Sven Giegold

ND: Der Ausputzer der Eurogruppe

Der Ausputzer der Eurogruppe

Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold über die Macht der EZB, die Troika-Krisenpolitik und die Blockupy-Proteste

Am Samstag demonstrierte die Blockupy-Bewegung am neuen Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main. Deren Politik wird vor allem in Deutschland scharf kritisiert. Für den Grünen-Europaabgeordneten und Finanzexperten Sven Giegold ist die EZB der Hardliner in der Troika, die aber nur das ausführende Organ der EU-Mitgliedsregierungen ist. Mit dem 45-jährigen einstigen Attac-Gründer sprach Kurt Stenger.

Die Blockupy-Bewegung protestiert wieder vor der EZB-Zentrale. Finden Sie den Ort gut gewählt, wenn es um Proteste gegen die Folgen der europäischen Krisenpolitik geht?

Grundsätzlich finde ich Proteste gegen die Troika-Politik richtig. Ob die EZB nun der Hauptschuldige ist, das ist eher eine Detail-Frage. Auf der einen Seite war die Zentralbank in der Troika der Hardliner am Tisch, während der IWF und mit Abstrichen auch die EU-Kommission ausgewogenere Positionen vertreten haben. Auf der anderen Seite macht die EZB seit Jahren das, was die EU-Mitgliedstaaten verweigern. Die wichtigste Adresse für Proteste wäre eigentlich die deutsche Bundesregierung.

Warum? Mangelt es nicht vor allem bei der EZB an demokratischer Kontrolle?

Die Eurogruppe, also die Versammlung der Finanzminister und Staatschefs der Eurozone, gibt die Leitlinien vor, und die Troika ist nur das ausführende Organ. Vor allem die Eurogruppe ist schlecht kontrolliert, denn in den meisten Staaten müssen sich die Finanzminister nicht vor ihren nationalen Parlamenten rechtfertigen. Der Bundestag hat sich zwar ein Maß an Kontrolle erstritten, hat aber nicht zu allen wichtigen Dokumenten Zugang. Wir im Europarlament schauen komplett in die Röhre, weil hier Politik zwischen einzelnen Staaten statt auf europäischer Ebene gemacht wird. Das Grundproblem ist: Statt der notwendigen gemeinsamen EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik mit demokratischen Regeln haben wir einen Club der Finanzminister und Regierungschefs, der nicht demokratisch kontrolliert wird..

Zurück zur EZB: Es gibt viel Kritik am großen Machtzuwachs der Zentralbank, die ja nicht mehr nur für die Geldpolitik zuständig ist, sondern inzwischen auch für die zentrale Bankenaufsicht im Euroraum. Sehen Sie dies als Gefahr an?

Die Machtkonzentration bei der EZB widerspricht dem Prinzip der Gewaltenteilung – auch, weil zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen klare Interessenskonflikte bestehen. Zu den von Ihnen genannten Aufgaben kommen noch weitere hinzu wie die Sicherung der Finanzmarktstabilität oder die Wirtschaftsförderung etwa durch den Ankauf von ABS-Papieren (besicherten Kreditpaketen, mit denen Banken Risiken bündeln, auslagern und am Markt verkaufern können, d. Red.). Manche Kritik an dem Machtzuwachs der EZB ist aber heuchlerisch: So verweigert sich die Mehrheit des Bundestages einer gemeinsamen Wirtschafts- und Finanzpolitik, die in Deutschland mehr Nachfrage durch mehr Investitionen bedeuten würde, um ein stärkeres wirtschaftliches Gleichgewicht in der Eurozone zu erzeugen. Und umgekehrt beschimpft man dann die EZB, weil sie den Ausputzer spielt. Sie wird gerne zum Sündenbock gemacht.

Gerade Zentralbankchef Mario Draghi ist für deutsche Konservative und die rechtspopulistische AfD geradezu der Buhmann. Und zwar wegen der extrem lockeren Geldpolitik, die viel Spardruck von den Krisenländern genommen hat.

Die Kritik an Draghi hat rassistische Untertöne in Deutschland – im Sinne von: »Der Italiener geht unverantwortlich mit dem Geld um.« Dabei ist es genau umgekehrt: Deutschland verweigert sich einer solidarischen Krisenpolitik in Europa und hinterher greift man die EZB an, den Druck von den Krisenländern zu nehmen.

Solche Bemerkungen habe ich von den Blockupy-Protestlern nicht gehört. Was mich dort aber stört, ist Folgendes: Bei Blockupy wie auch bei der dort vertretenen Linkspartei gibt es eine Sehnsucht nach nationaler Souveränität. So hat die Linkspartei im Bundestag gegen die Ansiedlung der Bankenaufsicht bei der EZB gestimmt. Anders ging es im Rahmen der geltenden Verträge aber nicht. Einen Konsens für eine Vertragsänderung gab es nicht. Folglich standen wir vor der Wahl, die gemeinsame Kontrolle der Großbanken in der EZB anzusiedeln oder die gescheiterte nationale Aufsicht fortzusetzen. Die Großbanken hätten sich ins Fäustchen gelacht. Denn um die Bankkonzerne demokratisch zu kontrollieren, muss man den Wettbewerb der Nationalstaaten um die lascheste Aufsicht beenden.

Bei Blockupy geht es aber um etwas Anderes – hier wird die Kritik an den sozialen Folgen der Austeritätsprogramme mit einem Plädoyer für ein Europa von unten verbunden. Deshalb die Frage: Bei Blockupy beteiligen sich die Linkspartei, linke SPD-Politiker und auch Attac, warum nicht die Grünen?

Wir teilen die Kritik an der sozial ungerechten Politik der Troika. Wir teilen aber nicht die Grundsatzkritik, die Ablehnung des Kapitalismus, und auch nicht die Meinung vieler der beteiligten Organisationen, die sozialen Ziele eher auf nationaler Ebene durchsetzen zu können. Das glauben wir nicht. Wir sind überzeugt, dass der Kampf für die Weiterentwicklung eines demokratischen Europas die Zukunft ist. Uns fehlt in den Aufrufen von Blockupy, dass es darum geht, die EU zu demokratisieren und dort für einen anderen Ausgleich der Interessen zu sorgen. Es gibt auch kein diffuses »anderes Europa«, sondern nur den Streit um die Richtung, die die EU nimmt. Und deshalb sind wir da nicht dabei. Wir sind, trotz aller Kritik an einzelnen Politiken der EU, entschieden pro-europäisch.

Rubrik: Wirtschaft & Währung

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