Sven Giegold

Luftqualität: WHO empfiehlt verschärfte Grenzwerte für Luftschadstoffe – EU muss aufholen

Luft Verschmutzung Air pollution

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Interessierte, 

heute ist ein guter Tag für saubere Luft! Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat heute, 22. September, ihre aktualisierten Empfehlungen für Luftqualität vorgestellt. Das ist eine gute Nachricht für unsere Gesundheit, denn Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in Europa! Heute empfiehlt die WHO, die Grenzwerte für Feinstaub und Stickstoffdioxid deutlich zu senken. Damit würden zehntausende vorzeitige Todesfälle jedes Jahr in Europa vermieden. Feinstaub allein ist für fast 400.000 vorzeitige Todesfälle in der EU jährlich verantwortlich. In Deutschland sind es 70.000 pro Jahr. Die Leitlinien der WHO für Luftqualität bilden die wissenschaftliche Grundlage für Gesetzgebung auf der ganzen Welt

Recht auf saubere Luft in ganz Europa

Wir alle haben ein Recht auf saubere Luft. Das haben die Wissenschaftler*innen der WHO heute ausdrücklich bestätigt. Feinstaub, Stickstoffdioxid, Ozon, Schwefeldioxid und viele andere Schadstoffe sind nur in sehr geringen Mengen in der Luft akzeptabel. Je weiter die Wissenschaft voranschreitet, desto deutlicher werden die schweren Auswirkungen auf Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Übergewicht, Diabetes und viele weitere Krankheiten. Deshalb wurden eine ganze Reihe von empfohlenen Grenzwerten heute drastisch reduziert gegenüber den letzten Empfehlungen der WHO von 2005. 

Insbesondere für Stickstoffdioxid, das vor allem bei der Nutzung von Dieselfahrzeugen Straßenverkehr entsteht und Feinstaub, der unter anderem in der industriellen Massentierhaltung entsteht, empfiehlt die WHO deutlich verschärfte Höchstwerte. Der empfohlene Höchstwert für Stickstoffdioxid wurde von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter auf 10 Mikrogramm gesenkt. Dieser Wert wurde in keiner Stadt in Deutschland in den letzten Jahren erreicht. Schlimmer: In vielen Städten wird selbst der aktuelle Wert von 40 Mikrogramm nicht geschafft. Saubere Luft in unseren Städten ist nur mit einer wirklichen Mobilitätswende zu schaffen. 

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt heute, den Höchstwert des besonders kleinen Feinstaubs (sogenannter PM2.5) deutlich zu reduzieren. Damit ist der heute gültige Grenzwert in der EU fünfmal höher als von der WHO empfohlen! 

EU-Gesetze müssen an Stand der Wissenschaft angepasst werden

Die heutigen EU-Standards für Luftqualität sind 15 bis 20 Jahre alt. Keiner der relevanten europäischen Grenzwerte für Feinstaub, Stickstoffdioxid, Ozon, Schwefeldioxid entspricht den Vorgaben der WHO. Millionen Europäer*innen sind so täglich einem großen Gesundheitsrisiko ausgesetzt! Das Europaparlament hat hier bereits die Richtung für neue Gesetzgebung vorgegeben. Im März beschlossen wir einen ambitionierten Text zur Luftqualität in Europa. Darin fordern wir die EU-Kommission unmissverständlich auf, die Grenzwerte für Feinstaub, Schwefeldioxid, Ozon und andere Schadstoffe vollständig an die aktualisierten wissenschaftlichen Leitlinien der WHO durch Änderungen der Luftqualitätsrichtlinien anzugleichen. Eine breite Mehrheit des Europaparlaments stimmte für dieses klare Ziel, obwohl die Abgeordneten der CDU/CSU unterstützt von FDP und AfD versuchten, schärfere Grenzwerte auszubremsen. Ich war als grüner Schattenberichterstatter an der Ausarbeitung dieses Berichts intensiv beteiligt.  

Die EU-Kommission zeigt sich in dieser entscheidenden Frage bisher arbeitsscheu: Sie will die EU-Grenzwerte nur “stärker an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation” anpassen. Damit wären weiterhin Millionen Europäer*innen schlechter Luft ausgesetzt. Ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird im kommenden Jahr erwartet. 

Auto- und Agrarlobby dagegen

Den streng wissenschaftlichen Empfehlungen der WHO stehen mächtige Lobbyinteressen gegenüber. Gerade die Autoindustrie und die industrielle Landwirtschaft – also zwei der schmutzigsten Industrien – kämpfen mit aller Macht gegen bessere Regeln für saubere Luft. Sie bekommen Unterstützung von vielen Christdemokrat*innen und Rechten. Dem widersprechen die Expert*innen der WHO heute deutlich. Die Luft muss überall sauberer werden zu Schutz unserer Gesundheit. 

Europäischer Gerichtshof verurteilte GroKo bereits wegen schlechter Luft

Und zur Wahrheit gehört auch: Die Luft ist fast überall schlechter als schon heutige EU-Gesetze es erlauben. Teilweise werden EU-Grenzwerte gebrochen, die seit 2005 eingehalten werden müssen – aber Konsequenzen sind selten und zu langsam. Obwohl gegen 18 Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren laufen, werden Grenzwerte weiter jeden Tag überschritten. Erst im Juni dieses Jahres verurteilte der Europäische Gerichtshof die Bundesregierung, weil die  Stickstoffdioxidbelastung in dutzenden deutschen Städten seit 2010 über dem zulässigen Höchstwert liegt. 

Sechs Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals sind immer noch 50 Millionen Fahrzeuge auf europäischen Straßen unterwegs, die bis zu 20mal über den gesetzlichen Grenzwerten emittieren können und zu Stickstoffdioxid-Überschreitungen in mehr als 130 Städten in der EU beitragen. Dieses Versagen der Aufsichtsbehörden muss sich insbesondere Verkehrsminister Scheuer zuschreiben lassen, der weiterhin seine schützende Hand über die Autolobby hält. 

Auch bei anderen Schadstoffen war die GroKo nicht besser: Deutschland hat seine jährlichen Ammoniak-Emissionsziele in keinem Jahr seit 2010 erreicht. Jedes Jahr emittieren wir weit mehr Ammoniak als EU-Recht erlaubt – und gefährden damit Millionen Menschen. In Deutschland ist die Massentierhaltung und Düngung in der industriellen Landwirtschaft verantwortlich für mehr als 90% aller Ammoniakemissionen, die zu gesundheitsschädlichem Feinstaub führen. Davon sind besonders Menschen in ländlichen Regionen betroffen. 

Gift in der Luft muss ein Ende haben.

Die neuen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation sind der nächste Schritt auf dem Weg zu besserer Luft in Europa. Das Vorsorgeprinzip, verankert in den EU-Verträgen, verpflichtet die EU-Kommission und Mitgliedstaaten, die Empfehlungen vollständig umzusetzen. Die neue wissenschaftliche Grundlage muss nun in ein ambitioniertes europäisches Gesetz für saubere Luft münden. Die Ambition eines Europas mit Null-Schadstoffen ist heute in weiter Ferne. Es benötigt ein drastisches Umsteuern in Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Wir Grüne werden im Europaparlament weiter für saubere Luft und für ein Recht auf Umweltgesundheit für alle Bürger*innen auf Stand der Wissenschaft streiten.

Mit grünen europäischen Grüßen

Sven Giegold

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Mehr Informationen zur Empfehlung der WHO: https://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/press-releases/2021/new-who-global-air-quality-guidelines-aim-to-save-millions-of-lives-from-air-pollution

Mehr Informationen zum Beschluss des Europaparlaments: https://sven-giegold.de/europas-luft-wird-sauberer/

Mehr Informationen zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Bundesregierung: https://sven-giegold.de/luftqualitaet-eugh-verurteilt-bundesregierung/

Hinweis: Dieser Blogbeitrag wurde innerhalb der letzten 2 Monaten vor der Bundestagswahl 2021 veröffentlicht. In diesem Zeitraum wurde die Homepage und die zugrunde liegende IT-Infrastruktur aus Wahlkampfmitteln und nicht aus dem Parlamentsbudget finanziert.

Rubrik: Klima & Umwelt

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