Am 1. April 2012 ging es offiziell los. Ein Element direkter Demokratie für Europa wurde eingeführt: die Europäische Bürgerinitiative (EBI)! Ein Jahr ist das nun her. Ist das ein Grund zum Feiern? Leider nicht!
Nach einem Jahr direkter Demokratie auf europäischer Ebene ziehen wir Bilanz: 27 Bürgerinitiativen wurden gestartet. 1,3 Millionen Unterschriften wurden für die erfolgreiche Initiative für Wasser als Menschrecht gesammelt. Alle restliche Initiativen kamen gemeinsam auf 300.000 Unterschriften. Enttäuschende Zahlen, angesichts der Tatsache, dass 1 Million Unterschriften aus 7 Mitgliedsstaaten nötig sind, damit sich die Europäische Kommission mit dem Thema befassen muss. 12 Monate hat man dafür Zeit.
Die EBI sollte BürgerInnen die Möglichkeit geben, Initiative ergreifen zu können, doch davon kann hier kaum die Rede sein: Um auch nur ansatzweise eine Chance zu haben, in einem Jahr 1 Million Unterschriften über Ländergrenzen hinweg zu sammeln, muss man gut organisiert sein. Initiative von einzelnen BürgerInnen lädt das kaum ein. Die EBI zielt also auf Europäische Organisationen und Netzwerke. Doch auch diese haben es bisher nie geschafft. Mit Ausnahme der Initiative für Wasser als Menschenrecht, die es dank der Kraft der Gewerkschaften im öffentlichen Sektor, wohl schaffen wird.
Für direkte Demokratie muss die Hürde hochliegen, sonst verliert sie ihre Legitimation. Bei der EBI jedoch stimmt das Verhältnis zwischen Aufwand und Effekt nicht. Die Zahl der Unterschriften ist für eine einfache Volksinitiative offensichtlich zu hoch. Zu schwach entwickelt ist die europäische Zivilgesellschaft. Zu wenig ist Europa als Ebene eigenen demokratischen Handelns in den Köpfen der BürgerInnen angekommen. Zu groß sind wohl auch die Frustrationen über Europa. Warum sollte ein junger Spanier Unterschriften an die EU-Kommission für ein Europäisches Grundeinkommen sammeln, während die Troika unsoziale Strukturreformen verordnet?
Die ersten erfolgreichen Bürgerinitiativen sollten aber den Effekt des Instruments nicht unterschätzen. Gerade wegen der Legitimationsprobleme Europas werden die Unterschriften in Brüssel ernst genommen. So reagierte Binnenmarktkommissar Barnier sofort, als die Zahl der Unterschriften abhebte, wenn auch nur mit Nebelwerfen durch kleine Korrekturen an seiner Konzessionsrichtlinie.
Dieser Umgang Barniers mit der ersten erfolgreichen EBI ist ein Anschlag auf die Europäische Demokratie. Scheinkorrekturen, die das Kernanliegen der EBI völlig verfehlen, müssen die ohnehin wenigen europäisch denkenden Aktivbürger frustrieren. Motto: Die machen eh was sie wollen.
Die Europäische Zivilgesellschaft sollte die EBI mehr nutzen. Das Instrument kann die eigene Moblisierungsfähigkeit stärken und um eine europäische Dimension ergänzen. Doch hierfür muss das Modell EBI grundlegend überarbeitet werden.
Bei der Revision der Richtlinie sollten Kommission, Rat und Europaparlament zweierlei in Angriff nehmen: Die Absenkung der Hürden und die Anhebung des Effekts einer erfolgreichen EBI. Wird eine EBI abgelehnt, sollte der Weg zu einem europäischen, verbindlichen Bürgerentscheid geöffnet werden. Dann wäre die EBI nicht mehr eine aufwändige europäische Unterschriftensammlung, sondern der erste Schritt echter direkter Demokratie.
Hier noch einige nützliche Links:
Tabellarische Übersicht über die Bürgerinitiativen des ersten Jahres
Link zur Veranstaltung „European Citizens‘ Initiative Day“ mit weiteren Hintergrundinformationen