Sven Giegold

Handelsblatt: Was Portugals Haushalt die Deutschen angeht

Die Meldung versetzte Portugal einen Schock: Auch aus steuerlichen Gründen hat Jerónimo Martins (JM) Teile seiner Geschäfte in eine niederländische Holding ausgelagert, teilte der portugiesische Handelskonzern zu Beginn des Jahres mit. Ein Exodus mit Symbolkraft: Das Unternehmen blickt auf eine mehr als 200-jährige Geschichte zurück. Entstanden aus einem Krämerladen betreibt Jerónimo Martins heute mehr als 2.000 Supermärkte der Marke Pingo Doce in Portugal. 2011 machte man einen Umsatz von rund zehn Milliarden Euro. Vorstandschef Alexandre Soares dos Santos gilt mittlerweile mit einem geschätzten Vermögen von 2,1 Milliarden Euro als reichster Mann Portugals.

Die Entscheidung von Jerónimo Martins ist kein Einzelfall. 17 der 20 größten börsennotierten Unternehmen Portugals haben inzwischen die Flucht nach Holland angetreten, berichten portugiesische Medien. Dort locken Niedrigsteuern für internationale Firmenholdings. Das niederländische Recht ermöglicht es, Gewinne so lange über den Erdball zu verschieben, bis auch Konzerne wie Google und Starbucks keine oder kaum noch Steuern zahlen – schon gar nicht in den Ländern, in denen sie gewaltige Erträge einfahren. Das passt ins Bild, unterhielten doch Europas 50 größte Unternehmen 2010 alleine in den Niederlanden 853 Gesellschaften, gefolgt von Österreich (495), den Kaiman-Inseln (453), Belgien (395) und Luxemburg (360).

Die Flucht der portugiesischen Unternehmen zeigt exemplarisch die unerträgliche Ungerechtigkeit, die in Europa waltet. Sparorgien und Steuererhöhungen treffen in Portugal regelmäßig diejenigen, denen der Staat habhaft werden kann: Angestellte mit niedrigen und mittleren Einkommen, Beamte, Rentner, Arbeitslose. Sie alle beugen sich dem unerbittlichen Hebel der Krise: Hilfsgelder von EU und IWF gegen Sparmaßnahmen und Sozialabbau. Sie verzichten auf Lohn, Gehalt und Rente, auf Sozialleistungen, Kinder- und Krankengeld. Das schadet natürlich auch allen auf die Binnenwirtschaft ausgerichteten Unternehmen. Großen Unternehmen und vermögenden Eliten bietet die EU dagegen grenzenlose Möglichkeiten, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Das biblische Ideal „Tragt die Lasten gemeinsam“ ist keine europäische Realität.

Wenn am heutigen Mittwoch die portugiesische Regierung noch einmal mit einem blauen Auge den Misstrauensantrag im Parlament übersteht, muss es trotzdem niemanden wundern, wenn die Portugiesen ihre Wut gegen die Troika aus EU, EZB und IWF richten. Auch die deutsche Bundeskanzlerin wird als Agentin eines ungerechten Systems wahrgenommen, das Europas Bürger in oben und unten spaltet. Doch die Bundesregierung verdrängt das Auseinanderfallen des europäischen Gemeinwesens, das sich vor unseren Augen abspielt. Sie beharrt verständlicherweise auf Sparanstrengungen, verzichtet aber darauf europäische Steuergerechtigkeit zur Vorbedingung aller notwendigen Reformen zu machen.

Die Konzepte für ein nachhaltiges Steuersystem in Europa sind längst formuliert. Wir Grüne schlagen einen Europäischen Pakt vor, der das innereuropäische Steuervermeidungs-Karussell zu Lasten der Gemeinschaft stoppt. Auch der deutsche Steuerzahler, der für Hilfskredite und Rettungsschirme bürgt, kann es nicht hinnehmen, wenn transnationale Unternehmen ihre Gewinne aus den Krisenländern in europäische Steueroasen verschieben. Die Bundesregierung muss in einem ersten Schritt mit aller Macht und Verantwortung, die ihr in dieser Krise zufällt, eine effektive Mindestbesteuerung für Unternehmensgewinne in der EU durchzusetzen. Die EU-Kommission hat entsprechende Vorschläge gemacht. Mit Holding-Privilegien in Holland muss genauso Schluss sein, wie mit Niedrigsteuersätzen in Irland und ‘Steuergestaltung in Luxemburg. Die in der G-20 vom deutschen und britischen Finanzminister angekündigten Maßnahmen sind ein Schritt nach vorne, werden jedoch rechtlich unverbindlich bleiben. Die EU mit seinem Binnenmarkt samt gemeinsamen Regeln ist die richtige Ebene, um auch steuerpolitisch Mindeststandards festzulegen.

Genau jetzt ist der Augenblick da, um unter dem Druck der Krise gegen nationale Widerstände ein nachhaltiges und gerechtes Steuersystem in Europa zu begründen. Verpassen Berlin und Brüssel dieses politische Momentum, werden auch die Hilfsgelder und das Spardiktat jede Legitimation verlieren. Dann müssen sich deutsche Steuerzahler genauso verraten und verkauft fühlen wie portugiesische Rentner und griechische Angestellte. Die Zeit, in es der deutschen Öffentlichkeit egal sein konnte, ob Portugals Unternehmen Steuern zahlen oder nicht, ist endgültig vorbei.

 

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Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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