Sven Giegold

Erfolg bei GameStop-Anhörung: Europäische Behörden nehmen Geschäftsmodelle von Neobrokern unter die Lupe

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,

das ist eine gute Nachricht für alle Kleinanleger*innen: Gestern, am 24. Februar, hat mir Steven Maijoor, der Chef der europäischen Wertpapieraufsicht ESMA, versprochen, dass seine Behörde die Geschäftsmodelle der sogenannten Neobroker unter die Lupe nehmen wird. Auch Ugo Bassi, zuständiger Bereichsleiter in der Europäischen Kommission, kündigte eine Untersuchung an. Beide deuteten an, dass sie die neuen Geschäftsmodelle aus Verbraucher*innensicht sehr kritisch betrachten. Die Äußerungen fielen bei einer Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments zu den jüngsten Ereignissen rund um die GameStop-Aktie. Diese hatte ich Ende Januar angeregt. Eine vollständige Aufzeichnung der Anhörung findet sich hier.

Seit Ende Januar die Börsen verrückt spielten, rückten die sogenannten Neobroker schlagartig in den Fokus der Aufmerksamkeit. Diese Firmen ermöglichen Kleinanleger*innen den Handel mit Wertpapieren online oder via App und verlangen dafür nur geringe oder gar keine Gebühren. Im Vergleich zu den wenig komfortablen und oft sehr gebührenintensiven Angeboten klassischer Depotbanken eigentlich ein echter Fortschritt für die Verbraucher*innen! Schon seit einigen Jahren steigen die Nutzerzahlen deshalb kontinuierlich an, wenngleich belastbare Zahlen rar sind. Der amerikanische Marktführer Robinhood, der während der GameStop-Episode zeitweise unter dem Ansturm seiner Kund*innen den Handel aussetzen musste, hatte zuletzt rund 13 Millionen Kund*innen. Von solchen Zahlen sind europäische Anbieter noch weit entfernt, doch Schätzungen zufolge kommt zum Beispiel auch das deutsche FinTech Trade Republic mittlerweile auf rund 500.000 Kund*innen.

Das verbraucherfreundliche Image der Neobroker bekommt jedoch Risse, wenn man ihre Geschäftsmodelle genauer betrachtet. Fast alle finanzieren die niedrigen Gebühren durch ein Vergütungsmodell, das unter dem Namen “payment for order flow” (PFOF) bekannt ist. Eigentlich sollte ein Broker ausschließlich im besten Interesse seiner Kund*innen agieren und für deren Kauf- oder Verkauforders den besten am Markt verfügbaren Preis suchen. Bei PFOF werden die Aufträge jedoch an bestimmte Handelsplätze oder Marktteilnehmer weitergeleitet, die dem Broker dafür eine finanzielle Rückvergütung zahlen. Das sorgt nicht zwangsläufig dafür, dass Kund*innen schlechter gestellt werden. Laut der amerikanischen Wertpapieraufsicht SEC war das aber zumindest früher bei Robinhood der Fall, die der Firma dafür eine Millionenstrafe aufbrummte. Den Kund*innen ist oftmals nicht klar, dass sie so indirekte Gebühren durch die Hintertür zahlen. Außerdem kann es zur Verzerrung der Preisbildung und des fairen Wettbewerbs kommen. Vor allem aber birgt das Modell PFOF massive inhärente Interessenskonflikte. Wer als Broker finanziell auf Handelsrückvergütungen angewiesen ist, kann kaum glaubwürdig die Interessen der Kleinanleger*innen vertreten. Die britische Financial Conduct Authority vertritt deshalb schon seit Jahren die Auffassung, dass PFOF nicht mit den Anlegerschutzbestimmungen der europäischen Regeln für Wertpapierfirmen (MiFID II) kompatibel ist. In den meisten Mitgliedstaaten der EU wird das Modell hingegen geduldet. Sowohl Steven Maijoor als auch Ugo Bassi deuteten an, dass sie das sehr kritisch bewerten. Die ESMA wird nun untersuchen, welche Praktiken existieren und ob diese nicht schon heute als europarechtswidrig eingestuft werden sollten. Bassi bekräftigte, andernfalls auch eine Verschärfung der Regeln ins Auge fassen zu wollen.

Im Rahmen der Anhörung äußerte Maijoor auch grundlegende Kritik an Rückvergütungsmodellen im Finanzbereich. Diese seien vor allem in der Finanzberatung kritisch zu sehen, weil hier die ausgeprägtesten Interessenskonflikte bestehen. Bisher läuft ein großer Teil der Finanzberatung von Kleinanleger*innen provisionsbasiert. Die Berater*in erhält dabei nach Vertragsabschluss ihrer Kund*in eine Rückvergütung vom Anbieter des Produkts. Beratungstermine sind damit in Wahrheit Verkaufsgespräche, und oft bekommen Kund*innen Produkte angedreht, die für sie überhaupt nicht sinnvoll sind. Maijoor argumentierte, dass nur eine echte unabhängige Finanzberatung im besten Interesse der Anleger*innen agieren könne. Damit kehrte er gewissermaßen zu seinen Anfängen zurück. Direkt nach seinem Amtsantritt als ESMA-Vorsitzender im Jahr 2011 hatte er sich für ein weitreichenden Stopp der provisionsbasierten Finanzberatung ausgesprochen und damit große Teile der Finanzwirtschaft aufgeschreckt. Leider scheiterte er mit seinem Ansinnen in der Folge stets am extremen Widerstand aus der Finanzlobby und den Mitgliedstaaten. Bei der anstehenden Überarbeitung der MiFID II werde ich mich erneut für ein Ende dieser Praxis und für einen fairen Zugang von Kleinanleger*innen zu Finanzprodukten einsetzen.

Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold

 

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Aufzeichnung der GameStop-Anhörung im ECON-Ausschuss von 23.02.2021:
https://multimedia.europarl.europa.eu/en/committee-on-economic-and-monetary-affairs_20210223-1345-COMMITTEE-ECON_vd

Meine Frage zu Payment for Order Flow und Leerverkäufen bei der GameStop-Anhörung:
https://multimedia.europarl.europa.eu/en/event_20210223-1345-COMMITTEE-ECON_vd?start=20210223143004&end=20210223143810

Meine Analyse zum Fall GameStop:
https://sven-giegold.de/gamestop-wahnsinn/

 

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