Stellungnahme als Sachverständiger in der Anhörung zum Antrag von Bündnis90/Grüne “Lehren aus den Paradise Papers ziehen – Steuervermeidung, Steuerbetrug und Geldwäsche konsequent entgegentreten“ im Ausschuss Europa und Internationales des Landtages von Nordrhein-Westfalen vom 7.9.2018
Sehr geehrte Damen und Herren, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in wenigen Tagen jährt sich zum zehnten Mal der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers. Die Folgen der globalen Finanzkrise sind noch heute spürbar. Jenseits der ökonomischen Folgen hinterlässt die Finanzkrise auch politische Spuren. Insbesondere haben Bürgerinnen und Bürger den Eindruck, dass die Verursacher der Krise nicht Haftung übernehmen mussten für die Kosten der Krise. Die Krise kostete die öffentlichen Haushalte Mittel, die für andere Zwecke fehlten. Die niedrigen Zinsen belasten Zinssparer und nutzen Schuldnern. Ungleichheit und Armut sind in zahlreichen Staaten deutlich gestiegen. Den Staaten ist nicht gelungen, die Kosten der Krise fair oder gar verursachergerecht zu verteilen.
Die Finanzkrise hat auch die Aufmerksamkeit für internationale und europäische Steuerflucht und Steuervermeidung verstärkt. Die Veröffentlichungen von Whistleblowern, Journalistinnen und Journalisten haben abstraktes Wissen um internationales Steuerdumping und Finanzkriminalität in Firmennamen und Gesichter übersetzt (OffshoreLeaks, SwissLeaks, LuxLeaks, Panama Papers, Paradise Papers, Organized Crime and Corruption Reporting Project). Sie stehen dafür, dass im Bereich der Steuern zweierlei Rechtsvollzug herrschen: Einer für Steuerflüchtlinge und einer für alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Einer für transnationale Unternehmen und einer für die lokal verwurzelte Wirtschaft. Diese doppelte Realität untergräbt das Vertrauen in den Steuerstaat und die Handlungsfähigkeit der Politik.
Nachdem auch in den geschädigten Ländern die politische Aufmerksamkeit für dieses Thema im Vergleich zu den fiskalischen Schäden gering war, konnten in den letzten Jahren große Fortschritte erreicht werden. Diese Fortschritte haben noch nicht so viel Wertschätzung erfahren, wie sie verdient hätten. Dazu zählen vor allem:
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Das Ende des Missbrauchs des Bankgeheimnisses zur internationalen Steuerhinterziehung durch die Einführung des internationalen Informationsaustausches über Finanzkonten durch nun über 100 Staaten und Jurisdiktionen.
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Die Einigung auf ein großes Maßnahmenpaket gegen Steuervermeidung transnationaler Unternehmen im Rahmen der G20: Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) und dessen europäische Umsetzung (ATAD, ATAD II).
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Eine ganze Reihe von europäischen Gesetzesvorlagen zur Bekämpfung von Geldwäsche, Steuerflucht und aggressiver Steuervermeidung, darunter:
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die Verpflichtung die wirtschaftlich Berechtigten von Firmen in Registern öffentlich zu machen und bei Trusts zumindest Behörden und berechtigt Interessierten zugänglich zu machen
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die europäische Liste von Steueroasen
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der automatische Austausch von Steuervorbescheiden (“tax rulings”) zwischen den Mitgliedsstaaten der EU
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der automatische, grenzüberschreitende Austausch von Steuervermeidungsmodellen in der EU, die von Vermittlern solcher Modelle angeboten werden (Steuerberatungsgesellschaften, Wirtschaftsprüfer, u.a.)
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Das Europäische Parlament hat diese Entwicklung durch eine Serie von Sonder- und Untersuchungsausschüssen sowie Beschlüssen und harten Gesetzgebungsverhandlungen mit dem Rat der Mitgliedsländer vorangetrieben. Die EU-Kommission steht durch parteiübergreifendes Interesse an dem Thema seit mehreren Jahren unter Erfolgsdruck.
Die international und europäisch koordinierten Maßnahmen weisen noch erhebliche Lücken auf und laden zur Suche nach Umgehungsmöglichkeiten ein. Darunter sind hervorzuheben:
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die Verlagerung von Schwarzgeld in Vermögensarten, die vom Informationsaustausch nicht erfasst sind, darunter Immobilienvermögen, materielle Wertgegenstände wie Kunstwerke, Edelmetalle, u.ä., die etwa in Freihäfen (“free ports”) gelagert werden;
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der Erwerb von Staatsbürgerschaften von Staaten, die am internationalen Informationsaustausch nicht effektiv teilnehmen oder die Daten nicht nutzen, u.a. um über diese Staatsbürgerschaft Finanzkonten einzurichten;
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sogenannte Patent- und Innovationsboxen, die von BEPS nur unvollkommen erfasst werden.
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Die USA wenden das gemeinsame System zum automatischen Austausch von Steuerdaten (Common Reporting Standard, kurz CRS) nicht an. Trotzdem wird die USA von der OECD als “largely compliant” eingestuft.
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Der schwarzen Liste der EU von Steueroasen fehlen abschreckende Sanktionen.
Das Land Nordrhein-Westfalen ist bei der Verfolgung von internationaler Steuerhinterziehung und Finanzkriminalität seit vielen Jahren Vorreiter. Erfreulich ist die geplante Aufstockung von Personal in diesem Bereich, auch wenn die Umsetzung noch nicht in allen beteiligten Behörden gelungen ist. NRW hat sich damit großen Respekt erworben. Auch international nutzen viele Staaten Europas die vom Land NRW angebotenen Daten von Verdächtigen internationaler Steuerhinterzieher.
Doch auch NRW kann noch mehr tun, um mit eigenen Mitteln noch effektiver gegen Finanzkriminalität und Geldwäsche vorzugehen. Dazu gehören:
Katastergesetzgebung: Die Kataster geben keine Auskunft über die wirtschaftlich Berechtigten von Immobilienvermögen in NRW. Sie sind auch nicht bundesweit untereinander verknüpft. Das Aufspüren von verstecktem Vermögen ist daher im Gegensatz zu z.B. Bankkonten kaum möglich.
Geldwäscheprävention: Verdachtsanzeigen von Geldwäsche kommen derzeit fast ausschließlich aus dem Finanzsektor. Andere Verpflichtete wie Immobilienmakler und Rechtsanwälte erstatten praktisch keinerlei Meldungen. Die Selbstkontrolle im Rahmen der Kammern funktioniert offensichtlich nicht. Die Länder sind in Deutschland für die Prävention von Geldwäsche verantwortlich. Die Kontrolle von Verpflichteten außerhalb des Finanzsektors findet kaum statt. In NRW liegt die Verantwortung bei den Bezirksregierungen, die lediglich jeweils rund eine Planstelle für diese Aufgabe haben. Hier braucht es deutlich mehr Personal.
Steuergerechtigkeit durch Gruppenanfragen: Die EU wie auch die OECD haben den Rechtsrahmen für die internationale Steuerkooperation stark verbessert. Durch Selbstanzeigen haben sich viele Steuerflüchtlinge bei den Finanzbehörden gemeldet. Es gab jedoch auch einen harten Kern von Steuerflüchtlingen, die alle Chancen zur Bereinigung ihrer Situation nicht genutzt haben. Die NRW Steuerbehörden sollten die Informationen aus den Selbstanzeigen systematisch auswerten und an alle beteiligten Staaten genau formulierte Gruppenanfragen stellen. So kann vermieden werden, dass die hartgesottensten Steuerflüchtlinge letztlich durch steuerliche und/oder strafrechtliche Verjährung davonkommen. Hier besteht nun Handlungsdruck!
Beteiligungen an ausländischen Unternehmen: Beteiligungen an ausländischen Unternehmen und Trusts müssen systematisch mit Steuererklärungen abgeglichen werden. Dazu muss die Steuerverwaltung die entsprechenden Registerdaten abfragen und auswerten. Auch schon vor Einführung der neuen Transparenzregister kann dies Wirkung zeigen wie die “MaltaFiles” gezeigt haben.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung könnte gegenüber der Bundesregierung und im Bundesrat auf folgende Verbesserungen hinwirken:
Öffentliche länderspezifische Steuertransparenz: International tätige Unternehmen sollten transparent machen, was sie in den einzelnen Ländern ihrer Geschäftstätigkeit machen: wie viel Gewinn sie erwirtschaften, wie viele Menschen sie beschäftigen und wie viel Steuern sie bezahlen. Die Bundesregierung blockiert auf EU-Ebene die von der EU-Kommission auf Druck des Europaparlaments vorgeschlagenen länderbezogene Offenlegungspflichten gegenüber der Öffentlichkeit, obwohl das Gleiche im Bereich der Banken ohne Klagen der Branche funktioniert. Die öffentliche Steuertransparenz wäre auch ein Stück fairer Wettbewerb gegenüber kleineren, lokal gebundenen Unternehmen.
Digitalsteuer: Auch Digitalkonzerne müssen dort ihre Steuern bezahlen, wo sie Gewinne generieren, nicht wo sie Gewinne ausweisen. Die EU-Kommission hat einen zweistufigen Vorschlag vorgelegt. Angesichts der großen Schwierigkeiten, europäische Steuerbeschlüsse zu fällen, ergibt es Sinn eine zusätzliche Steuer mit den digitalen Umsätzen als Bemessungsgrundlage zu erheben. So könnte der unfaire Wettbewerb zwischen digitalen und traditionellen Geschäftsmodellen beendet werden, ohne das europäische Unternehmenssteuerrecht stark ändern zu müssen. In jedem Falle ist sinnvoll, die Definition der Betriebsstätte an das digitale Zeitalter anzupassen. Der Vorschlag der EU-Kommission verdient die volle Unterstützung der Bundesregierung, statt eine Distanzierung des Bundesfinanzministers.
Effektiver Schutz von Whistleblowern: Whistleblower und Journalisten sorgten durch ihre Enthüllungen für wichtige Fortschritte bei der Bekämpfung von Steuerbetrug, Geldwäsche und Korruption. Wer Missstände sowie illegale und korrupte Aktivitäten ans Licht bringt, muss sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich geschützt werden. Dazu braucht Deutschland ein Whistleblower-Schutzgesetz und die EU eine entsprechende Richtlinie. Diese Regelungen müssen Whistleblower auch schützen, wenn sie sich im öffentlichen Interesse direkt an die Öffentlichkeit wenden.
Einführung der Strafbarkeit juristischer Personen (Unternehmensstrafrecht): Ein Referentenentwurf liegt seit langem vor. Natürliche Personen, die in einem Unternehmen arbeiten, übernehmen typischerweise die durch die Unternehmenskultur vorgegebenen Ziele und Vorstellungen des Unternehmens und können nicht mehr durch das Strafrecht und seine Verbote präventiv erreicht werden. Deshalb besteht die Notwendigkeit, die Unternehmen selbst beziehungsweise die juristischen Personen zu strafrechtlichen Sanktions-Adressaten zu machen.
Erteilung von Spontanauskünften an Finanzbehörden in Schwellen- und Entwicklungsländern ermöglichen. Spontanauskünfte sind nach derzeitiger Rechtslage gegenüber Nicht-DBA-Staaten nicht zulässig. Das muss sich ändern und wäre echte Entwicklungshilfe.
Anzeigepflicht für aggressive Steuergestaltungsmodelle sollte auf rein nationale Fälle ausgeweitet werden.
Unternehmensregister: Strohmänner dürfen nicht länger als wirtschaftlich Berechtigte anerkannt werden.
Generelle Veröffentlichung verhängter strafrechtlicher Sanktionen im Bereich der Wirtschafts- und Finanzkriminalität.
Vortaten zur Geldwäsche: Jede Straftat, insbesondere jede Art der Steuerhinterziehung, sollte als Vortat zur Geldwäsche qualifiziert werden.
Auf europäischer Ebene könnte die Landesregierung im Rahmen ihrer Präsenz bei den europäischen Institutionen auf folgende Verbesserungen drängen:
Gemeinsame Unternehmenssteuern: Die EU-Kommission hat eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage vorgeschlagen, allerdings ohne Mindestsätze für Unternehmensteuern vorzusehen. Wenn solche weitergehenden Maßnahmen gegen Steuerdumping absehbar an der erforderlichen Einstimmigkeit im Rat der Mitgliedstaaten scheitern, sollte die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag nach dem Mehrheitsverfahren gemäß Artikel 116 AEUV vorlegen. Die EU-Kommission muss das Beihilferecht weiterhin konsequent gegen steuerliche Beihilfe einsetzen. Die Rückforderungen dürfen nicht auf einige wenige Exempel (wie Apple, FIAT, usw.) begrenzt werden, sondern müssen konsequent fairen Wettbewerb wiederherstellen und alle illegalen steuerlichen Beihilfen zurückfordern.
Besteuerung von Zahlungsströmen zwischen EU-Mitgliedsländern und Drittstaaten: Zahlungen aus einem EU-Mitgliedstaat in einen Drittstaat sollten vom EU-Mitgliedstaat mit einer Quellensteuer belegt werden, wenn sie im Drittstaat keiner nennenswerten Besteuerung unterliegen. Durch eine Switch-over-Klausel darf für Dividenden aus Drittländern nur dann eine Steuergutschrift im EU-Mitgliedstaat möglich sein, wenn die Dividende im Drittland ordnungsgemäß besteuert wurde. Mitgliedstaaten mit niedrigen Steuersätzen dürfen kein Schlupfloch für steuerfreie Zahlungen aus der EU heraus sein.
Brexit: Die Paradise Papers belegten die zentrale Rolle des Vereinigten Königreiches und verbundener Territorien für das globale Steuerdumping. Die Brexit-Verhandlungen sind eine Chance, die britischen Steueroasen trocken zu legen. Die Londoner City und die angeschlossenen Steueroasen dürfen nur Zugang zum EU-Binnenmarkt bekommen, wenn sie die Steuervermeidungsgeschäfte beenden. Auch eine Diskussion über die Non-Dom-Regeln für ausländische Steuerzahler in Großbritannien mit Kapitaleinkommen in Drittländern ist überfällig.
Mit freundlichen Grüßen,
Sven Giegold