Rettet die Bankenunion!
Von Sven Giegold. Eine Bankenunion würde die Institute zwingen, notleidende Kredite abzuschreiben. Eine europaweite Einlagensicherung könnte einen Ansturm im Pleitefall verhindern. Doch Deutschland verhindert beides.
Sommer 2013: Immer wieder hört man Gerüchte, die Banken in Südeuropa seien deutlich unterkapitalisiert. Massive Risiken in ihren Büchern seien noch nicht abgeschrieben. Kein Grund zur Sorge: Der Europäische Rat hatte 2012 mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen, die teuflische Spirale aus Bankenpleiten und Staatsinsolvenzen mittels einer europäischen Bankenunion zu durchbrechen. Doch es ist Wahlkampf in Deutschland. Die Kanzlerin ziert sich. Die Wahl könnte verlorengehen. Die Welt schaut fassungslos auf Deutschland. Wird erneut die Angst vor dem Wähler in Deutschland zur Panik in Europa führen und die schwelende Krise neu explodieren?
Zwei Beschlüsse haben im Herbst letzten Jahres dazu geführt, dass sich die Spekulationen auf Staatsinsolvenzen und ein Auseinanderbrechen des Euro beruhigt hatten: die Ankündigung von Draghi, notfalls Staatsanleihen aufzukaufen, sowie der Ratsbeschluss zur Bankenunion. Spanien war zuvor unter Beschuss der Spekulanten gekommen, weil das spanische Bankensystem so viele staatliche Rettungsgelder benötigen konnte, dass dies zu einer Staatsinsolvenz hätte führen können. Mit dem Beschluss des Rates, nach Einführung einer Bankenunion notleidende Banken als letztes Mittel aus dem ESM zu rekapitalisieren, wurde diese Sorge deutlich abgemildert.
Die Wirtschaftswissenschaft und insbesondere die Märkte atmeten vor Erleichterung auf. Unterkapitalisierte Banken sind in der Tat das dringendste ökonomische Problem der Krise in Europa. Bankenpleiten könnten leicht zu einer neuen Kernschmelze des Finanzsektors führen, so wie nach Lehman im Jahr 2008. Bankenrettungen können hingegen selbst einen soliden Staatshaushalt sprengen und unter den europäischen Rettungsschirm zwingen. Ob dieser für ein großes Land wie Spanien und Italien ausreichend dimensioniert ist, kann leicht bezweifelt werden.
Das „Weiter so“-Szenario, bei dem die Banken ihre notleidenden Kredite prolongieren anstatt abzuschreiben und die nationale Aufsicht aus Angst vor der unbeherrschbaren Bankenpleiten die Augen schließt, führt zu dem aus Japan wohl bekannten Teufelskreis. „Zombie-Banken“, die keine Kraft mehr zum Leben haben, vergeben keine neuen Kredite für vielversprechende Investitionen sondern verlängern Kredite von „Zombie-Unternehmen“. Diese wiederum sanieren sich zu Tode, anstatt zu investieren und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Folge in Japan waren zwei verlorene Jahrzehnte.
Eine Bankenunion würde diesen Teufelskreis durchbrechen: eine neue, unvoreingenommene europäische Aufsicht hätte keine Angst, durch ein hartes Vorgehen auf früheres eigenes Versagen als Aufseher hinzuweisen. Sie würde die Banken zwingen, notleidende Kredite abzuschreiben. Wenn diese Banken dann insolvent würden, würde eine neue europäische Restrukturierungsbehörde sie dank eines neuen europäischen Bankenabwicklungsrechts entweder effizient abwickeln oder mittels eines neuen europäischen, aus einer Bankenabgabe gespeisten, Abwicklungsfonds in eine „Good Bank“ und eine „Bad Bank“ aufspalten und die systemnotwendigen Teile weiterführen. Und damit die Kunden der Bank ihre Gelder nicht abziehen, würde ein neues europaweites Einlagensicherungssystem dafür sorgen, dass es keinen panikartigen Ansturm auf Banken mehr gibt.
Rechtsposition der Bundesregierung teilt niemand
So war die euphorische Interpretation der Beschlüsse des Rates vom Dezember 2012. Doch was haben wir bekommen? Aus Angst davor, dass Populisten das Schreckgespenst der Haftungsunion schwenken würden, hat die Bundesregierung die wichtigsten Teile der Bankenunion verhindert. Eine europaweite Einlagensicherung bekämpft die Bundesregierung wie der Teufel das Weihwasser. Ein europäisches Bankenabwicklungsregime sei zwar erstrebenswert, aber angeblich müssten dafür die europäischen Verträge angepasst werden. Die Folge wäre ein Prozess von vielen Jahren und ist somit nur ein höflicheres „Nein“ der Bundesregierung. Die europäische Bankenaufsicht kontrolliert immerhin die größten Banken in Europa.
Die Rechtsposition der Bundesregierung teilt außerhalb Deutschlands eigentlich niemand. Die EU-Kommission ist sehr wohl ohne Änderung der europäischen Verträge berechtigt, Entscheidungen im Rahmen einer Abwicklungsbehörde rechtssicher zu treffen. Selbst der Rechtsdienst des Rates der Mitgliedsländer stützt die Rechtsposition der Kommission. Auch ein von uns Grünen in Auftrag gegebenes Gutachten des deutschen Europarechtlers René Repasi kommt zu diesem Ergebnis. Die juristischen Winkelzüge der schwarz-gelben Bundesregierung sind Nebelwerfen zwecks fahrlässigen Zeitgewinns.
Am Mittwoch wird EU-Kommissar Michel Barnier seinen Vorschlag für ein europäisches Abwicklungsregime vorstellen. Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird sich die Bundesregierung hinter den fadenscheinigen juristischen Vorwänden verschanzen und in einer unheiligen Allianz mit Frankreich die europäische Bankenunion einen kläglichen Tod sterben lassen. Merkel wird auf ein Netzwerk aus nationalen Abwicklungsbehörden pochen, damit ja nicht der Geruch einer Haftungsgemeinschaft aufkommen könnte und Frankreich Präsident Hollande wird darauf eingehen, weil er die nationale Souveränität auf keinen Fall in gefährden will. Genau so haben es Merkel und Hollande schon in ein gemeinsames Papier zur Zukunft der Euro-Zone geschrieben. Wen kümmert es schon, wenn „Zombie-Banken“ den Aufschwung in Südeuropa im Keim ersticken?
Nun könnte man ja hoffen, dass eine neue Bundesregierung weniger anfällig für Populismus sein wird und die Bankenunion im Herbst doch noch einführen wird. Doch im nächsten Sommer findet bereits die Europawahl statt. Ein im Spätherbst startender neuer Anlauf im Gesetzgebungsprozess kann gar nicht mehr rechtzeitig das europäische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen. Das heißt, es muss sich zunächst ein neues Parlament konstituieren, eine neue Kommission gewählt werden und dann das Verfahren in Gang gebracht werden.
Man kann nur beten, dass es in den nächsten beiden Jahre keine großen Bankenpleiten geben wird. Alternativ kann die Bundesregierung doch noch auf einen Kurs europäischer Verantwortung zurückfinden: Der Rat muss sich konstruktiv und ohne Zeitverzug mit dem Vorschlag Michel Barniers befassen. Nur dann kann die gemeinsame Bankenabwicklungsbehörde samt von den Banken selbst finanzierter Fonds noch vor dem Sommer 2014 beschlossen werden. Nur dann hat die neue gemeinsame Bankenaufsicht ein vollständiges gemeinsames Regelwerk an der Hand.