Reichste Menschen haben bisher „wenig zur Lösung der Krise beigetragen“
Hier zum Nachhören: DLF_Schuldenschnitt als griechische Problemlösung?
Grüner Europapolitiker Giegold fordert fairere Verteilung der Kosten statt Schuldenschnitt für Krisenstaaten
Sven Giegold im Gespräch mit Ute Welty
Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold hat sich gegen einen einfachen Schuldenschnitt zulasten der öffentlichen Gläubiger Griechenlands ausgesprochen. Er forderte stattdessen mehr Engagement von der griechischen – wie auch anderen europäischen – Regierungen bei der Bekämpfung der Steuerflucht.
Ute Welty: Griechenland steht weiterhin im Feuer, und das ist keineswegs olympisch. Morgen müssen die Parlamentarier in Athen über den Haushalt abstimmen, übermorgen sollten eigentlich die EU-Finanzminister über weitere Hilfen für das hochverschuldete Land entscheiden, aber da gibt es wohl mehr Redebedarf. Und der entzündet sich immer wieder auch an einer ebenso einfachen wie bestechenden Idee: Warum nicht lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Warum den Griechen nicht einfach alle Schulden erlassen? Darüber habe ich mich unterhalten mit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold. Er ist auch Sprecher seiner Fraktion für Finanz- und Währungspolitik, und ich habe ihn gefragt: Ist der Schuldenschnitt der Ausweg aus der Misere?
Sven Giegold: Ich glaube, nein. Es gibt nicht den Ausweg aus der Misere. Es suchen alle nach dem einfachen Weg, das hat ja fast was Eschatologisches, die Suche nach einer einfachen Lösung. Und die gibt es hier eben nicht – einfach alle Schulden erlassen, da wäre erst mal die Frage, warum eigentlich. Wir wissen, dass in Griechenland alleine 80 Milliarden Euro in die Schweiz verbracht wurden, es gibt nach wie vor eine Untätigkeit, große Vermögen wirklich zur Lösung der Krise heranzuziehen, weder in Griechenland noch in anderen europäischen Ländern, warum sollte man einfach alle Schulden streichen?
Welty: Unter welchen Bedingungen könnten Sie sich denn einen Schuldenschnitt wenigstens vorstellen?
Giegold: Für mich ist die entscheidende Frage, dass man eine Mischung von richtigen Instrumenten macht. Wir brauchen Wachstumsimpulse, gerade auch, um die Ölabhängigkeit Griechenlands zu überwinden, dafür braucht es Investitionsprogramme. Wir brauchen günstigere Zinskonditionen, und wir brauchen endlich einen europäischen Steuerpakt. Und wenn diese Dinge vorangebracht werden, und die Schulden dann immer noch nicht tragfähig sind, dann ist es natürlich auch richtig, Schulden zu erlassen. Es ist nicht in Ordnung, es ist nicht akzeptabel, Länder in Schuldknechtschaft zu halten, aber man kann schon verlangen, dass erst mal die anderen Instrumente auch ernsthaft in Marsch gesetzt werden.
Welty: Muss ein Staat wirklich pleite sein, um einen Schuldenschnitt zu bekommen, und wäre das bei Griechenland nicht schon längst der Fall bei einer Verschuldung von 180 oder 190 Prozent?
Giegold: Griechenland hat ja einen großen Schuldenschnitt bekommen, der größte Schuldenschnitt, den es jemals gegeben hat. Trotzdem ist nichts passiert, um etwa auf der Einnahmenseite wirklich etwas in Marsch zu setzen. Und die Bundesregierung, das muss ich auch ganz klar sagen, ist hier in Brüssel völlig handlungsuntätig. Sie handelt nicht, wenn es um die Einnahmenseite geht – sie hat enormen Druck gemacht, dass gespart wird, inzwischen wird in Griechenland eher zu viel gespart und insbesondere bei den kleinen Leuten, aber auf der Einnahmeseite ist jeglicher Druck ausgeblieben. Und jetzt, nachdem die griechischen Eliten sagen, ja, an die Vermögenden wagen wir uns nicht heran, einfach zu sagen, jetzt streichen wir die Schulden, das wäre auch, sage ich mal, für viele Sparer in Deutschland und auch für den Steuerzahler nicht fair.
Welty: Aber wie soll denn der deutschen Regierung etwas gelingen, an dem die griechische Regierung verzweifelt?
Giegold: Es gelingt uns ja auch in Deutschland nicht, das ist ein europäisches Problem. Auch aus Deutschland sind in großen Maße Gelder in die Steueroasen verbracht worden, auch aus Deutschland werden von Großunternehmen mithilfe von Bilanztricks Gewinne nach Irland, in die Niederlande und so weiter verbucht, und trotzdem gibt es keine europäische Anstrengung, dieses Treiben aggressiver Steuerplanung und Steuerflucht zu beenden. Dann kann man über Schuldenschnitte sprechen, und nicht vorher.
Welty: Warum, denken Sie, wird dieses Problem nicht angegangen?
Giegold: Es wird nicht angegangen, weil man dann sehr mächtigen Leuten an den Geldbeutel geht. Es gibt natürlich auch viele, die Steuern gerade für Vermögende sowieso skeptisch sehen, und deshalb ist das weitgehend tabuisiert.
Sichtbar geworden ist das ja an der sogenannten Lagarde-Liste in Griechenland, die doch immerhin 2000 Adressen aus der Schweiz enthält und mit denen die griechischen Behörden nichts gemacht haben mit der Begründung, die seien ja nicht legal erworben worden. Mit der gleichen Begründung wurde ja hier immer wieder von Schwarz-Gelb vorgeschlagen, keine Steuer-CDs mehr zu kaufen. Damit macht man aber eben den Dienst der reichsten Menschen in dem jeweiligen Land, die bisher wenig zur Lösung beigetragen haben.
Welty: Schätzungen gehen davon aus, dass der Schuldenschnitt für Griechenland die Deutschen etwa 80 Milliarden Euro kosten würde. Wäre dieses Geld nicht gut angelegt, weil man dann eben nicht mehr in ein Fass ohne Boden investiert, sondern eines mit Boden erwerben würde?
Giegold: Also zunächst mal ist diese Schätzung, 80 Milliarden, deutlich übertrieben. Das ginge davon aus, dass man wirklich …
Welty: Na, wenn es billiger wird?
Giegold: Das wäre billiger … – das geht davon aus, man würde die gesamten Staatsschulden erlassen und bekäme nicht einen Cent zurück. Aber so würde ein Schuldenschnitt natürlich nicht ablaufen, und solche Zahlen gehören in den Bereich der Panikmache.
Natürlich könnte Griechenland auch in Zukunft Staatsschulden bedienen, aber eben ohne neue Einnahmen nicht in der Höhe wie heute. Wir reden ja in Griechenland über gut 300 Milliarden Euro Staatsverschuldung, und daran ist der deutsche Anteil ja etwa 30 Prozent. So, das bedeutet, wir haben keine 80 Milliarden Kosten.
Der Grund, warum man das nicht sofort machen sollte, ist, dass es eben bessere Lösungen gibt, die letztlich zu einer faireren Verteilung der Kosten führen. Wenn Sie in einem Land in Europa einen Schuldenschnitt machen, besteht immer die Gefahr, dass dann für alle anderen schwächeren Staaten, Spanien, Portugal, Italien, die Finanzierung sich auch wieder verteuert, und damit haben Sie hohe Ansteckungseffekte, wieder auf Leute und Menschen, die das eigentlich nicht zu verantworten haben.
Welty: Die Idee des Schuldenschnitts wird nicht zuletzt beflügelt durch das Buch von David Graeber „Schulden – die ersten 5000 Jahre“. Er sagt, Schulden sind ein Machtinstrument, Schulden knechten die Menschheit. Können oder wollen wir uns nicht von diesen Fesseln befreien?
Giegold: Ja, das Buch von David Graeber – ich muss ehrlich sagen, ich halte nicht allzu viel davon, denn er verteufelt Schulden generell. Schulden können aber durchaus auch was Befreiendes haben. Nehmen Sie einen Unternehmer, der hat eine geniale Idee, einer kommt aus einer reichen Familie und einer aus einer armen. Die einzige Chance für denjenigen aus einer armen Familie, überhaupt seine Idee zu realisieren und mit großen Unternehmen zu konkurrieren, ist, wenn andere Menschen ihm Geld leihen. Schulden können auch dazu führen, dass Sie Möglichkeiten haben, die Sie sonst nicht hätten.
Aber wahr ist, wenn Schulden so hoch sind, dass man sie nicht bezahlen kann – und an dem Punkt sind wir bisher ja in Griechenland -, dass man so tiefe Einsparungen vornehmen muss, dass zum Beispiel Gesundheitsversorgung nicht mehr funktioniert, dass die Armut steigt, dann sind die Schulden natürlich fragwürdig. Aber vorher muss ich erwarten, dass das Land seinen eigenen Reichtum auch besteuert. Und solange das nicht geschieht, wäre ich sehr skeptisch gegenüber Schuldenschnitten.
Welty: Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold, der an diesem Samstag wohl auch nach Berlin blickt, wenn dort verkündet wird, wer die Grünen in den Bundestagswahlkampf führt. Wen wünschen Sie sich denn als die beiden Spitzenkandidaten?
Giegold: Also Abstimmungen sind ja immer noch geheim, aber ich muss sagen …
Welty: Ich habe ja nach Ihren Wünschen gefragt.
Giegold: Ja, natürlich. Ich sage mal so, ich könnte mir verschiedene Kombinationen sehr gut denken, aber klar ist, dass Jürgen Trittin eine gute Spitze ist, und ich habe auch viel Sympathien mit Claudia Roth, aber durchaus auch mit Katrin Göring-Eckhardt an der Stelle.
Welty: Ich danke fürs Gespräch wie für Prognose und wünsche ein schönes Wochenende!
Giegold: Danke, Tschüss!