Sven Giegold

Großer Eklat zu PRIIPs abgewendet: EIOPA beugt sich Forderungen des Europaparlaments

Logo der Versicherungsaufsicht IOPA in groß

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,

der ganz große Eklat blieb gerade noch einmal aus: Vorgestern, am 3. Februar 2021, verabschiedete die Europäische Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA im zweiten Anlauf einen lange erwarteten Regelungstext zur sogenannten PRIIPS-Verordnung und beugte sich damit Forderungen der EU-Kommission und des Europaparlaments. Zuvor hatte sich die Behörde, die gestern mit einer Konferenz ihr zehnjähriges Bestehen feierte, in beispielloser Weise über den Willen der europäischen Gesetzgeber hinweggesetzt. Der Vorgang offenbart erneut, dass das europäische Aufsichtsmodell mit drei separaten Aufsichtsbehörden für Banken, Finanzmärkte und Versicherungen ineffizient und unberechenbar ist. Das Europaparlament fordert hier schon seit Jahren schlankere Strukturen, scheiterte aber stets am Widerwillen der Mitgliedstaaten.

Im Zentrum der Kontroverse steht ein Herzensprojekt des Europaparlaments: Mit der PRIIPs-Verordnung wurden 2018 über verschiedenste Finanzprodukte – von Fonds bis hin zu Versicherungen – hinweg einheitliche “Beipackzettel” eingeführt. Diese Key Investor Information Document (KIID) genannten Dokumente sollen Anleger in die Lage versetzen, verschiedene Produkte objektiv zu vergleichen und insbesondere bei Verlustpotenzialen und Gebühren Transparenz herstellen. An dem Projekt war ich von Anfang an als grüner Schattenberichterstatter beteiligt. Den drei europäischen Aufsichtsbehörden für Banken (EBA), Finanzmärkte (ESMA) und Versicherungen (EIOPA), genannt ESAs, kam im Gesetz die zugegebenermaßen nicht ganz einfache Aufgabe zu, für die verschiedenen Produkte die genauen Bestimmungen für die Erstellung der KIIDs auszuarbeiten.

Ein besonderer Streitpunkt war dabei von Anfang an die Ermittlung der möglichen Szenarien für die Wertentwicklung. Uns als Europaparlament war es sehr wichtig, dass in den KIIDs nicht die historische Wertentwicklung des Produkts abgebildet wird. Studien zeigen, dass Endverbraucher*innen dazu neigen, für die Zukunft eine ähnliche Entwicklung anzunehmen, ohne die tatsächlichen Risiken realistisch zu berücksichtigen. So werden in ruhigen Marktphasen historische Gewinne unkritisch in die Zukunft extrapoliert. Stattdessen sollen im KIID vorausschauende Performance-Szenarien die mögliche zukünftige Wertentwicklungen des Produkts angemessen abbilden. Im Gesetzestext findet sich diese Vorgabe explizit. Offensichtlich hatten wir damit einen wunden Punkt getroffen, denn von Anfang an liefen Lobby-, aber auch einige Anlegerverbände, dagegen Sturm. Nach einigem Ringen wurden dennoch im März 2017 KIID-Bestimmungen verabschiedet, die die gesetzlich vorgesehenen Performance-Szenarien enthielten.

Vor rund einem Jahr hätten die ESAs einen überarbeiteten Entwurf der KIID-Bestimmungen vorlegen sollen. Hintergrund war die Ausweitung des KIID auf die größte Klasse von Investmentfonds, die sogenannten UCITS. Darunter fallen die meisten Investmentfonds, die Bankkunden als Anlage angeboten werden. UCITS waren zunächst für eine Übergangsfrist vom Gesetz ausgenommen, sollen aber ab dem 01.01.2022 ebenfalls ein KIID gemäß PRIIPs erhalten. Im Rahmen der Überarbeitung flammte die alte Diskussion um die historischen Wertentwicklungen wieder auf, und Anfang 2020 schienen die ESAs tatsächlich gewillt, diese entgegen des anderslautenden Gesetzestextes in das KIID aufzunehmen. Zusammen mit meinen Parlamentskollegen Jonás Fernández von den Sozialdemokraten and Sirpa Pietikäinen von den Christdemokraten schrieb ich daraufhin einen Brief an die Vorsitzenden von ESMA und EIOPA, in dem wir sie an den Willen des Gesetzgebers bei PRIIPs erinnerten. In anschließenden Gesprächen mit den ESAs und der Kommission wurde ein Kompromiss ausgearbeitet: Das KIID würde auch in Zukunft nur vorausschauende Performance-Szenarien enthalten, aber die Anbieter dürften die historische Entwicklung auf ihrer Website veröffentlichen und im KIID darauf verweisen. Der Streit schien damit ausgeräumt und auch ich hätte mich mit dieser Kompromisslösung abfinden können.

Doch als im Juli die finale Abstimmung in den ESAs anstand, verweigerte das oberste Entscheidungsgremium von EIOPA, der Rat der Aufseher, seine Zustimmung. Zwar hatten EBA und ESMA dem Text zugestimmt, doch für eine Entscheidung brauchte es alle drei Behörden. In einem bemerkenswerten Brief an die EU-Kommission erklärten die ESAs daraufhin schlicht, dass sie nicht in der Lage sein würden, einen überarbeiteten Entwurf vorzulegen. Damit blockierten die ESAs de facto die Umsetzung geltenden europäischen Rechts, denn ohne aktualisierte KIID-Bestimmungen lag die vorgesehene Ausweitung auf UCITS auf Eis. Der gleichgültige Tonfall des Briefs setzte dem Ganzen die Krone auf. Mehrere Monate blieb unklar, wie es weitergehen sollte. Schließlich stellte die Finanzkommissarin Mairead McGuinness den ESAs im Dezember in einem Brief ein Ultimatum: Würden diese nicht binnen 6 Wochen einen Entwurf verabschieden, würde die Kommission dem Parlament und den Mitgliedstaaten einen eigenen Entwurf vorlegen. Diese unverhohlene Drohung, garniert mit einigen Gesten des guten Willens, zeigte Wirkung. Trotz der weiter bestehenden Vorbehalte einiger Mitglieder stimmte der Rat der Aufseher von EIOPA gestern kurz vor Ablauf der Frist schließlich mehrheitlich für den Entwurf.

Man könnte sagen: Gerade noch einmal gut gegangen. Doch der Schaden ist bereits eingetreten. Die Anwendung des neuen KIID auf UCITS muss wohl verschoben werden, damit den Anbietern ausreichend Implementierungszeit bleibt. Außerdem zeigen die Vorgänge erneut sehr deutlich, wie unausgegoren das Modell der drei separaten Aufsichtsbehörden ist. Bei Entscheidungen des sogenannten Joint Committees der ESAs wie im vorliegenden Fall müssen gleich drei Gremien zustimmen, in denen jeweils alle sämtlichen 27 EU-Mitgliedstaaten vertreten sind. Dabei kommt es immer wieder vor, dass dieselbe Behörde, z.B. die deutsche BaFin, in den Gremien unterschiedlich abstimmt. Das macht die Abstimmungen zeitaufwendig und oft unvorhersehbar. Bei der Gründung der ESAs vor zehn Jahren setzte sich das Europäische Parlament deshalb vehement für eine Zusammenführung der Behörden und eine Verschlankung der Entscheidungsprozesse ein. Auch bei der Überarbeitung des Systems Europäischer Finanzaufsichtsbehörden wurden die Vorschläge des Europaparlaments stark abgeschwächt, die Entscheidungsstrukturen der Behörden effizienter zu gestalten. Gerade die deutsche GroKo aus CDU, CSU und SPD stand hier auf der Bremse. Wenn Europa mit seiner Vision einer Kapitalmarktunion ernst machen will, muss es hier unbedingt nachbessern. Wir brauchen eine starke gemeinsame Finanzaufsicht, die sich an den Interessen der Investor*innen und Verbraucher*innen orientiert.

Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold

 

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Brief der ESAs an die Kommission über die Nicht-Veröffentlichung eines RTS-Entwurfs vom Juli 2020:
https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/esas_2020_19_outcome_of_esa_review_on_priips.pdf

 

Mein Brief an die Vorsitzenden von ESMA und EIOPA zusammen mit Jonás Fernández (S&D) und Sirpa Pietikäinen (EVP) vom April 2020:
https://sven-giegold.de/en/letter-esma-eiopa-priips-kid/

 

Brief von Finanzkommissarin Mairead McGuinness an die ESAs vom Dezember 2020:
https://www.eiopa.europa.eu/sites/default/files/publications/letters/8504351_201218_letter_to_esas_on_priips_mmg.en_.pdf

 

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