Europaparlament, EU-Kommission und Rat der Mitgliedsstaaten arbeiten gerade an der Umsetzung eines Kernbestandteils der EU-Finanzmarktreformen: Die Einführung eines einheitlichen und leicht verständlichen Finanzprodukt-Informationsblatts, das Europaparlament und Rat im April 2014 im Rahmen der sogenannten “PRIIPs-Verordnung” (EU-Sprech: “Verordnung über Basisinformationsblätter für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und Versicherungsanlageprodukte”) beschlossen haben.
Während der Umsetzungsarbeit hat der Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments am 1. September 2016 die von der Kommission verabschiedeten Detailvorschläge zur Umsetzung der PRIIPs-Verordnung (“delegated regulation”/”delegierte Verordnung”) abgelehnt. Mit dieser Ablehnung quittierte das Europaparlament das zentrale Manko der Kommissionsvorschläge: Die detaillierten Umsetzungsregeln hätten zu unrealistischen Ertragsprognosen für Anlageprodukte geführt, die in vielen Fällen zu optimistisch ausgefallen wären. Verbraucher wären dadurch in die Irre geführt worden.
Im Gegensatz zur Entscheidung des ECON-Ausschusses vom 1. September ist das Ergebnis der heutigen Abstimmung des Europaparlaments für die Kommission bindend. Das Plenum hat mit einer breiten Mehrheit die Vorschläge der Kommission abgelehnt und damit das Ergebnis vom 1. September bestätigt. Durch die heutige Plenumsentscheidung erhält die Kommission ein “Mandat” zur Überarbeitung ihrer Vorschläge. Gleichzeitig ist das Abstimmungsergebnis eine Premiere: Zum ersten Mal hat das Europaparlament im Bereich der Finanzmarktregulierung Umsetzungsvorschläge der Kommission abgelehnt.
Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament, kommentiert:
“Mit der heutigen Ablehnung setzt das Europaparlament ein deutliches Zeichen: Im Zweifel hat der Verbraucherschutz Vorrang. Das Finanzprodukte-Informationsblatt darf die Verbraucher nicht in die Irre führen. Gerade Prognosen zu zukünftigen Erträgen von komplexen Anlageprodukten dürfen deshalb keinesfalls überoptimistisch sein. Mit ihren in letzter Minute vorgelegten Reparaturversuchen konnte die Kommission die Abgeordneten nicht überzeugen. Bei der jetzt anstehenden Überarbeitung muss die Kommission deshalb darauf achten, dass ihre Vorschläge auf rechtlich solidem Fundament stehen und in der Praxis funktionieren.
Mit der heutigen Abstimmung hat das Europaparlament zum ersten Mal im Bereich Finanzmarktregulierung Vorschläge der Kommission zu Umsetzungsregeln zurückgewiesen. Die Abgeordneten haben damit bewiesen, dass sie nicht nur auf Augenhöhe mit dem Rat Richtlinien und Verordnungen verhandeln können, sondern dass sie auch ihr Kontrollrecht wahrnehmen, wenn es um die Umsetzungsregeln von Gesetzen geht. Die Kommission sollte den Warnschuss ernst nehmen: Die Abgeordneten werden es nicht mehr akzeptieren, wenn weiterhin die Bedenken des Europaparlaments ignoriert werden. Die in der Vergangenheit oftmals praktizierte “taube Ohren”-Strategie der Kommission verlängert unnötigerweise den Arbeitsprozess, anstatt zu einer Lösung zu führen.
Aufgrund von gravierenden inhaltlichen Mängeln in den Umsetzungsregeln hat das Europaparlament heute die Kommissionsvorschläge abgelehnt. Trotzdem setzen wir uns weiterhin mit aller Kraft für die korrekte Umsetzung der PRIIPs-Verordnung ein. Diese Verordnung verbessert grenzüberschreitend Wettbewerb und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten für Privatanleger. Diese Unterstützung für die PRIIPs-Verordnung hat heute eine breite Plenumsmehrheit durch einen mündlichen Änderungsantrag unterstützt: Bis auf eine mögliche Anpassung des Eintrittsdatums soll die PRIIPs-Verordnung während der anstehenden Umsetzungsarbeit in keinem Punkt geändert werden. Nach der heutigen Abstimmung wollen wir gemeinsam mit der Kommission an einer zügigen Überarbeitung der PRIPPs-Umsetzungsregeln arbeiten.”
Unseren Kommentar zur Abstimmung des ECON-Ausschusses über die PRIIPs- Umsetzungsregeln finden Sie hier: https://sven-giegold.de/2016/finanzmarktpolitik-premiere-europaparlament-blockiert-umsetzungsregeln-fuer-komplexe-anlageprodukte-priips/