Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,
soeben hat das Europaparlament mit großer Mehrheit seine partei-übergreifenden Vorschläge für die “Konferenz zur Zukunft der EU” beschlossen. Nur die rechtsextremen und rechtskonservativen Abgeordneten stimmten dagegen. Diese Konferenz ist neben dem “European Green Deal” das zweite große Projekt der Kommission von der Leyen und war auch eine Forderung von uns Grünen. Ziel ist es die Europäische Union demokratischer und handlungsfähiger zu machen. Mein Grüner Kollege aus NRW, Daniel Freund, war als Schattenberichterstatter maßgeblich an der Entstehung der Parlamentsvorschläge beteiligt.
Angesichts des Brexits, des gestärkten Nationalismus in Europa und der Welt und den wachsenden globalen Herausforderungen vom Klimawandel bis zu Handelskonflikten ist eine solche Reform unverzichtbar für die Zukunft Europas. Gegenwärtig reichen die Entscheidungsprozesse der EU (z.B. die weitgehende Einstimmigkeit im Rat) und das Budget nicht aus, um diesen Herausforderungen so zu begegnen, wie die Größe und Schwere der Herausforderungen es erfordern. Auch Wahlrechtsfragen, wie die Einführung transnationaler Listen und die Verankerung des Spitzenkandidaten-Prinzips für die Europawahlen, sollen diskutiert werden. Der Versuch der Rechtskonservativen und etlichen Konservativen aus der EPP dieses Thema zu streichen, war in den Abstimmungs erfolglos.
Nach dem Willen des Parlaments soll die Konferenz nicht einfach nur ein Abnicken von Vorschlägen der Kommission und der Mitgliedsländer sein, sondern die Bürger*innen direkt einbinden. Die Konferenz soll deshalb aus zwei Säulen bestehenden:
In Bürgerversammlungen (so genannte “Agoras”) sollen 200-300 per Los ausgewählte Bürger*innen aus ganz Europa in mehreren Treffen Reformvorschläge erarbeiten. Das Losverfahren ist ein absolutes Novum in der EU. Pro Versammlung soll ein vorher festgelegtes Thema diskutiert werden. Das können sowohl institutionelle Fragen (z.B. des Wahlrechts) oder inhaltliche Fragen sein. Die Agoras sollen in verschiedenen europäischen Städten abgehalten werden, jeweils mit Teilnehmer*innen aus mehreren Mitgliedsländern. Nach dem Willen des Parlamentes soll es auch separate “Jugend-Agoras” nur mit Menschen zwischen 16-25 geben.
Die Empfehlungen der Bürgerversammlungen sollen dann durch die zweite, so genannte “institutionelle Säule” beraten und dann durch konkrete Gesetzesvorhaben bis hin zu Änderungen der Europäischen Verträge umgesetzt werden. Diese institutionelle Säule soll mit Vertreter*innen des Europaparlaments, der EU-Kommission, der Regierungen im Rat der Mitgliedsländer und der nationalen Parlamente besetzt sein. Zusätzlich sollen regionale Parlamente und Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Gruppen (z.B. Umweltverbände) mit einbezogen werden. Wir Grüne wollten diesen regionalen Parlamenten und NGOs, als auch Vertreter*innen aus den Bürgerversammlungen auch einen festen Sitz und Stimmrechte in der zweiten Säule geben, doch dieser Vorschlag ist denkbar knapp an den Gegenstimmen der Konservativen und Liberalen gescheitert. Mit den Sozialdemokraten brachten Konservative ebenso zu Fall, dass die Vertreter*innen der Bürgerversammlungen noch länger an den Beratungen der Konferenz teilnehmen dürfen. Beides schwächt die ansonsten starke Resolution.
Die Gesetzesvorhaben und Vertragsänderungen der zweiten Säule sollen dann wieder den Bürgerversammlungen vorgelegt werden. Als letzter Schritt verpflichten sich dann die EU-Institutionen darauf, die Vorhaben auch umzusetzen. Alle Sitzungen der Konferenz sollen live im Internet gestreamt werden und alle Dokumente öffentlich sein.
Dieser Vorschlag des Parlamentes bietet echte Chancen für eine wirkliche EU-Reform, die mit den Bürger*innen gemeinsam erarbeitet wird. Das wäre ein echter Fortschritt für die Europäische Demokratie!
Schon am 9. Mai 2020, dem Europatag und 71. Jahrestag der Unterzeichnung der Schuman-Erklärung, soll der Startschuss für die Konferenz fallen. Dieser Zeitplan ist äußerst ambitioniert, denn nach dem heutigen Beschluss des Parlamentes beginnen erst die Verhandlungen mit dem Rat der Mitgliedsländer und der EU-Kommission. Denn auch die Mitgliedsländer haben eigene Vorstellungen zum Format der Konferenz. Es werden keine einfachen Verhandlungen werden. Wir Grüne werden in den Verhandlungen auf echte Mitwirkung der Bürger*innen und verbindliche Zusagen zur Umsetzung der Vorschläge pochen.
Europa hat mit dieser “Konferenz zur Zukunft der EU” eine große Chance die EU gemeinsam mit den Bürger*innen demokratischer und handlungsfähiger machen. Wir können damit nicht nur viel Vertrauen zurückzugewinnen, sondern auch eine gestärkte Europäische Öffentlichkeit schaffen. Diese Chance dürfen wir nicht verstreichen lassen. Jetzt liegt es an Rat und Kommission sie zu nutzen und sich den starken Vorschlägen des Parlaments anzuschließen! Und überall vor Ort sollten die Vorbereitungsveranstaltungen für die Konferenz auf den Weg gebracht werden. Denn nur eine breite Beteiligung in den Regionen kann die Chancen der Konferenz zur Zukunft der EU heben.
Mit europäischen Grüßen
Ihr und Euer Sven
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Text des Beschlusses des Parlaments zur “Konferenz über die Zukunft Europas”: http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2020-0036_DE.html
Mehr Infos zum heutigen Beschluss und der Konferenz finden sich auf der Homepage von Daniel Freund: https://www.danielfreund.eu/2019/12/20/europaparlament-will-buergerversammlungen-im-eu-reformprozess/
In einer früheren Version hieß es: „Wir Grüne wollten diesen regionalen Parlamenten und NGOs, als auch Vertreter*innen aus den Bürgerversammlungen auch einen festen Sitz und Stimmrechte in der zweiten Säule geben, doch dieser Vorschlag ist denkbar knapp an den Gegenstimmen der Konservativen und Sozialdemokraten gescheitert.“ Das war nicht korrekt. Der Vorschlag scheiterte an Konservativen und Liberalen. Das ist im Text korrigiert und ergänzt. (15.1.20 – 21:00)