohl sich die Bundeskanzlerin diesem Schritt bis heute verweigert. Giegold wie Breuer plädieren dafür, den Finanzmarkt stärker zu reformieren und deutlich stärker zu regulieren. Auch für den Banker ist eine ,,internationale Finanztransaktionssteuer“ kein Tabu.
Giegold fordert als Gegenstück zu den drei marktbeherrschenden, privaten Rating-Agenturen den Aufbau einer unabhängigen Rating-Agentur, die als Stiftung organisiert werden müsse. Breuer nickt, merkt aber kritisch an: ,,Warum ist das nicht schon längst geschehen?“ Auch dass die EU endlich eine gemeinsame Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik braucht, ist zwischen Breuer und Giegold unstrittig.
Der große Dissenz entsteht erst bei der Frage, wie aktuell auf die gewaltigen wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Euro-Zone reagiert werden muss. Giegold sieht zum einen die überschuldeten Länder in der Bringschuld. ,,Natürlich müssen sie Sparprogramme auflegen“, sagt der Grüne. ,,Dies sollte aber sozial ausgewogen geschehen. Momentan ist das nicht der Fall. Deshalb steigt unter den Menschen in diesen Ländern auch die Wut auf Europa.“ Zum anderen sieht er jedoch ,,Deutschland und ein, zwei andere EU-Staaten“ in der Pflicht – Länder, die in den vergangenen Jahren ,,deutlich unter ihren Verhältnissen gelebt haben“. Das Verhältnis zwischen Import und Export sei hier in eine völlige Schieflage geraten, weil die Binnenkonjunktur vernachlässigt worden sei. ,,Unsere Exportüberschüsse sind zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass wir uns einen Niedriglohnsektor leisten, der mittlerweile 25 Prozent des Arbeitsmarkts ausmacht“, sagt Giegold. Dies gelte es schleunigst zu ändern. Damit werde nicht nur ein Beitrag zu größerer Verteilungsgerechtigkeit in Deutschland geleistet, sondern auch den schwächeren EU-Staaten wieder Luft zum Atmen gegeben.
,,Das ist ein Rückfall in nationalstaatliches Denken“, kontert Breuer. ,,Wir dürfen unsere Exportwirtschaft nicht schwächen.“ Da sei es dann doch besser, die schwächeren Länder zum radikalen Sparen zu verpflichten und sie einstweilen mit Geld auch aus Deutschland zu unterstützen. So etwas sei ein Akt des Ausgleichs, sagt Breuer und betont nochmals: ,,Deutschland ist das Land, das von der Gemeinschaftswährung am stärksten profitiert hat.“ ,,Unsere Profite sind die Schulden der anderen.“
Erschienen in der Aachener Zeitung vom 9.5.2011