Sven Giegold

Politische Drehtür: Welche Form der Bereicherung?

Auf meinen Protest nach dem prompten Seitenwechsel von Sharon Bowles vom Vorsitz des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON) zur Londoner Börse erreichten mich sehr viele E-Mails von Bürgerinnen und Bürgern. Die weitaus meisten teilten meine Kritik und dankten mir für die offene Information der Öffentlichkeit. Doch einige gaben auch zu bedenken, dass ein solcher Seitenwechsel auch Vorteile haben könnte. So könnte der Seitenwchsel den Austausch zwischen Wirtschaft und Politik fördern und damit auch die Politik bereichern und verbessern. Auch Markus Ferber (CSU) und ebenfalls Mitglied des ECON rechtfertigte im Handelsblatt die rasch rotierende Drehtür. Begründung: Ohne Möglichkeit nach einem Parlamentsmandat in die Wirtschaft zu gehen, würden viele gute Leute nicht mehr in die Politik gehen.

Selbstverständlich ist wünschenswert, wenn UnternehmerInnen wie BürgerInnen mit anderem Hintergrund in die Politik gehen. Parlamente brauchen Vielfalt. Gleichzeitig muss es möglich sein, nach einem öffentlichen Amt oder Mandat wieder in die Wirtschaft zu gehen. Ansonsten wäre das ja für viele Abgeordnete faktisch ein Berufsverbot.

Völlig unakzeptabel finde ich jedoch, wenn mächtige EntscheidungsträgerInnen direkt in genau den Wirtschaftssektor gehen, für den sie vorher im öffentlichen Interesse verantwortlich waren. Das genau hat Sharon Bowles gemacht. Ein Wechsel in Sharon Bowles alte Branche – Patentanwältin – hätte mich dagegen in keiner Weise aufgeregt. Damit stehen allen Abgeordneten wahrlich genügend Tätigkeiten in der freien Wirtschaft offen. Auch so kommt es zu einem bereichernden Austausch zwischen Politik und Wirtschaft, aber ohne unakzeptable Interessenskonflikte. Aus guten Gründen ist für EU-Kommissare der Seitenwechsel mit starken Interessenskonflikten nicht ohne Sperrfrist möglich. Denn vor allem besteht die Gefahr, dass öffentliche Entscheidungsträger mit Blick auf einen möglichen lukrativen Job das Gemeinwohl nicht so klar verfolgen, wie es dem öffentlichen Amt oder Mandat entspricht. Auch in der Privatwirtschaft gibt es für wichtige Jobs Ausschlussklauseln: Es ist nicht ohne weiteres erlaubt zu einem direkten Wettbewerber eines früheren Arbeitgebers zu wechseln und somit Insider-Wissen quasi zu versilbern.

Daher muss das Europaparlament den Seitenwechsel von Sharon Bowles zum Anlass nehmen, auch Regeln für Europaabgeordnete zu beschließen. Eine Sperrfrist von drei Jahren erscheint mit angemessen. Das gleiche sollten wir auch im Bundestag und in den Landesparlamenten vorantreiben.

Sharon Bowles hat mittlerweile erklärt, dass sie nicht bereit ist, auf die zehnmonatige Fortzahlung ihrer Abgeordnetendiät zu verzichten. Sie will vielmehr ein Doppelgehalt beziehen: Londoner Börse und EU. Formal steht ihr das Geld zu. Anständig finde ich das nicht.

Es kommt eben darauf an welche Bereicherung: eine persönliche oder eine anregende durch Austausch und Vielfalt.

 

Weiterlesen:

http://www.spiegel.de/wirtschaft/lobbyismus-eu-politikerin-sharon-bowles-wechselt-zur-londoner-boerse-a-988070.html

https://sven-giegold.de/2014/ex-vorsitzende-des-econ-wechselt-zur-londoner-boerse-sharon-bowles-verkauft-ihren-guten-ruf-und-schadet-dem-ansehen-der-eu/h

http://ftalphaville.ft.com/2014/08/28/1949111/sharon-bowles-side-shifter/?