Sven Giegold

Gastbeitrag in der ZEIT: „Gebt Tsipras mehr Zeit“

Dieser Gastbeitrag erschien auf ZEIT online.

 

Ja, Angela Merkel und Alex Tsipras müssen heute in Berlin verloren gegangenes Vertrauen im deutsch-griechischen Verhältnis wieder aufbauen. Ja, sie müssen eine neue Phase der konstruktiven Zusammenarbeit einläuten. Solche Bekundungen des guten Willens sind richtig. Wichtig ist aber auch, dass Merkel und Tsipras endlich wirtschaftspolitisch Tacheles reden. Denn in dieser Hinsicht sind wir weit von einer vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit entfernt.

Die Diskussion um den Abschluss des zweiten Hilfsprogramms für Griechenland, das nach Verlängerung im Juli 2015 ausläuft, macht dies deutlich. Zentrales Ziel ist ein Primärüberschuss von drei Prozent der griechischen Jahreswirtschaftsleistung in 2015. Mit anderen Worten: drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll der griechische Staat mehr einnehmen als er ausgibt. Zwar haben die Finanzminister der Eurozone nach Verhandlungen mit der Tsipras-Regierung beschlossen, die wirtschaftliche Lage bei diesem Sparziel zu berücksichtigen. An der Drei-Prozent-Marke hat sich jedoch noch nichts geändert.

Schlimmer noch: Für das Jahr 2016 blieben die Euro-Finanzminister unter Führung der Bundesregierung hart und haben der griechischen Regierung das Sparziel von 4,5 Prozent Primärüberschuss auferlegt. Im Klartext heißt das: Trotz Armutsquote von knapp 30 Prozent müsste der Staat seine Ausgaben weiter zurückfahren. Ein üppiger Haushaltsüberschuss soll wichtiger sein, als die Not der Bevölkerung zu lindern. Das kann nicht das Prinzip europäischer Politik sein.

25 Prozent Arbeitslosigkeit

Aus wirtschaftspolitischer Sicht führen die Sparvorgaben in die Sackgasse. Im Vergleich: 2014 lag der Primärüberschuss des griechischen Haushalts bei 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wenn der Überschuss nun in 2015 auf drei Prozent und 2016 auf 4,5 Prozent steigen soll, ist das deutlich mehr, als was nötig ist, um die Zinslast des Landes zu zahlen. Die liegt nämlich nur bei zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Griechenland soll also mitten in der Krise schnell seine Schulden tilgen.

Die Voraussetzungen sind dafür aber eher schlechter als besser geworden: Allein im Januar dieses Jahres ist das griechische Steueraufkommen um 20 Prozent eingebrochen. Die Tsipras-Regierung kämpft mit einer extremen Arbeitslosigkeit von rund 25 Prozent. In dieser wirtschaftlich und sozial prekären Lage ist eine derart hohe Steigerung des Primärüberschusses schlichtweg unsinnig und kontraproduktiv. Die deutsche Bundesregierung will nicht wahrhaben, dass es keinem Staat zu empfehlen ist, in einer solch dramatischen Situation die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch zusätzliches Sparen noch weiter abzuwürgen. Es ist richtig, auf den Schuldenabbau in Griechenland zu dringen. Diese Herkulesaufgabe kann aber nicht gelingen, wenn das Volk verarmt und nicht mehr in die Wirtschaft investiert wird.

 

Das vertrauliche Gespräch mit Alexis Tsipras sollte die Bundeskanzlerin dafür nutzen, einen Kurswechsel anzustoßen. Griechenland sollte nicht bei den ersten Anzeichen eines leichten Aufschwungs dazu verpflichtet werden, massiv Schulden zu tilgen. Dieser wirtschaftspolitische Pfad führt in den Abgrund. Ein realistischeres und gesünderes Ziel wären 1,5 Prozent Primärüberschuss. Wer einen kranken Athleten mit höchstem Tempo über eine lange Strecke jagt, riskiert seinen Zusammenbruch. Es ist besser, die Trainingsanforderungen schrittweise zu erhöhen, damit er genug Kraft für die ganze Distanz hat. Beim Schuldenabbau ist Ausdauer wichtiger als der kurze, schnelle Sprint.

Deutschland hat das Ziel selbst nicht erreicht

Die Geschichte der Bundesrepublik veranschaulicht, wie übertrieben die Sparvorgaben an Griechenland sind. Seit der Wiedervereinigung hat Deutschland sogar in wirtschaftlich guten Jahren nie einen um zyklische Schwankungen bereinigten Primärüberschuss von drei Prozent erwirtschaftet. In den Jahren mit vergleichsweise hoher Arbeitslosigkeit gab es sinnvoller Weise auch Defizite. Im Vergleich dazu entspricht die für Griechenland für 2015 beschlossene Drei-Prozent-Marke einem um wirtschaftliche Schwankungen bereinigten Primärüberschuss von acht Prozent. Die Messlatte liegt damit für Griechenland deutlich höher als für andere krisengeprägte Mitgliedsstaaten wie Italien (3,5 Prozent) Portugal (3,1 Prozent), oder Zypern (2,2 Prozent). Gerade die deutschen Erfahrungen sollten der Bundeskanzlerin verständlich machen, dass die Forderung nicht zu erfüllen ist.

Der Spar-Sprint macht die Schulden nicht tragfähiger, sondern zerstört genau die wirtschaftliche Substanz, die das Geld für die zukünftige Schuldentilgung erwirtschaften müsste. Damit Griechenland seine Schulden wirklich in den Griff bekommt, müssten der Regierung Altschulden gestrichen werden, oder zumindest die Zinsen dafür langfristig niedrig gehalten werden, wie es auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung vorgeschlagen hat. Ein solcher Altschuldentilgungsfonds hat im Vergleich zum Schuldenschnitt den Vorteil geringerer finanzieller und sozialer Verwerfungen, ist jedoch die größere politische Herausforderung.

Unrealistische Ziele führen nur zu Enttäuschung

Für eine sinnvolle Hilfe zur Selbsthilfe und weitere finanzielle Unterstützung muss die griechische Regierung eine präzisere Reformliste als bisher vorlegen. Trotz eines holprigen Starts kann die griechische Regierung immer noch ihren Reformwillen unter Beweis stellen. Dafür gilt es, vor allem den griechischen Staatsapparat zu reformieren, damit er seine Aufgaben für Bürger und Unternehmen besser erfüllen und Steuern eintreiben kann. Die Chance der neuen Regierung ist, dass sie nicht Teil der korrupten Eliten Griechenlands ist.

Vorschläge für einen Ausweg aus der Krise können aber nur erfolgreich sein, wenn sie auf realistischen Zielen basieren, denn nur dann sind sie auch den Betroffenen vermittelbar. Irreale ökonomische Forderungen führen auch nur zu unerfüllbaren Erwartungen an Griechenland, die wiederum zu neuen Enttäuschungen über Griechenland in der deutschen Öffentlichkeit führen. Kanzlerin Merkel und Premierminister Tsipras müssen sich heute ins Zeug legen, um diesen Irrweg zu verlassen.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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