Sven Giegold

EIOPA Stresstest 2016 verschleiert den schlechten Zustand des europäischen Versicherungsmarktes

Logo der Versicherungsaufsicht EIOPA

Am Donnerstag veröffentlichte die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) ihren EU-weiten Stresstest für den europäischen Versicherungssektor. Die Ergebnisse sehen auf den ersten Blick erfreulich aus, aber eine nähere Betrachtung gibt Anlass zu ernster Besorgnis. Ein begleitender, heute veröffentlichter EIOPA-Bericht zeigt, dass einige Versicherer ihre Solvency-Eigenkapitalanforderung (SCR – der gesetzlich vorgeschriebene Mindestüberschuss von Vermögenswerten über Verbindlichkeiten) nur deshalb erfüllen, weil sie sogenannte Langzeitgarantiemaßnahmen (LTG) und Übergangsregelungen anwenden dürfen. Diese Erleichterungen wurden den aufsichtsrechtlichen EU-Regeln für die Versicherer (Solvabilität II) im Jahr 2014 unter enormen Druck von verschiedenen nationalen Versicherungsbranchen hinzugefügt. Sie verhindern, dass die Versicherer zügig ernsthafte Maßnahmen ergreifen müssen, um mit dauerhaft niedrigen Zinssätzen fertig zu werden.

Ohne diese Maßnahmen haben drei Gesellschaften sogar eine SCR-Quote unter 0%, was bedeutet, dass der Wert ihrer Vermögenswerte unterhalb einer vorsichtigen Schätzung des Wertes ihrer Kundenversprechen liegt.

Für den Stresstest summieren sich die Maßnahmen auf insgesamt 157 Milliarden Euro. Die Maßnahmen erhöhen die Höhe der anrechnungsfähigen Eigenmittel um 107 Milliarden Euro und senken die SCR-Anforderung um 50 Milliarden Euro. Heruntergebrochen auf einzelne Länder würden die Versicherer in Griechenland, Portugal und Großbritannien die SCR-Hürde von 100% reißen, wenn sie nicht die Möglichkeit hätten, LTG-Maßnahmen anzuwenden.

Die Ergebnisse des Stresstests zeigen nur den Überschuss von Vermögenswerten über Verbindlichkeiten, nicht aber die Kapitalanforderung. So ist nicht klar, ob auch nach Stress die Kapitalanforderungen noch erfüllt sind. Im Gegensatz zum Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) veröffentlicht EIOPA keine Ergebnisse für einzelne Versicherer, sondern nur aggregierte Daten.

Leider beschränkt sich der EIOPA-Jahresbericht zu LGT-Maßnahmen auf die 236 Versicherer (vor allem Lebensversicherungsgesellschaften), die schon im Stresstest enthalten sind, während der europäische Versicherungsmarkt aus 3050 Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen besteht.

Die Solvabilitätsrichtlinie 2 verlangt eine jährliche Berichterstattung aller Versicherer an ihre Aufseher, damit EIOPA ein vollständiges Bild der Auswirkungen der LTG-Maßnahmen erhält.  Obwohl sie dazu ermächtigt waren, haben die nationalen Aufsichtsbehörden die Versicherungsunternehmen aber offenbar nicht mit zusätzlicher Berichterstattung belasten wollen. Sie haben also darauf verzichtet, so früh wie möglich auf die systemischen Implikationen der LTG-Maßnahmen zu schauen. Das gesamte Bild wird EIOPA folglich erst 2017 zeichnen können.

 

Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert:

„Die Ergebnisse des EIOPA Stresstests beschönigen die schlechte Verfassung des europäischen Versicherungsmarktes. Mehrere Unternehmen überspringen die gesetzliche Solvabilitätshürde nur dank großzügiger Entlastungsmaßnahmen. Diese Erleichterungen wurden auf Drängen der Versicherungsbranche gewährt, die sich kaum um die Erfüllung ihrer Kundenversprechen sorgt, dafür aber umso mehr die Aufdeckung der verheerenden Folgen dauerhafter Niedrigzinsen fürchtet. Den Versicherern wird das Auspacken dieses besonderen Weihnachtsgeschenks gefallen, den europäischen Bürgern hingegen nicht. Die Lage in Griechenland, Portugal und dem Vereinigten Königreich ist alarmierend. Drei Versicherungsunternehmen haben tatsächlich negative Eigenmittel, aber EIOPA und das Feigenblatt der LTG-Maßnahmen halten diese Zombie-Versicherer am Leben. Für viele weitere Versicherer wäre landunter, wenn die kalkulatorischen Zinssätze („ultimate forward rate“), die den langfristigen Verpflichtungen zugrunde liegen, nicht so übermäßig optimistisch wären.

EIOPA sollte die Schwachstellen der Versicherer ernsthaft beurteilen und die Ergebnisse für einzelne Versicherer veröffentlichen, wie dies für Banken erfolgt. Ebenso ist die Auswirkung der Erleichterungsmaßnahmen für alle Versicherungsunternehmen und nicht nur für die größten zu berechnen. Wir fordern EIOPA und die nationalen Aufsichtsbehörden auf, das vollständige und realistische Bild des Versicherungssektors bereitzustellen und die Zombie-Versicherer dazu zu zwingen, ihr Geschäftsmodell zu ändern oder sie zu restrukturieren.“

 

Mehr Informationen zum EIOPA Stresstest 2016 gibt es hier:

https://eiopa.europa.eu/Pages/Financial-stability-and-crisis-prevention/Stress-test-2016.aspx

 

Der EIOPA Bericht zu Langzeitgarantiemaßnahmen findet sich hier:

https://eiopa.europa.eu/Publications/Responses/EIOPA-BoS-16-279_LTG_REPORT_2016.pdf

Rubrik: Wirtschaft & Währung

Bitte teilen!