Sven Giegold

Interview mit den Aachener Nachrichten:
„Ein Lastenausgleich muss her“

 Aachener Nachrichten, vom 12.11.2011

„Ein Lastenausgleich muss her“

Um die Eurokrise in den Griff zu bekommen, schlägt der grüne Europapolitiker Sven Giegold eine Abgabe auf große Vermögen vor. Er glaubt nicht, dass durch Sparen allein die Probleme zu bewältigen sind.

Von Joachim Zinsen, Brüssel. Der Flächenbrand greift immer weiter um sich. Ist die Euro-Krise überhaupt noch in den Griff zu bekommen? Haben die Feuerwehrleute bisher richtig reagiert? Ein Gespräch mit Sven Giegold, dem finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im Europaparlament.

Herr Giegold, wenn Sie Grieche wären, wären Sie in den vergangenen Wochen auch auf die Straße gegangen?

Giegold: Selbstverständlich hätte ich demonstriert.

Warum?

Giegold: Weil es in Griechenland zwar dringend Reformen geben muss, die Lasten der Krisenbewältigung aber völlig ungerecht verteilt sind. Bei Rentnern und kleinen Einkommensbeziehern wird radikal gekürzt. Die Vermögenden zahlen hingegen weiter kaum Steuern und bringen ihr Geld ins Ausland, ohne dass die Regierung da-gegen etwas unternimmt. Gleichzeitig sitzen viele korrupte Beamte und Politiker immer noch in ihren Ämtern. Eines jedoch ist geradezu grotesk: Die bisherige Oppositionspartei Nea Dimokratia, in deren Regierungszeit jene Statistikmanipulationen gefallen sind, die zur Euro-Krise geführt haben, sie ist jetzt wieder rehabilitiert. Als Grieche wäre ich darüber stinksauer.

Aber das ändert doch nichts daran, dass Griechenland sparen muss, weil – so wird es zumindest in Deutschland gerne gesagt – die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt haben.

Giegold: Die meisten Griechen haben nicht über ihre Verhältnisse gelebt. Ein junger Mensch, der von der Universität kommt, verdient heute – wenn er Glück hat und er angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von 45 Prozent überhaupt einen Job findet – nur wenige hundert Euro. Natürlich gibt es in Griechenland auch einen aufgeblähten Staatsapparat, in dem manche deutlich zu gut bezahlt werden. Das muss sich ändern, sonst wird das Land nie wettbewerbsfähig.

Genau darauf drängt die EU.

Giegold: Es ist völlig richtig, dass Deutschland nicht dauerhaft für ein reformunfähiges Griechenland zahlen kann. Deshalb ist es auch völlig richtig, finanzielle Hilfeleistungen mit strengen Auflagen zu verbinden. Aber nicht jede Auflage ist zielführend. Die derzeitigen treffen die, die für das Desaster nichts können und haben gleich-zeitig dazu geführt, dass die griechische Wirtschaft abgestürzt ist.

Die Bundesregierung sagt, Griechenland müsse sich allein durch knallhartes Sparen aus der Schuldenfalle befreien.

Giegold: Eben das wird nicht funktionieren – weder in Griechenland noch in anderen Euro-Ländern wie Portugal. Wenn alle nur dumpf sparen, rutscht Europa in eine Rezession. Am härtesten wird das Deutschland treffen, weil wir als Exportland extrem vom Erfolg unserer Partner abhängig sind.

Was schlagen Sie alternativ vor?

Giegold: Erstens braucht Griechenland eine Art Marshallplan. Es muss in dem Land nicht nur ge-spart, sondern dort auch investiert werden. Um den fraglos notwendigen Reformprozess sozial erträglich gestalten zu können, plädiere ich zweitens für einen europäischen Lastenausgleich. Wir brauchen eine Vermögensbesteuerung in Griechenland, in ganz Europa. Und drittens muss endlich Zugriff genommen werden auf die 150 bis 200 Milliarden Euro, die reiche Griechen unversteuert ins Ausland geschleppt haben. Ich ärgere mich maßlos darüber, dass die Bundesregierung zwar bereit ist, härteste Sparauflagen gegen Griechenland durchzusetzen, gleichzeitig aber nichts Entscheidendes gegen europäische Steueroasen unternimmt.

Aber löst das allein das Problem der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands? Wie kann Deutschland dem Euro-Partner helfen?

Giegold: Deutschland ist größter Handelspartner Griechenlands. Während ein Teil der Griechen über ihre Verhältnisse gelebt haben, haben viele in Deutschland unter ihren Verhältnissen gelebt. Das gilt besonders für Niedriglohnbezieher. Durch die jahrelange Lohnzurückhaltung in Deutschland sind wirtschaftliche Ungleichgewichte in der gesamten EU verschärft worden. Mit der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns kann dieser Prozess gestoppt werden. Um Griechenland und anderen Ländern wieder wirtschaftlich auf die Beine zu helfen, reicht es nicht, nur Krisenpakete zu schnüren. Wir müssen in Deutschland auch endlich die eigene Nachfrage steigern. Einige in der Union scheinen das langsam zu begreifen. Die FDP leider nicht. Nun gibt es aus der Bundesregierung Wortmeldungen mit dem Tenor: Entweder nimmt Griechenland das Spardiktat aus Brüssel an, oder das Land fliegt aus der Euro-Zone.

Ist das überhaupt möglich?

Giegold: Nein, das ist lediglich eine dümmliche, chauvinistische Stimmungsmache im Zusammenspiel mit der „Bild“-Zeitung. Aus gutem Grund hat kein Mitgliedsland der EU die Möglichkeit, die Mitgliedschaft eines anderen EU-Staates infrage zu stellen. Wenn Griechenlands zahlungsunfähig wird, ist das nicht automatisch gleichbedeutend mit dem Abschied des Landes vom Euro.

Welche Konsequenzen hätte eine Zahlungsunfähigkeit für Griechenland?

Giegold: Das gesamte griechische Bankensystem stünde vor dem Konkurs, weil ihm der Zugang zur Liquidität der Europäischen Zentralbank genommen wäre. Verhindern ließe sich das nur, wenn Griechenland eine eigene neue Währung einführen würde. Durch ein ständiges Abwerten dieser Währung könnte Griechenland dann zwar seine fehlende Wettbewerbsfähigkeit kaschieren. Letztlich würde das aber zu einer immensen Verarmung weiter Bevölkerungs-teile führen. Ich rate deshalb den Griechen davon ab, die Euro-Zone freiwillig zu verlassen.

Welche Folgen hätte ein Abschied der Griechen vom Euro für die Euro-Zone?

Giegold: Für Euro-Länder wie Spanien, Portugal und die nächst schwächeren Staaten wäre es noch schwerer, jemanden davon zu überzeugen, dort sein Geld zu investieren. Potenziellen Investoren wäre das Risiko zu hoch, dass auch diese Länder irgendwann die Euro-Zone verlassen und ihre Investitionen durch eine Abwertung der neuen Währung an Wert verlieren würden. Gibt es überhaupt jemanden, der von einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone profitieren würde?

Giegold: Gewinnen würden natürlich all die, die an den Börsen auf eine Pleite Griechenlands gewettet haben. Gewinner wären zudem die korrupten griechischen Eliten, die so weitermachen könnten, wie bis-her. Alle anderen stünden auf der Verliererseite. Trotzdem glauben auch viele Deutsche, dass sie von einem Ausscheiden Griechenlands profitieren würden. Angesichts der Summen, die zur Euro-Rettung inzwischen aufgerufen werden, muss einem doch schwindlig werden.

Giegold: Stimmt. Die Krise ist aber so unheimlich teuer geworden, weil die europäischen Regierungen samt der Bundesregierung ihren Bürgern immer nur die halbe Wahrheit sagen wollten. Sie waren stets nur bereit, so viel in die Krisenlösung zu investieren, wie es gar nicht anders ging. Frau Merkel ist regelmäßig nur auf Sicht gefahren. Das hat dazu geführt, dass es nie zu einer überzeugenden Krisenlösung kam.

Auf dem letzten Krisengipfel haben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy aber offenbar klare Kante gezeigt.

Giegold: Die Krise war aber auch schon so zugespitzt, dass der Euro kurz vor dem Kollaps stand. Inzwischen sind endlich Beschlüsse zur Bankenregulierung getroffen, ist ein Schuldenschnitt für Griechenland vereinbart und ist der Rettungsfonds gehebelt worden. Das waren wichtige Entscheidungen. Aber sie reichen nicht. Die Finanzmärkte haben nach wie vor Spanien und Italien im Visier. Denn das zentrale Problem der Euro-Zone – die Frage nämlich, wie die südlichen Mitgliedsländer erfolg-reich wirtschaften können – ist immer noch nicht gelöst. Diese Länder bekommen zwar ständig schärfere Sparpakete aufs Auge ge-drückt. Das erzeugt aber keine wirtschaftliche Entwicklung. So-lange hier nicht entschieden um-gesteuert wird, sollte man keiner Siegesmeldung von Merkel und Sarkozy trauen. Der Euro ist nach wie vor in akuter Gefahr.

Inzwischen hat auch Italien massive Probleme, sich Geld an den Kapitalmärkten zu beschaffen.

Giegold: Italien ist das größte konkrete Problem der Euro-Zone. Das Land muss alleine im kommenden Jahr 440 Milliarden Euro umschulden. Doch so lange Silvio Berlusconi dort an der Macht ist, kann man keinem Parlament empfehlen, Italien mit finanziellen Hilfen auszustatten. Bei einer neuen Regierung sieht es eventuell anders aus. Aber Berlusconi…. Es ist gut, dass er endlich zurücktreten will.

Trotzdem sind die Risikoaufschläge für zehnjährige italienische Staats-anleihen zeitweise über die kritische Sieben-Prozent-Marke gesprungen. Was nun?

Giegold: Italien muss die zugesagten Reformen durchführen. Gleichzeitig ist entscheidend, im Kampf gegen die Schwarzökonomie und Steuerhinterziehung endlich ernst zu machen. Dann hätte Italien mit der Finanzierung der öffentlichen Hand keine Probleme.

Wäre denn der Rettungfonds – selbst in gehebelter Form – überhaupt in der Lage, Italien zu helfen?

Giegold: Nein. Wenn Italien unter den Rettungsschirm muss, wird man um dessen Stützung durch die Europäische Zentralbank nicht mehr umhin kommen. Der Rettungsschirm wird dann eine Banklizenz bekommen müssen, um so unbegrenzt Zugang zur Liquidität der EZB zu erhalten.

Frankreich hat das bereits vorgeschlagen, die Bundesregierung lehnt das aber nach wie vor vehement ab.

Giegold: Solch ein Weg ist aber die deutlich bessere Lösung als die beschlossene Hebelung des Rettungsschirms. Mit diesem abenteuerlichen Klimmzug machen wir uns abhängig von China, Saudi-Arabien oder ähnlich sympathischen Staaten, mit denen wir grundlegende Probleme nicht nur in Menschenrechtsfragen haben. Sie werden ihre Finanzhilfe an  harte Bedingungen knüpfen.

Rubrik: Meine Themen, Wirtschaft & Währung

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