Sven Giegold

Europäisches Parlament stärkt Soziale und Solidarische Ökonomie

Das Europäische Parlament hat am Dienstag den 20.11. seinem Bericht zur Initiative für soziales Unternehmertum verabschiedet. Europaweit gibt es mindestens 2 Millionen Unternehmungen wie Genossenschaften, Vereine, Stiftungen und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit mit ca. 11 Millionen Beschäftigten. 2011 hatte die Europäische Kommission ein Programm zur Förderung der Sozialen und Solidarischen Ökonomie vorgestellt. Es verbessert die Sichtbarkeit des Sektors, die rechtlichen Rahmenbedingungen und den Zugang zu Finanzierungsmitteln.

Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament und Grüner Schattenberichterstatter erklärt:

Der mit breiter Mehrheit verabschiedete Bericht des ÖVP-Abgeordneten Becker greift viele Forderungen aus meinem Bericht zur Unterstützung des Genossenschaftssektors vom März diesen Jahres auf.

Unternehmen mit Gemeinwohl-Zielen sind ein wichtiger Bestandteil einer ökologisch-sozialen Wirtschaftsordnung. Die Vorschläge der Kommission zur Förderung dieses Sektors sind richtig und wichtig. Das Parlament stärkt hier der Kommission vollumfänglich den Rücken.

Das Europaparlament macht darüber hinaus weitere Vorschläge, wobei viele Grüne Ideen in den Bericht eingeflossen sind.

Die Bekanntheit von Sozialunternehmen soll gestärkt und ihre Sichtbarkeit erhöht werden. Wir fordern die Kommission deshalb zu einer umfassenden Informationkampagne und zu Vorschlägen zur besseren statistischen Erfassung dieser Unternehmen auf. Wir begrüßen es, dass Vereine, Genossenschaften und Stiftungen durch europäische Statute gestärkt werden. Besonders erfreulich ist, dass der Bericht ausdrücklich die nötige Besserstellung von gemeinwohlorientierten Unternehmen im europäischen Binnenmarkt betont. Der Sektor braucht einen besseren Zugang zur öffentlichen Auftragsvergabe und zu Krediten und Darlehen. Außerdem sollen bürokratische Hürden für die finanzielle Unterstützung aus EU-Mitteln abgebaut werden.

Leider wird im Text nicht immer deutlich, wie vielfältig die Tätigkeiten von Unternehmen der Sozialökonomie sind. Sie arbeiten in jedem erdenklichen Bereich der Wirtschaft, nicht nur in klassischen sozialen Dienstleistungen wie Pflege und Integration.

Es ist bedauerlich, dass trotz der Verpflichtung der Kommission aus dem Jahr 2004, Genossenschaften zu stärken, bisher wenig Fortschritte zu verzeichnen sind. Daher müssen gerade im Jahr der Genossenschaften jetzt wirksame Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.

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Die zentralen Forderungen des Berichts im Überblick:

Sensibilisierung und Kenntnisse verbessern

Das Europäische Parlament

  • fordert Anerkennung und angemessene finanzielle und strukturelle Unterstützung der Arbeit der verschiedenen sozialwirtschaftlichen Sektoren auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene;
  • fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass Sozialunternehmen nicht im Vergleich zu anderen Unternehmensarten benachteiligt werden, die sich die lukrativen Bereiche als „die Rosinen“ in der Sozialwirtschaft „herauspicken“;
  • fordert eine angemessene Unterstützung für die Fortführung des Programms „Erasmus für junge Unternehmer“, um seine Attraktivität und Wahrnehmbarkeit in der Sozialwirtschaft zu verbessern
  • unterstützt die Einführung von europäischen Statuten für Verbände, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit und Stiftungen sowie die Vereinfachung des Status für die Europäische Genossenschaft;
  • fordert die Mitgliedstaaten, die bisher noch kein nationales Statut für Gesellschaften auf Gegenseitigkeit eingeführt haben, auf, dies zu tun;
  • fordert eine von der Kommission initiierte und in Zusammenarbeit mit den Sozialunternehmen durchgeführte vergleichende Studie zu den verschiedenen nationalen und regionalen Rechtsrahmen EU-weit und zu den Arbeitsbedingungen und Charakteristika von Sozialunternehmen, einschließlich ihrer Größe und Zahl und ihrer Tätigkeitsbereiche sowie zu nationalen Zertifizierungs- und Kennzeichnungssystemen;
  • fordert die Kommission auf, für ein besseres Verständnis für und bessere Kenntnisse über Sozialunternehmen und die Sozialwirtschaft zu sorgen und die Sichtbarkeit von beiden zu verstärken, indem sie unter anderem im Rahmen des 8. Rahmenprogramms (Horizont 2020) die wissenschaftliche Forschung fördert, und einen regelmäßigen Tätigkeitsbericht zu Sozialunternehmen und ihren sozialen Leistungen zu veröffentlichen;
  • fordert die Mitgliedstaaten auf, der Aufforderung der Kommission zur Einreichung von Vorschlägen Folge zu leisten, damit verlässliche Statistiken über die Sozialunternehmen von den nationalen statistischen Ämtern erstellt werden;
  • fordert eine breit angelegte – durch die Kommission, die Mitgliedsstaaten und die Sozialpartner unterstützte – Informationskampagne, die durch die Einführung einer allgemein verfügbaren mehrsprachigen Website gestartet wird, welche den Bürgern schnelle und einfache Informationen über soziale Produkte und Dienstleistungen bietet.
  • unterstützt den Vorschlag der Kommission, eine mehrsprachige, allgemein verfügbare und nutzerfreundliche Online-Plattform für Sozialunternehmen einzurichten, die u. a. „Peer Learning“ und den Austausch bewährter Modelle ermöglichen, die Entwicklung von Partnerschaften fördern, den Informationsaustausch betreffend den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und Ausbildungsmöglichkeiten erleichtern und als Netzwerk für grenzüberschreitende Zusammenarbeit dienen soll
  • fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf zu prüfen, ob die Einführung eines „Europäischen Sozialgütesiegels“, das den Sozialunternehmen für einen besseren Zugang zum öffentlichen und sozial innovativen Auftragswesen verliehen werden soll, ohne die Wettbewerbsregeln zu verletzen, zweckmäßig und wünschenswert ist; schlägt vor, dass die Unternehmen, die mit einem solchen Gütesiegel ausgezeichnet wurden, regelmäßig auf die Einhaltung der dem Gütesiegel zugrundeliegenden Bestimmungen überprüft werden sollten;
  • fordert die Mitgliedstaaten auf, zu prüfen, welche Vorteile die Einbeziehung der Prinzipien von Sozialwirtschaft, sozialem Unternehmertum und sozialer Verantwortung in den Inhalt von Lehrplänen von Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen sowie in die Programme für ein lebenslanges Lernen haben, um zur Entwicklung von sozialen und bürgerschaftlichen Kompetenzen und zur Unterstützung der Arbeitsvermittlung in Sozialunternehmen beizutragen; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten ferner auf, die herkömmliche und internetgestützte Bildung sozialer Unternehmer zu unterstützen und eine engere Zusammenarbeit zwischen Sozialunternehmen, Wirtschaftsunternehmen und Wissenschaftlern zu fördern, damit eine stärkere Sensibilisierung und ein besseres Verständnis im Hinblick auf Sozialunternehmen erreicht sowie jedwedes möglicherweise existierende Stereotyp bekämpft wird;

Rechtsrahmen im Binnenmarkt zur Unterstützung von Sozialunternehmen anpassen

  • fordert Regeln für das öffentliche Auftragswesen in der EU, denen der Grundsatz des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ anstelle des Grundsatzes der „geringsten Kosten“ zugrunde liegt, wenn es um die Auftragsvergabe für Dienstleistungen geht;
  • hält es für notwendig, Bedingungen zu schaffen, unter denen Sozialunternehmen finanzielle Unabhängigkeit erreichen und eine Geschäftstätigkeit aufnehmen können;
  • fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Unterstützung der Sozialen und Solidarischen Ökonomie im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode zu berücksichtigen.
  • fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Sozialunternehmen in Aktionspläne für Beschäftigung und soziale Integration einzubinden, und unterstützt die Einführung eines „Europäischen Preises für soziales Unternehmertum“, um seine sozialen Auswirkungen anzuerkennen;

Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten erleichtern

  • unterstreicht die Notwendigkeit der Unterstützung sozialer Unternehmen mit ausreichenden finanziellen Mitteln auf lokaler, regionaler, nationaler und EU-Ebene und verweist auf die entsprechenden Mittel im Mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 (wie Europäischer Sozialfonds, Europäischer Fonds für regionale Entwicklung und Europäisches Programm für sozialen Wandel und Innovation, Programm für Forschung und Innovation sowie Horizont 2020);
  • hebt hervor, dass der Zugang zu EU-Mitteln erleichtert werden muss, während gleichzeitig eine angemessene Flexibilität auf Ebene der Mitgliedstaaten zuzulassen ist, und dass Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt und transparent ausgewiesen und darüber hinaus organisatorische, administrative und Rechnungslegungsanforderungen vereinfacht werden sollten.
  • begrüßt die Annahme des korrigierten Katalogs von EU-Vorschriften über staatliche Beihilfen im Zusammenhang mit sozialen und lokalen Dienstleistungen und fordert die Kommission dazu auf, diese Vorschriften weiter zu verdeutlichen, um sie für lokale und regionale Behörden insbesondere im Hinblick auf Sozialunternehmen leichter verständlich und anwendbar zu gestalten;

Link zum verabschiedeten Bericht: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2012-0429+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE

Mein Bericht zur Unterstützung des Genossenschaftssektors (März 2012): http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2012-0071+0+DOC+XML+V0//DE

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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