Sven Giegold

Interview in der Sparkassen-Zeitung

In der aktuellen Ausgabe der Sparkassen-Zeitung ist ein Interview mit mir u.a. zu Finance Watch. Hier als pdf-Dokument zum download: SparkassenZeitung_2011-05-20

 

DSZ: Rund 30 Verbänden und NGOs, unter anderem Attac, Amnesty International und der europäischer Verbraucherschutzverband BEUC haben sich zu FinanceWatch zusammengeschlossen. Mit welchem Ziel?

Sven Giegold: Die Initiative geht zurück auf Gruppe von Parlamentariern im Ausschuss für Wirtschaft und Währung, die für die Finanzmarktgesetzgebung in Europa zuständig sind. Gemeinsam haben wir in einem Aufruf die Sorge zum Ausdruck gebracht, dass die Einseitigkeit des Lobbyismus in Finanzmarktfragen in Brüssel eine Gefahr für die Demokratie ist. Bisher agieren an dieser Stelle fast nur Interessenvertreter aus dem Finanzsektor, es gibt praktisch kein am Gemeinwohl orientiertes Lobbying. Das war und ist für uns ein Grund zur Sorge.

DSZ: Wieso sind Parlamentarier nicht in der Lage, die technischen Einzelfragen der Finanzmarktgesetzgebung selbst zu bewältigen?

Giegold: Das Europäische Parlament und seine Abgeordneten haben nicht die Ressourcen an Zeit und technischem Wissen, die zum Schreiben von Gesetzen benötigt werden. Aber es wäre sinnvoll, wenn das EU-Parlament die eignen juristische Kompetenz erhöhen würde und Abgeordnete einen wissenschaftlichen Dienst nutzen könnten. Besser wäre es, könnten wir dem Vorbild des US-Kongresses folgen: Dort können die Abgeordneten auf viel größere Ressourcen direkt zugreifen.

DSZ: Ist das nicht eine Bankrotterklärung für die Demokratie?

Giegold: Nein, das ist keine Bankrotterklärung, sondern zeigt nur, dass wir Parlamentarier verstanden haben, dass Demokratie mehr ist als eine eher feudalistische Selbstherrlichkeit des Parlaments. In der Europäischen Union bestimmen Interessenvertreter in der Politik mit – und das ist richtig so.

DSZ: Also kein billiger Populismus?

Giegold: Exakt. Auch unsere Initiative will keinesfalls den Finanzmarktakteuren das Lobbying verbieten. Dieser Art des Populismus hängen wir nicht an. Es ist das gute Recht der Sparkassen wie der Großbanken und Fonds, ihre Interessen aktiv zu vertreten. Was den Bürgerinnen und Bürgern Sorge bereiten sollte, ist, wenn außer diesen großen Akteuren niemand die Ressourcen besitzt, um eine aktive Politikbeeinflussung zu betreiben.

DSZ: Was kann FinanceWatch besser machen?

Giegold: Als neutraler Akteur auftreten, der sich für das Gemeinwohlinteresse einsetzt und nicht für die Gewinninteressen eines einzelnen Sektors. Dieses Ungleichgewicht will FinanceWatch beenden.

DSZ: Wer finanziert FinanceWatch? Und warum wird die Organisation von der EU ko-finanziert?

Giegold: FinanceWatch benötigt ein Budget von zwei Millionen Euro im Jahr, um damit ein Team von zehn kompetenten Frauen und Männern in Brüssel arbeiten zu lassen. Ein Teil davon soll aus Spenden und Stiftungen finanziert werden, gleichzeitig gibt es Signale, aber noch keine feste Zusage, der EU-Kommission, hier zu ko-finanzieren. Das ist in vielen Bereichen so üblich, weil es schwierig ist, für abstrakte Themen wie die Politikberatung durch NGOs Spenden zu mobilisieren.

DSZ: Die Initiative für Finance Watch ging von EU-Abgeordneten aus. Kann FinanceWatch unter diesen Umständen unabhängig beraten oder entsteht ein weiteres – für viele undurchschaubares – Machtzentrum?

Giegold: Zehn Menschen sind noch kein Machtzentrum in der EU. Deshalb werden wir Abgeordneten aus der Entscheidungsfindung von FinanceWatch ab der offiziellen Gründung im Juni zurückziehen. Außerdem wäre langfristig optimal eine Finanzierung durch einen Stiftungstopf. Anderenfalls gibt es immer Abhängigkeiten, sogar bei Geldern von Privatpersonen. Ab einer bestimmten Größenordnung gibt es kein neutrales Geld mehr. Deshalb suchen wir auch privat und öffentlich zu finanzieren. Ein Komitee für Ethik und Transparenz soll darüber wachen, dass Beeinflussungen, auch durch die EU-Kommission, verhindert werden.

DSZ: Diese Initiative von EU-Abgeordneten richtet sich vor allem gegen die Macht der Großbanken. Zählen dazu auch die Sparkassen?

Giegold: Ich formulieren das einmal so: In Deutschland sind wir in der glücklichen Lage, dass wir das Drei-Säulen-Modell im Bankensystem haben. Dadurch funktioniert hier vieles besser als in anderen Ländern. Man denke nur an die Finanzierung des Mittelstands und von schwächeren Regionen. Wir als Grüne haben wie die meisten anderen deutschen Abgeordneten im EU-Parlament sowohl die Sparkassen wie auch die Genossenschaftsbanken immer unterstützt. Wir versuchen, so gut das geht, darauf zu achten, dass Brüsseler Finanzmarktgesetze dieses Drei-Säulen-Modell nicht schädigen.

DSZ: Dann stehen Sie hinter dem Drei-Säulen-Modell?

Giegold: Absolut. Allerdings gefallen mir die Vertriebsmethoden nicht immer. Hier gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Sparkassen und vielfach Fehlanreize für die Banken und ihre Berater. An dieser Stelle sind weitere Regulierungen nötig, um diese Fehlentwicklungen abzustellen.

DSZ: Hat die Sparkassen-Finanzorganisation nicht mit dem Finanzcheck das richtige Instrument vorgelegt?

Giegold: Wenn dieses Instrument immer umgesetzt würde, wären wir einen großen Schritt weiter. Aber wir wissen, dass häufig noch Einzelprodukte verkauft werden. Der Hintergrund ist klar: Mit Produkten mit höheren Risiken verdient man mehr. Diese Anreize muss man brechen, das geht nur mit der richtigen Regulierung. Ich finde, dass hier die Sparkassen wie alle anderen Banken auch in der Eigenverantwortung stehen, Qualität in der Beratung abzuliefern. Wer auf kurzfristige Provisionserträge verzichtet, hat auf Dauer zufriedenere Kunden. Der Finanzcheck der Sparkassen zeigt hier den richtigen Weg.

DSZ: Die Sparkassen haben in Deutschland während der Finanzkrise die Kreditklemme verhindert. Wird diese positive Rolle von Brüssel ausreichend gewürdigt?

Giegold: Das kommt darauf an, von wem. Deutsche Abgeordnete sehen das so, ebenso die Vertreter aus Österreich und aus einigen anderen Ländern. Aber es gibt Vertreter beispielsweise von Großbritannien, die glauben, dass das deutsche Drei-Säulen-Modell ihnen den Markteintritt erschwert. – Und das auf dem größten Finanzmarkt für Endkunden. Logisch, dass die dieses Modell nicht mögen.

DSZ: Wie stehen Sie persönlich dazu?

Giegold: Ich finde, dass Finanzdienstleister nicht maximale Geschäfte machen, sondern den Mittelstand sowie Bürgerinnen und Bürger mit Finanzprodukten versorgen sollten. Und das ist in Deutschland in ganz besonderer Weise gewährleistet.

DSZ: Sparkassen werden in Brüssel wettbewerbsrechtlich teilweise angefeindet, Großbanken dagegen nicht. Ist das angemessen?

Giegold: Das kritisieren wir auch, aber man muss einschränken, dass Michel Barnier, der neue Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, gegenüber dem Drei-Säulen-Modell offen ist. Das haben aber nicht alle seine Mitarbeiter verinnerlicht. Es wäre leichter, für das deutsche Drei-Säulen-Modell zu werben, wenn es die Probleme mit den Landesbanken und den Sparkassen als Miteigentümern nicht gäbe.

DSZ: Wann geht FinanceWatch an den Start, was sind die ersten konkreten Ziele?

Giegold: FinanceWatch geht im Spätsommer an den Start. Über die konkreten Ziele entscheiden die Mitgliedsorganisationen, nicht die Politiker, die das initiiert haben.