Nürnberger Nachrichten vom 19.07.2011
Neue Steuer könnte Börsenspekulanten ausbremsen
Nicht nur Globalisierungskritiker, sondern auch immer mehr Ökonomen fordern eine Abgabe auf Finanzgeschäfte
VON GEORG ESCHER
Wer bändigt die hochspekulativen Finanzmärkte? In diesen Tagen, da der Euro schwer unter Beschuss steht, ist die Frage drängender denn je. Was vor wenigen Jahren noch Utopie schien, könnte nun doch Wirklichkeit werden: Selbst die lange zögerliche EU-Kommission und etliche europäische Regierungen wollen eine Finanztransaktionssteuer einführen.
NÜRNBERG — Sven Giegold muss schmunzeln, wenn er zurückblickt. „Ich fordere die Finanztransaktionssteuer ja schon seit über zehn Jahren“, sagt der 41-Jährige, der seit 2009 als finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament sitzt. „Am Anfang war man damit ein völliger Außenseiter.“ Das hat sich geändert. Heute fordern nicht nur die von vielen einst als weltfremd belächelten Globalisierungskritiker von Attac die Einführung einer solchen Steuer gegen Börsenspekulationen. Im deutschen Bundestag sind außer der FDP inzwischen alle Parteien dafür. Bundeskanzlerin Angela Merkel will sie, der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy drängt noch mehr. „Jetzt ist es schwierig, noch dagegen zu sein“, stellt Giegold heute mit Genugtuung fest.
Im Jahr 2000 war er einer der Mitgründer von Attac Deutschland. Die globalisierungskritische Nichtregierungsorganisation war ursprünglich, im Jahr 1998, in Frankreich entstanden und hatte eine ganz zentrale Forderung: die Einführung der sogenannten Tobin-Steuer, benannt nach dem amerikanischen Wirtschaftsprofessor und Nobelpreisträger James Tobin.
Folgen der Lehman-Pleite
Auch der galt, als er dies 1972 vorschlug, mit seiner Steuer-Idee anfangs als Exot. Doch seit dem Finanzdesaster an der Wall Street im Jahr 2007, als die Lehman-Brothers-Bank pleite ging und im Gefolge den ganzen Globus an den Abgrund führte, ist die Zahl der Ökonomen, die eine solche Finanzsteuer unterstützen, „sehr stark gewachsen“, freut sich Giegold.
Zu dessen Überraschung sind inzwischen sogar einige der FDP-Abgeordneten im Europa-Parlament zu den Befürwortern der Steuer übergelaufen. „Die europäische FDP ist viel vernünftiger als die deutsche“, stichelt Giegold.
Wie viel Geld die Finanztransaktionssteuer in die öffentlichen Kassen spülen könnte, da gehen die Expertenmeinungen noch stark auseinander. Die Kommission rechnet nach internen Berechnungen europaweit angeblich mit jährlichen Einnahmen von bis zu 50 Milliarden Euro. Nach den Brüsseler Plänen wäre ein Satz von 0,01 Prozent des Umsatzes mit Derivaten und von 0,1 Prozent von Staatsanleihen vorgesehen, hieß es. Andere Berechnungen gehen bei einem einheitlichen Satz von 0,05 Prozent auf alle Finanztransaktionen von Einnahmen bis zu 200 Milliarden Euro aus.
Noch aber sind sich die EU-Staaten nicht einig. Die Österreicher und Belgier waren die Ersten, die die neue Finanzsteuer forderten. Neben Frankreich und Deutschland sind auch Spanier, Griechen und sogar die Luxemburger dafür. Sie wollen die Einnahmen allerdings in die nationalen Haushalte fließen und nicht der EU zukommen lassen.
Großbritannien und Schweden dagegen lehnen die Steuer bisher vehement ab. Wenn diese nicht weltweit erhoben werde, argumentieren sie, drohten Finanzmarktgeschäfte aus Europa abzuwandern. Das bestreiten allerdings etliche Experten. In einem Bericht für den Bundestag etwa wird auf den sehr aktiven Börsenplatz Hongkong verwiesen: Auch dort gibt es eine Finanztransaktionssteuer, ohne dass dies negative Folgen gehabt hätte.
Engagierte Nürnberger
Engagierte Verfechter der Steuer gibt es auch im Raum Nürnberg. Einer der Vorreiter ist der Jesuitenpater Jörg Alt, der 2009 die Kampagne „Steuer gegen Armut“ startete. Der Erlös, darin sind sich zumindest alle Nichtregierungsorganisationen einig, soll vor allem für die weltweite Armutsbekämpfung und den Klimaschutz in armen Ländern eingesetzt werden. Auch für Alt ist klar, dass das „sozialschädliche Verhalten“ der Börsenspekulanten am besten dort bestraft werden soll, wo es praktiziert wird: „Direkt beim Zocken auf dem Finanzmarkt.“
Der Zulauf der Kampagne ist „enorm groß“, bestätigt seine Mitstreiterin Judith Behnen. Zahllose Organisationen, bei weitem nicht nur aus dem kirchlichen Bereich, haben sich angeschlossen. Auch der Nürnberger Stadtrat sowie Oberbürgermeister Uli Maly unterstützen die Aktion. Ein wichtiger Verbündeter ist der Nürnberger CSU-Mann Hermann Imhof, der als erster Landtagsabgeordneter Flagge zeigte und Ministerpräsident Horst Seehofer in Sachen Finanztransaktionssteuer „relativ engagiert“ bearbeitete, zweimal in Vier-Augen-Gesprächen. Mittlerweile ist der CSU-Chef ebenfalls im Lager der Befürworter — und hat sich seinerseits bei Kanzlerin Merkel für die Steuer stark gemacht. Es zieht Kreise.