Sven Giegold

Stärkere Integritätsregeln für Parlament und Kommission aber schwach bei Lobbytransparenz und Drehtürprinzip

 

Heute hat der Verfassungsausschuss des Europaparlaments über Vorschläge zur Änderung der Geschäftsordnung des Parlaments (‘Corbett Bericht’) abgestimmt. Die laufende Änderung der Regeln führte zu einer harten Debatte um Minderheitsrechte im Parlament, Lobbytransparenz und härtere Regeln für Integrität und Transparenz. Die Grünen hatten einen ‘Plan für Integrität und Transparenz im Europaparlament’ präsentiert, der 58 Vorschläge enthielt. Jede einzelne Regeländerung muss im Plenum mit absoluter Mehrheit bestätigt werden. Diese Abstimmung wird zwischen dem 12. und 15. Dezember erwartet, so dass die Änderungen am 1. Januar 2017 in Kraft treten können. Viele gewonnene und verlorene Abstimmungen waren so umstritten, dass knappe namentliche Abstimmungen zu erwarten sind und noch nichts sicher ist.

Das Ergebnis der Abstimmung im Verfassungsausschuss kommentiert Sven Giegold, Berichterstatter für Transparenz, Rechenschaftspflicht und Integrität:

‘Die Europaabgeordneten haben wichtige stärkere Regeln gegen Interessenkonflikte im Parlament beschlossen. Wir begrüßen sehr, dass es ein starkes Verbot von Lobby-Nebenjobs gegen den Widerstand der Konservativen geben soll. Auch neue Kommissare werden einen härteren Test gegen Interessenskonflikte im Parlament durchlaufen müssen.

Aber es ist traurig, dass unsere Forderungen nach mehr Lobbytransparenz an Konservativen und Liberalen gescheitert sind. Sogar Berichterstatter und Ausschussvorsitzende dürfen weiter geheimhalten, welche Lobbyisten sie treffen und welche Lobby-Vorschläge sie bekommen.

Entgegen vorheriger Pläne werden die Rechte von Minderheiten im Parlament nicht unangemessen beschnitten.’

Eine Übersicht des Abstimmungsverhalten von Konservativen (EVP), Sozialdemokraten (S&D), Liberalen (ALDE) und Grünen finden Sie hier: https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2016/11/Result-Key-Votes-Corbett.pdf


 

ERFOLGE in der Ausschuss-Abstimmung

Kandidaten für den Posten als EU-Kommissar können in ihren parlamentarischen Anhörungen nur weiterkommen, wenn der Rechtsausschuss (JURI) sie für frei von Interessenkonflikten erklärt.

Vorwürfe von Interessenkonflikten bei Europaabgeordneten müssen vom Parlamentspräsidenten an den Beratenden Ausschuss für den Verhaltenskodex für Europaabgeordnete weitergeleitet werden, wenn sie nicht offensichtlich schikanös sind. Der Präsident kann solche Untersuchungen also in Zukunft nicht mehr blockieren.

Das Verbot von Lobby-Nebenjobs für Abgeordnete wird gestärkt: Explizit dürfen MdEPs kein Geld für professionelle Lobbyarbeit annehmen.

Die großen Fraktionen verlieren ihr faktisches, intransparentes Veto gegen Untersuchungsausschüsse oder bestimmte Untersuchungsziele, weil ein solcher Antrag künftig nicht mehr durch die Konferenz der Fraktionsvorsitzenden muss, bevor er im Plenum abgestimmt wird. Der Untersuchungsausschuss zu den Luxemburg Leaks wurde genau dort in der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden blockiert.

Verbesserung der Transparenz, wer die sogenannten interfraktionellen Arbeitsgruppen (“Intergroups”) finanziert, wo sich regelmäßig MdEPs und Lobbyisten treffen.

Lobbyisten, die Einladungen des Parlaments verweigern, verlieren ihre Zugangsausweise. Und Lobbyisten sollen keine Zugangsausweise als Entourage von Europaabgeordneten bekommen.

Zwischenergebnisse von Trilog-Verhandlungstreffen müssen schriftlich veröffentlicht werden, nicht nur wie bisher minimalistisch und mündlich im Ausschuss.

 

VERLORENE ABSTIMMUNGEN im Verfassungsausschuss

Bei der Lobbytransparenz war kein Fortschritt möglich. Ob MdEPs einen Legislativen Fußabdruck darüber erstellen, wer sie bei Berichten lobbyiert hat, und ob sie ausschließlich Lobbyisten aus dem Transparenzregister treffen, bleibt unreguliert und völlig freiwillig. Bessere Regeln hängen von den Verhandlungen um eine neue interinstitutionelle Vereinbarung für das Transparenzregister zwischen Parlament, EU-Kommission und Rat der Mitgliedstaaten ab.                                   

Schattenberichterstatter werden nicht auf Interessenkonflikte überprüft.

Karenzzeit: MdEPs können weiterhin direkt nach ihrem Mandat als Lobbyist arbeiten. Eine minimale Anzeigepflicht gegenüber dem Parlament bleibt ohne Konsequenzen, weil niemand die Meldungen auf Interessenkonflikte überprüft.

Wenn der Beratende Ausschuss einen Abgeordneten mit Interessenkonflikt und im Bruch des Verhaltenskodex findet und Sanktionen empfiehlt, kann der Parlamentspräsident dies weiter blockieren, so wie er bisher alle empfohlenen Sanktionen verhindert hat. Außerdem bleibt der Beratende Ausschuss eine Versammlung ausschließlich von Abgeordneten. Keine externen Experten können den zwangsläufigen Interessenkonflikt ausbalancieren, wenn Abgeordnete ihre Kollegen untersuchen sollen.

Der Beratende Ausschuss soll weiterhin nicht definieren, was eigentlich Interessenkonflikte darstellt.

Es gibt keine Klarstellung, dass Reden, Artikel und extra-Funktionen von MdEPs eingeschlossen sein sollen vom Verbot Geld für politische Entscheidungen anzunehmen.

MdEPs müssen weiterhin nur Einkommen, nicht aber Vermögen und Schulden offenlegen obwohl dies Parlamentarier z.B. aus Frankreich und Kroatien schon tun müssen.

Trotz gewisser Fortschritte durch die Veröffentlichung von Trilog-Zwischenergebnissen, werden Dokumente aus Trilogen weiterhin nicht so behandelt und transparent gemacht wie legislative Dokumente sonst behandelt werden.

Wie die EU-Kommission und andere auf die Empfehlungen des Parlaments reagieren soll auch weiterhin nicht gesammelt werden. Damit gibt es keinen neuen Druck, das Parlament auch ernst zu nehmen.

           


Unseren vollständigen ‘Grünen Plan für Transparenz und Integrität im Europaparlament’ finden Sie hier:

https://sven-giegold.de/2016/gruener-plan-fuer-transparenz-und-integritaet-im-europaparlament/