Sven Giegold

Gastbeitrag bei Demokratie+: Wirtschaftliche und politische Macht trennen!

Diesen Gastbeitrag zum 10-jährigen Bestehen von Lobbycontrol habe ich für das Online-Magazin Demokratie+ verfasst:

 

Wirtschaftliche und politische Macht trennen!

Vor 10 Jahren gründete sich mit der „Lobbycontrol – Initiative für Demokratie und Transparenz“ auch in Deutschland eine Bürgerorganisation gegen die zunehmende Macht einflussreicher Lobbyorganisationen. Seitdem hat sich auch in Deutschland viel bewegt. Abgeordnetenbestechung wurde endlich verboten. Nebeneinkünfte von Abgeordneten sind heute transparenter. Die meisten der verdeckten Mitarbeiter von Großunternehmen in den Ministerien mussten ihre schmuddeligen Schreibtische räumen. Und auch in Deutschland wächst die Unterstützung für vollständige Lobbytransparenz. All das ist auch der Verdienst von Lobbycontrol und dazu sollten wir Ihnen allen herzlich gratulieren!

Doch so ein zehnjähriger Geburtstag ist auch ein guter Moment für weiterführende Fragen. Nehmen wir einmal an, die schönsten Geburtstagsträume unserer bestorganisierten Lobbykontrolleure sind erfüllt: Lobbytreffen sind transparent, Lobbygruppen samt ihres Finanzgebahrens ebenso. Die Drehtüren zwischen Abgeordneten- und Regierungsbänken und Lobbyjobs sind wirksam verschlossen. Würde das genügen, um dem Eindruck wachsender Postdemokratie entgegenzutreten? Nein! Diese Forderungen sind wichtig, aber kratzen nur an der Oberfläche des Lobby-Problems. Es genügt nicht, Lobbyismus transparent zu machen. Wir brauchen vielmehr umfassende Grenzen, für das, was Geld in der Politik darf. Es geht nicht nur um Transparenz wirtschaftlicher Macht, sondern um Begrenzungen und Trennungen von demokratischer Politik. Um den angekratzten Respekt der Bürgerinnen und Bürger für demokratische Institutionen und Verfahren zurückgewinnen zu wollen, verlangt das Gemeinwohl eine Trennung zwischen mächtigen Wirtschaftsinteressen und demokratischer Politik.

So ist in Frankreich gesetzlich begrenzt, wie viel Geld Parteien in Wahlkämpfen ausgeben dürfen. Einer immer weiteren Aufrüstung von Wahlkampfkosten wie in Amerika ist damit ein Riegel vorgeschoben. Auch in Deutschland brauchen wir eine Begrenzung von Parteispenden und Wahlkampfausgaben. Lobbyismus findet zudem nicht nur über Gespräche mit Politik und Ministerien statt. Vielmehr versuchen mächtige Interessensgruppen mit viel Geld, Einfluss auf Wissenschaft und Medien zu nehmen. Die wachsende Abhängigkeit der Forschung von Drittmitteln macht kritische Wissenschaft schwerer. In vielen wirtschaftsnahen Bereichen der Wissenschaft ist es für die Politik in Deutschland fast unmöglich, kritische Wissenschaftler zu finden, die Kompetenz und Distanz zur Wirtschaft verbinden. Wenn Forschung sich direkt mit der Politikberatung zur Regulierung von Märkten befasst, sollte daher in Zukunft eine Trennung stattfinden: Entweder Forschungseinrichtungen finanzieren sich durch öffentliche Gelder oder sie entscheiden sich für wirtschaftsnahe Drittmittel. Ebenso ist die Finanzierung von kritischem Journalismus durch anzeigenabhängige Zeitungen und andere werbeabhängige Medien immer weniger gewährleistet. Für investigativen Journalismus brauchen wir gerade auf lokaler Ebene Finanzierungsformen unabhängig von der Wirtschaft.

Doch Grenzen für die politische Interessensvertretung der Mächtigen werden kaum genügen. Denn Geld sucht sich seine Wege, auch in der Politik. Deshalb müssen wir schwer organisierbare,  schwache Interessen stärken. Die Gründung der Brüsseler Gegen-Lobby FinanceWatch als Gegengewicht zur übermächtigen Finanzlobby in Brüssel ist ein gelungenes Beispiel. Es ist richtig, dass solche gemeinwohlorientierten Organisationen aus Mitteln des EU-Haushalts gefördert werden. Ähnlich wie den Wächtern der Finanzmarktstabilität geht es Arbeitslosen, Patienten, Pflegebedürftigen, zukünftigen Generationen – ihre politische Lobby ist schwach. Ihre Interessensvertretung verdient öffentlicher Stärkung.

Dazu gehört auch, im Gemeinnützigkeitsrecht die politische Interessensvertretung abzusichern. Heute gefährden Organisationen ihre Gemeinnützigkeit, wenn sie ihre Ziele auch durch gemeinwohlorientierte Lobbyarbeit verfolgen. Wirtschaftsunternehmen können dagegen die Mitgliedsbeiträge zu Lobbyverbänden problemlos von der Steuer absetzen. Daher muss das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden: Wer im Sinne gemeinnütziger Ziele auf die Politik einwirkt, sollte nicht mehr die eigene Gemeinnützigkeit gefährden.

Und schließlich braucht eine starke Demokratie Parlamente, die nicht auf die Zuarbeit mächtige Lobbys und ihrer Helfer angewiesen sind. Wie der US-Kongress sollten auch der Bundestag und das Europaparlament selbst über die personellen Ressourcen verfügen, Gesetze zu formulieren und die Haushaltszahlen der Regierung nachzurechnen. Denn nur starke Parlamente können sich leisten, gegenüber den Einflüsterungen mächtiger und ressourcenreicher Lobbys die notwendige Distanz zu wahren.

Es bleibt also viel zu tun für die Demokratie-Wächter von Lobbycontrol, für weitere 10 Jahre mindestens.