Die EU wird oft als Vorreiterin einer Demokratie jenseits nationalstaatlicher Grenze angesehen. Gleichzeitig haben die europäischen Bürgerinnen und Bürgern verstärkt den Eindruck, dass sie die Entscheidungen in der EU kaum beeinflussen können. Die Distanz zwischen den EU-Bürgerinnen und Bürgern und den Europäischen Institutionen hat im Zuge der Eurokrise ebenso zugenommen wie auch die Skepsis gegenüber der nationalen Politik gewachsten ist.
Deshalb freue ich mich, dass es ab dem 1. April an für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union endlich die Möglichkeit geben wird, über eine Europäische Bürgerinitiative die politische Agenda der EU aktiv mitzugestalten. Die Europäische Bürgerinitiative ist damit das erste transnationale Bürgerbeteiligungsinstrument weltweit. Sie fand durch die Aktivitäten einer Bürgerinitiative (Mehr Demokratie /Democracy International) in letzter Minute Eingang in den Lissabon-Vertrag.
Wenn mindestens eine Million EU-Bürgerinnen und Bürger aus mindestens 7 der 27 Mitgliedstaaten für eine Europäische Bürgerinitiative mobilisiert werden können, muss sich vom kommenden Monat an die Europäische Kommission mit dem Anliegen der Initiative befassen. Der Anwendungsbereich der Bürgerinitiative beschränkt sich dabei auf die Politikfelder, in denen die EU zuständig ist, also z.B. auf Umweltpolitik, Verbraucherschutz, Landwirtschaft oder Handelspolitik.
Das Wichtigste an der Bürgerinitiative ist aus meiner Sicht jedoch: Um erfolgreich 1 Millionen Unterschriften zu sammeln, muss sich die Zivilgesellschaft grenzüberschreitend organisieren. Genau daran fehlt es bisher. Umweltverbände, Gewerkschaften, Menschenrechtsgruppen, Kirchen, Verbraucherorganisationen, usw. unterhalten zwar Brüsseler Büro und halten europäische Funktionärstreffen ab. Nur selten kommt es aber zu echten europäischen Begegnungen und Mobilisierungen der eigenen Basismitglieder. Genau das wird nun durch die Europäische Bürgerinitiative attraktiv und lohnend. Hoffentlich wird sie damit zur Europäisierung der kritischen Zivilgesellschaft beitragen, um mit den gut organisierten Lobbys mächtiger Partikularinteressen in Brüssel gleichzuziehen. Hoffentlich sehen wir bald mehr und stärkere europäische Kampagnen im Sinne des Gemeinwohls.
Bei den Verhandlungen über die Ausgestaltung der Europäischen Bürgerinitiative hat unser Sprecher für Verfassungsfragen, Gerald Häfner, ganz besonders dazu beigetragen, dass viele anfängliche bürokratische Stolpersteine abgebaut wurden. Er hat unter anderem erreicht, dass erfolgreiche Initiativen ein Recht auf eine öffentliche Anhörung im Europaparlament erhalten, eine Kontaktstelle für Anfragen und Beratung der Bürgerinnen und Bürger zur Europäischen Bürgerinitiative eingerichtet wird und dass es mehr Gerechtigkeit bei der Mindestzahl der Unterschriften pro Land geben wird.
Für uns Grüne geht die Europäische Bürgerinitiative aber noch nicht weit genug. Denn das Ergebnis einer Europäischen Bürgerinitiative ist für die Kommission nicht bindend. Das heißt: selbst wenn eine Bürgerinitiative die erforderliche Anzahl von Unterschriften sammelt und alle Voraussetzungen erfüllt, kann sich die Kommission immer noch für die Ablehnung der Initiative entscheiden. Der Weg zu einer echten Volksinitiative und Referendum steht nicht offen. Dennoch ist die Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative definitiv ein erster wichtiger Schritt hin zu einem stärker partizipatorischen Demokratiemodell in Europa.
Ich möchte an dieser Stelle gerne auf eine der ersten Europäischen Bürgerinitiativen aufmerksam machen, die die Kommission dazu auffordert, allen Mitgliedstaaten verbindliche Ziele zu setzen, um die Anerkennung und Umsetzung des Menschenrechts auf Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung in Europa und in der Welt voranzutreiben. Zuletzt haben sich bei der Abstimmung über eine einschlägige UN-Resolution im Juli 2010 sage und schreibe 17 (!) der EU-Mitgliedsstaaten enthalten. Grund genug also, die Kommission dazu aufzufordern, sich verstärkt mit diesem Thema auseinander zu setzen und entsprechende Gesetzesinitiativen zu unterbreiten. Ich persönlich unterstütze daher diese Europäische Bürgerinitiative und würde mich freuen, wenn auch Ihr jetzt Eure neue Möglichkeit zur direkten Partizipation nutzt!
PS: Über Hinweise auf weitere unterstützenswerte Europäische Bürgerinitiativen freue ich mich.
Links:
– Alles über die Europäische Bürgerinitiative bei der EU-Kommission
– Europäische Bürgerinitiative: Wasser ist ein Menschenrecht