Die Entscheidung der Politik, den für die Garantiezinsen maßgeblichen Höchstrechnungszins nun doch nicht abzuschaffen oder deutlich abzusenken, ist falsch. Denn mit dem Wert signalisiert der Gesetzgeber den Versicherten eine Scheinsicherheit. Der Höchstrechnungszins orientiert sich an Durchschnittszinsen aus der Vergangenheit, die in der aktuellen Marktsituation längst nicht mehr mit sicheren Anlagen zu erzielen sind. Die deutsche Politik und die Versicherungsaufsicht müssen ihren Kuschelkurs mit der Versicherungsbranche korrigieren.
Am 1. Januar 2016 ist das europäische Versicherungsaufsichtsregime Solvency II nach 15 Jahren der Vorbereitung in Kraft getreten. In Deutschland war bis kurz vor Weihnachten noch heftig umstritten, ob im Zuge der notwendigen Verordnungsgesetzgebung auch der Höchstrechnungszins abgeschafft wird. Dann wurde bekannt, dass sich die Versicherungslobby durchgesetzt hat und zunächst alles beim Alten bleibt: Der Höchstrechnungszins wird nicht abgeschafft und in 2016 nicht einmal angepasst.
Derzeit liegt der Höchstrechnungszins bei 1,25 Prozent und begrenzt versicherungsmathematisch die Garantiezinsen für Neuverträge. Die, wenn auch indirekte, gesetzliche Begrenzung des Garantiezinses hat den Vorzug, dass ein ruinöser Wettbewerb um Neukunden vermieden wird. Auf der anderen Seite signalisiert der Gesetzgeber den Versicherten damit eine Scheinsicherheit.
Die Aufsicht ist verpflichtet, genau hinzusehen, ob die Versicherer die Garantien, die sie anbieten, auch erwirtschaften können. Das hat die deutsche Finanzaufsicht in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Während in anderen Ländern Garantieversprechen abgeschafft oder drastisch abgesenkt wurden, ging die deutsche Politik viel zu zögerlich vor. Lange wurden Garantieversprechen der Versicherer einfach abgenickt, wenn der Höchstzinssatz nicht überschritten wurde. So sitzt die deutsche Lebensversicherungsbranche auf einem Berg von Leistungsversprechen, die von ihren Vermögen und nach Marktlage zu erwartenden Erträgen nicht abgesichert sind. In Frankreich dagegen ging die Finanzaufsicht beherzt vor, so dass eine Solvenzkrise vieler Unternehmen auf der anderen Seite des Rheins anders als hierzulande trotz des Niedrigzinsumfelds vermieden wurde.
Umso unverständlicher ist, dass nicht wenigstens jetzt konsequent vorgegangen wird. Die Berechnung des Höchstzinssatzes erfolgt auf der Basis des Ertrags von Staatsanleihen bei einem 40-prozentigen Abschlag. Der derzeitige Höchstrechnungszins basiert auf Empfehlungen von Versicherungswirtschaft und Aufsicht. Dabei orientiert man sich aber nicht an den aktuellen Marktzinsen, sondern an Durchschnittszinsen der Vergangenheit, die deutlich höher waren. Dieses Vorgehen ist aber ökonomisch unsinnig, denn die Versicherer können die neu zugehenden Beiträge nur in den aktuellen Kapitalmarkt investieren, nicht in den Kapitalmarkt der Vergangenheit. Auf Basis deutscher Bundesanleihen ergäbe sich derzeit ein Höchstzinssatz von 0,33 Prozent. Um die überhöhten 1,25 Prozent zu erwirtschaften, müssten Lebensversicherer die Einzahlungen von Neukunden dagegen in Anlagen investieren, die unsicherer sind als spanische Staatsanleihen. Das widerspricht jedoch klar dem Vorsichtsprinzip in Solvency II.
Die deutsche Politik und die Versicherungsaufsicht müssen ihren Kuschelkurs mit der Versicherungsbranche korrigieren. Es ist inakzeptabel, dass sie sich selbst auf Wetten auf höhere Zinsen einlässt, noch dazu wenn diese nicht in Sicht sind. Das Prinzip Hoffnung darf nicht handlungsleitend für eine gute Aufsicht sein. Das Festhalten am Höchstrechnungszins von 1,25 Prozent ist daher fahrlässig.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.versicherungsmonitor.de