Sven Giegold

Hinter den Kulissen: Wechselbad der Gefühle in Strasbourg. Von verratenem Investorenschutz & Erfolg bei der Finanztransaktionssteuer.

Die letzte Straßburger Plenarwoche des Europaparlaments war sehr intensiv. Es gab viele wichtige Entscheidungen: Der Euro-Beitritt Lettlands. Die Kürzung des EU-Haushalts. Aber auch zwei richtungsweisende Abstimmungen im Finanzmarktbereich, bei denen ich viel Arbeit investiert habe. Einerseits konnten wir die Finanztransaktionssteuer vorläufig vor den Lobbyisten retten. Die Liberalen und einige konservative Abgeordnete sind damit gescheitert, die Steuer durch exzessive Ausnahmen wirkungslos zu machen. Gleichzeitig ist es mir nicht gelungen, gegen die Mehrheit von Christdemokraten und Liberalen durchzusetzen, starken Verbraucherschutz bei Investmentfonds zu verankern. Die Abzocke von Anlegerinnen und Anlegern bei Fondsgebühren wird nun weitergehen, ebenso wie die Zahlung exzessiver Boni für Fondsmanager in einigen Ländern. Wie es dazu gekommen ist, ist gleichzeitig ein Lehrstück in europäischer Finanzmarktpolitik.

Investmentfonds: CDU, CSU und FDP verhindern Anlegerschutz

Vor einigen Monaten wurde ich zum Berichterstatter für die Investmentfonds-Richtlinie Ucits. Sie setzt die Regeln für fast alle Aktien- und Anleihefonds. Die schwindelerregende Summe von fast 6.300.000.000.000 EUR (6,3 Billionen) wird von der Richtlinie erfasst. Vor einigen Jahren kam beim Madoff-Skandal eine riesige Betrügerei ans Licht. Die Depotbanken hatten die Wertpapiere nicht korrekt verwaltet. Viele AnlegerInnen verloren ihr Geld. Die EU-Kommission hat mit der jetzigen Überarbeitung der Richtlinie vorgeschlagen, die Regeln für die Depotbanken und die Sanktionen zu verschärfen. Bei den Beratungen im Ausschuss hatten viele Europaabgeordnete von christdemokratischer und liberaler Seite Änderungsanträge vorgelegt, um die neuen Regeln im Interesse der Fondsindustrie zu schwächen. Ich hatte dagegen vorgeschlagen, zwei zusätzliche Dinge zu regeln:

Erstens wollte ich Bonus-Zahlungen an Fondsmanager auf maximal 100% des Fixgehaltes begrenzen. Während die deutsche Fondsindustrie das nicht besonders störte, weil solche Bonusexzesse unüblich sind, lief die britische Fondsindustrie Sturm.
Zweitens wollte ich so genannte ertragsbezogene Fondsgebühren begrenzen, die die Kosten für Investmentsfonds für Kleinanleger gerade in Deutschland nach oben getrieben haben. Denn diese Gebühren beruhen auf einem Trick: Wenn die Fonds gute Erträge über einem Zielwert erreichen, wird eine zusätzliche Prämie zu den ohnehin hohen festen Gebühren fällig – z.B. 25% des Mehrertrags. Oft beruhen die guten Ertragsjahre eines Fonds jedoch auf einer positiven Wertentwicklung an der Börse, die in Folgejahren durch Werteverluste wieder aufgefressen werden. Die angeblich ertragsbezogenen Gebühren werden in den schlechten Jahren nicht erhoben. Dadurch fallen sie kaum auf, obwohl sie auch erhoben werden, wenn unter dem Strich kein oder nur wenig Ertrag erzielt wurde. Diesem Treiben hat die deutsche Finanzaufsicht BaFin seit dem 1.7.2013 einen Riegel vorgeschoben, wie auch die Irische und die amerikanische. Allerdings werden diese neuen Schutzregeln vielfach umgangen, indem man die Fonds in Luxemburg oder in einem anderen EU-Land registriert. Kein Wunder, dass die deutsche Fondsindustrie gegen meinen Vorschlag Sturm lief.

Schon vor der Abstimmung im Ausschuss für Wirtschaft und Währung hatten sich die drei federführenden Abgeordneten (SchattenberichterstatterInnen) der Christdemokraten, der Liberalen und der Rechtskonservativen zusammengeschlossen, um meine beiden Vorschläge zu verhindern. Das war zunächst überraschend, da Thomas Mann (CDU) und Anne Jenssen (Liberale) zunächst dem von mir vorgeschlagenen Kompromiss zugestimmt hatten. Im ECON jedoch setzten sie sich trotz satter Mehrheit der drei Fraktionen nicht durch. Mehrere Abgeordnete der französischen, niederländischen und österreichischen Konservativen sowie der französischen Liberalen unterstützten meine Vorschläge. Ebenso wie die Sozialdemokraten und Linken von Anfang an für strenge Regeln waren. Besonders die britische Labour-Abgeordnete Arlene McCarthy hat dazu mit ihrer ganzen Fraktion dazu beigetragen. Auch die Linken halfen mit, wenn auch kein Abgeordneter je bei den Verhandlungen unter den SchattenberichterstatterInnen erschien.

Nach dem Erfolg im Ausschuss hatte ich als Berichterstatter die Wahl: Entweder ich gehe mit der Mehrheit direkt in die Verhandlungen mit dem Rat der Mitgliedsländer oder ich schlage vor, das Mandat im Plenum des Europaparlaments bestätigen zu lassen. Beides hat seine Vor- und Nachteile. Im Ausschuss sitzen die Fachabgeordneten, die mehr vom Thema verstehen. Dagegen ist ein Mandat des Plenums gegenüber dem Rat stärker und eigentlich auch demokratischer. Denn so können und müssen sich alle Abgeordneten zu möglichen Streitfragen verhalten. Angesichts der großen Eile bei allen Finanzmarktreformen ist die Erteilung des Verhandlungsmandats im Plenum ungewöhnlich geworden, obwohl das Verfahren eigentlich die Regel sein sollte. Da der Rat der Mitgliedsländer mit seiner Entscheidungsfindung ohnehin im Rückstand war, habe ich mich für den risikoreichen Weg ins Plenum entschieden. Dafür sprach für mich nicht nur die demokratische Legitimation, sondern auch, dass gerade die Begrenzung der Boni der Fondsmanager im Rat der Mitgliedsländer wohl kaum eine Chance gehabt hätte. Zudem wird so transparent, welche Abgeordneten Finanzmarktstabilität und Anlegerschutz höher gewichten als die Interessen der Fondsindustrie.

In den letzten beiden Monaten versuchte ich zunächst mit den KollegInnen aus allen Fraktionen, aber auch den VertreterInnen von Fondsindustrie und Verbraucherschützern Kompromisse auszuloten. Leider scheiterte dies, denn die Fondsindustrie war gespalten: Die Briten und Franzosen waren gegen die Grenzen für Boni. Die deutsche Fondslobby BVI wollte von der Abzocke mit den ertragsbezogenen Gebühren nicht lassen. So konnte sich die europäische Fondslobby Efama ebenfalls nicht einigen. Wenig überraschend war dann, dass die meisten Abgeordneten von Konservativen, Liberalen und Rechtskonservativen jeweils auf der Linie ihrer Fondsindustrie waren. Kurz vor der anstehenden Abstimmung im Plenum taten sich daraufhin die drei konservativ-liberalen SchattenberichterstatterInnen zusammen und beantragten im Namen ihrer Fraktionen, weder die Boni zu deckeln noch die ertragsbezogenen Fondsgebühren zu regulieren.

Wir Grünen beantragten daraufhin in enger Abstimmung mit den Sozialdemokraten namentliche Abstimmungen im Plenum. So musste jeder und jede öffentlich Farbe bekennen. Gleichzeitig mobilisierte ich Nichtregierungsorganisationen und die Medien. Das Interesse war erheblich, denn kontroverse Abstimmungen zu Finanzmarktfragen im Plenum des Europaparlaments sind selten geworden, da in diesem Rechtsbereich fast alles auf der Ebene des Ausschusses geregelt wird. Noch seltener ist, dass Anlegerinnen und Anleger ganz direkt mit ihrem Geldbeutel betroffen sind.

Vor der Abstimmung unterschieben über 90.000 BürgerInnen einen Appell an die Abgeordneten bei Campact. Artikel erschienen in der Süddeutschen, FAZ, Financial Times, Frankfurter Rundschau, auf Spiegel Online, usw. Eine Sammlung der wichtigsten Artikel findet Ihr hier.

In einem Gastbeitrag auf der Seite des Handelsblatts erklärte ich, warum die hohen Gebühren von Investmentsfonds den Ertrag der AnlegerInnen empfindlich mindern. Nach dreißig Jahren haben Fondsanleger in den USA alleine dank niedriger Gebühren 20% mehr Ertrag auf der hohen Kante für ihren Lebensabend. Auch der Europäische Verbraucherschutzverband BEUC, die deutsche Verbraucherlobby vzbv und ganz besonders ihr Landesverband NRW und die Europäische Kleinanlegerlobby Finuse meldeten sich zu Wort.

Gleichzeitig versuchte ich, mit möglichst vielen einzelnen Abgeordneten aus den Fraktionen von Christdemokraten/Konservativen, Liberalen und Rechtskonservativen zu sprechen. Dabei hörte ich aus verschiedenen Ecken, dass die Fondslobby unterwegs war und für den Erhalt der grenzenlosen Boni ebenso warb wie für die unfairen ertragsbezogenen Gebühren. Man spürte trotzdem, wie die Geschlossenheit der Christdemokraten und Liberalen bröckelte.

Ganz bitter war dann das Ergebnis. Ein schwarzer Tag für den Anlegerschutz in Europa. Die Abstimmung zu den Boni ging mit 341 zu 348 Stimmen denkbar knapp aus. Nur 4 Abgeordnete hätten anders abstimmen müssen. Auch bei den ertragsbezogenen Vergütungen war es eng: 335 zu 351.

Dass beides so knapp war zeigt, dass etliche konservative und liberale Abgeordnete gegen die Linie ihrer Fraktionen stimmten. Denn EVP, ALDE und die rechtskonservative ECR verfügen über ca. 60% aller Abgeordneten.

Das auf und ab meiner Emotionen wird in diesem 10 Sekundenvideo zu der verlorenen Abstimmung über die Performance Fees deutlich:.

Die Abstimmungsniederlage bei den Boni finde ich dabei deutlich leichter zu verdauen, als die bei der Gebührenabzocke. Die Sache mit den Boni ist Teilweise eine Grundsatzfrage. Für die exzessiven Fondsgebühren gibt es nicht einen vernünftigen Grund, zumindest habe ich im gesamten Gesetzgebungsverfahren keinen gehört.

Welche Abgeordneten wie abgestimmt haben, findet ihr hier.

Doch nun heißt es vorwärts schauen. Die Regulierung in diesem Bereich auf die lange Bank zu schieben, ist aus Sicht des KonsumentInnenschutzes fahrlässig. Die Abgeordneten unterstützten immerhin die ursprünglichen Vorschläge der EU-Kommission, den AnlegerInnenschutz durch strikte Haftung der Depotbanken für Einlagen sowie strengere Sanktionen zu verbessern: Existierende Regelungen sollen gestärkt und europäisch harmonisiert werden, um die Umgehung der Vorschriften zu verhindern. Die zahlreichen Änderungsanträge von konservativen und liberalen Abgeordneten auf der Ebene des Ausschusses mit dem Ziel, diese Regeln zu schwächen, sind nun endgültig gescheitert. Insgesamt ist mein Bericht aus Anlegersicht immer noch etwas stärker als der Kommissionsentwurf. Daher beantragte ich nach der Abstimmung die Rückverweisung des Gesetzes an den ECON-Ausschuss. Dort wurde nun ein Verhandlungsteam bestimmt werden, das ich mit der Vorsitzenden leite werde und das mit dem Rat der Mitgliedsländer verhandelt. Dort liegt der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission nach wie vor auf Eis. Wie auch zahlreiche andere Vorschläge im Finanzmarktbereich blockieren die Mitgliedsländer notwendige Gesetze. Das hat das EU-Parlament jüngst auf meine Initiative hin gerügt.

Letztlich bleibt diese Woche natürlich ein Ärgernis. Vor einer umfassenden Veränderung der Kultur in der Finanzwirtschaft schrecken zu viele Abgeordnete offensichtlich zurück. die Bonuskultur soll anscheinend weitergehen. Damit konterkariert das Europaparlament seinen eigenen Erfolg bei der Begrenzung von Bonizahlungen an Banker vor wenigen Monaten.

In den jetzt anstehen Verhandlungen mit dem Rat geht es darum, die Parlamentsposition gegen einzelne Mitgliedsstaaten zu verteidigen, die sich regelmäßig zum effektivsten Sprachrohr ihrer jeweiligen Finanzwirtschaft machen. Dabei könnte Deutschland in der Finanzmarktregulierung ein Verbündeter sein. Die BaFin hat bereits Regeln erlassen, wonach Performance Fees nur noch eingeschränkt erlaubt sind. Diese Regeln können dank Christdemokraten und Liberalen weiterhin über Auflage der Fonds in Luxemburg umgangen werden und trotzdem in Deutschland vertrieben werden. Eine leise Hoffnung habe ich noch, dass die Vorschläge zum Ende des Missbrauchs mit ertragsbezogenen Gebühren doch noch eine Wiederauferstehung erleben.

 

Finanztransaktionssteuer: Europaparlament rettet die Steuer vor den Lobbyisten

Wir haben in der gleichen Straßburg-Woche ebenso über die Parlamentsposition für eine europäische Finanztransaktionssteuer abgestimmt. Die Wirtschafts- und Finanzminister der EU hatten sich im Januar dazu durchgerungen, die Finanztransaktionssteuer (FTT) zunächst in verstärkter Zusammenarbeit in 11 Mitgliedsländern der EU einzuführen. Der jetzt diskutierte Vorschlag sieht nicht nur die Besteuerung des Handels mit Aktien und Anleihen mit einem geplanten Mindestsatz von 0,1 % vor, sondern schließt auch Derivate mit einem Mindestsatz von 0,01 % ein.

Die Finanzlobby hat in den letzten Wochen große Anstrengungen unternommen, möglichst viele Abgeordnete von diversen Steuerausnahmen zu überzeugen. Viele Gegner der Steuer in der Finanzindustrie wie in der Politik haben in den letzten Monaten ihre Strategie geändert: Statt die Steuer direkt zu bekämpfen, fordern sie aus verschiedenen Ecken alle möglichen Ausnahmen. So klingt es z.B. gut Pensionsfonds generell von der Finanztransaktionssteuer auszunehmen. Dann jedoch wird der faire Wettbewerb mit Lebensversicherungen und vielen Investmentfonds verletzt. Am Ende dieser Kette steht dann wieder das Ende der Steuer. Es ist ganz einfach: Entweder werden alle besteuert oder keiner. Dann ist die Steuer auch kostengünstig zu erheben und ergiebig.

Zum Glück ist es uns aber gelungen, den Kern des Vorschlags zu erhalten. Das Parlament stimmte mit breiter Mehrheit für eine Steuer, die für eine große Masse von Finanzprodukten und Finanzmarktakteuren gilt. Auch für den ursprünglichen Vorschlag von Professor James Tobin, für den ich mich seit über zehn Jahren engagiere, Devisentransaktionen zu besteuern, hat eine Mehrheit der Abgeordneten angenommen. Damit geht das Europaparlament über den EU-Kommissionsvorschlag hinaus.

Nach dem Gesetzesvorschlag sollen auch Pensionsfonds und andere Publikumsfonds steuerpflichtig werden, so dass eine breite Steuerbasis erreicht wird. Viele Konservative und Liberalen wollten ursprünglich für diese Ausnahme von der Steuer stimmen. Mit einem parteiübergreifenden Kompromiss konnten wir dieses Unheil zum Glück abwenden. Der Preis war allerdings erheblich, wir mussten gegen eigene Überzeugung gegen eine ganze Reihe von Steuerausnahmen stimmen, die wir selbst für unnütz und schädlich halten. In Steuersachen hat das Europaparlament leider kein Mitentscheidungsrecht. Unsere Stellungnahme ist daher auch bei der Finanztransaktionssteuer nicht bindend. Das Parlament konnte zwar die Tür für die Steuer in vielen Entschließungen aufstoßen, hindurchgehen kann aber nur der Rat der Mitgliedsländer. Nun liegt es an den 11 Staaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit, eine möglichst breit angelegte und wirksame Steuer zu vereinbaren. Im Anschluss an die Stellungnahme des Europaparlaments, muss der Rat der Mitgliedsländer jetzt abschließend über das Gesetz. Zivilgesellschaftlicher Druck ist weiterhin nötig, damit der Lobbyeinfluss dort nicht noch weiter zum Tragen kommt.

Ich werde spätestens nach der jetzt anstehenden Sommerpause trotzdem weiter für gerechtere Finanzmärkte und Anlegerschutz in Europa kämpfen. Spätestens im September melde ich mich mit neusten Stories aus dem Europaparlament zurück!