Sven Giegold

Merkel liegt bei Brexit-Debatte falsch: Europa braucht mehr Freizügigkeit, nicht weniger

Kanzlerin Angela Merkel hat sich während des laufenden Europäischen Rates zum Verbleib Großbritanniens in der EU zu Zugeständnissen auch bei Sozialleistungen für EU-Bürger bereit erklärt. Bei Zugeständnissen an Großbritannien ist Kanzlerin Merkel ausdrücklich bereit, die Grenze von Änderungen der EU-Verträge zu überschreiten.

Merkels weitreichende Kompromissbereitschaft bei Sozialleistungen kommentiert Sven Giegold, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament:

 

Einen Ausverkauf der Europäischen Bürgerrechte auf Freizügigkeit und soziale Gleichbehandlung darf es nicht geben. Gerade soziale Grundrechte sind im Kampf um das Vertrauen der Bürger in Europa besonders wichtig. Sozialleistungen sind für mobile EU-Bürger bereits an viele Zusatzhürden gebunden. Es ist richtig, Großbritannien entgegen zu kommen, um den Verbleib in der EU erleichtern. Der Abbau sozialer Grundrechte überschreitet jedoch eine rote Linie, da damit auch das Konzept europäischer Bürgerrechte in Frage gestellt wird.

Merkel darf für einen Kompromiss mit Cameron bei Sozialleistungen nicht die Zukunft des Binnenmarkts verschenken. Die erfolgreiche wirtschaftliche Integration Europas hat zu einer wachsenden sozialen Ungleichheit zwischen den Regionen der EU beigetragen. Die Mobilität der Arbeitskräfte ist bisher gering, etwa im Vergleich zu den USA. Für die soziale und ökonomische Stabilität Europas müssen wir die Mobilität von Arbeitskräften fördern, statt sie zusätzlich zu behindern. Bürger, die der Arbeit folgen, bedeuten weniger Notwendigkeit von Transfers, Zentralbank-Geldpresse oder Hilfskrediten.

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Meldung Deutschlandfunk: http://www.deutschlandfunk.de/gipfeltreffen-eu-sucht-einigung-mit-cameron.447.de.html?drn:news_id=559463

 

Pressekonferenz von Kanzlerin Merkel am Ende des ersten Gipfeltags: http://ec.europa.eu/avservices/video/player.cfm?ref=I114327

Merkel ab Minute 4:02: „Wir haben dann heute Abend diskutiert über die Frage des Referendums im Vereinigten Königreich. (…) Es ist von allen das kann man sagen deutlich gemacht worden, dass wir uns einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU wünschen. (…) Ich habe das für Deutschland auch erklärt. Wir haben im Hinblick darauf unsere Kompromissbereitschaft auch erklärt, aber immer im Hinblick auf die Bewahrung auch der Grundpfeiler der Europäischen Union und dazu gehört Nicht-Diskriminierung und eben auch Freizügigkeit. Wir werden jetzt bis Februar und das wird koordiniert von Donald Tusk als Ratspräsident die unterschiedlichen Optionen insbesondere für die Frage Sozialleistungen und die Freizügigkeit intensiv diskutieren müssen, damit wir da bis Februar zu einer Lösung kommen. Das wird gerade in Bezug auf die 4. Säule nicht ganz einfach werden. Aber ich denke nach wie vor bei gutem Willen kann man hier auch gute Wege finden, die den Anliegen gerecht werden.“

Frage Reuters: Woher kommt der Optimismus, dass Sie bis Februar einen Kompromiss mit Cameron erreichen können?

Merkel: „Naja der Optimismus liegt daran, dass wir alle einen Kompromiss erreichen wollen. Die Sacharbeit ist aber noch zu leisten. Wir haben heute Abend natürlich nicht an Kompromissformulierungen gearbeitet. Ich glaube was klar herausgekommen ist, ist, wenn wir Vertragsänderungen brauchen, und ich glaube das könnte so sein, dann sind wir alle einverstanden, dass sie nicht jetzt stattfinden müssen, sondern entsprechend dem Britischen Vorschlag, dass sie später stattfinden können, wenn einmal der Vertrag geändert wird.“

Rubrik: Demokratie & Lobby

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