Sven Giegold

Zypern offenbart Europas Gerechtigkeitslücke

Hinter der Zypernfrage lauert das eigentliche Problem: Der Mangel an Steuergerechtigkeit in der EU. 

Soll der europäische Steuerzahler Zypern vor der Pleite retten? Auch Schwarz-Gelb ist unwohl bei dem Gedanken, ein Finanzsystem zu stützen, das die Geldwäsche fördert. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück knüpft die Zustimmung zu ESM-Hilfen auch daran, dass Zypern das Steuerdumping aufgibt. Der Fall Zypern birgt tatsächlich die große Chance zum Innehalten. Er kann den Blick öffnen für ein strukturelles Problem: Europas fehlende Steuergerechtigkeit.

Auf Zypern erleichtern das Stiftungsrecht und das Bankgeheimnis für Gesellschaftskonten die anonyme Geldwäsche.  Hierzu lassen sich in kürzester Zeit Scheinfirmen auf der Mittelmeerinsel gründen, wie ZDF-Reporter zeigen. Rechtshilfeersuchen der europäischen Kollegen laufen bei den zypriotischen Behörden laufen regelmäßig ins Leere. Zugleich bieten Zyperns intransparente Stiftungen (Trusts) und Unternehmen den Akteuren den Vorteil, dass sie innerhalb der EU voll anerkannt und geschäftsfähig sind.

Doch das grundsätzliche Problem lässt sich nicht auf Zyperns fragwürdige Rechtspraxis reduzieren. Europäisches Recht setzt selbst Anreize, dem Gemeinwesen die dringend benötigten Einnahmen zu entziehen. Zugunsten des Binnenmarkts wurden Quellensteuern innerhalb der EU abgeschafft. Das heißt: es lohnt sich, Gewinne, Zinsen und Lizenzeinnahmen über eine Holding-Gesellschaft in das EU-Land zu verschieben, das mit den geringsten Unternehmenssteuern lockt. Während eine Firma in Deutschland Gewinne mit durchschnittlich rund 30 Prozent versteuert – Körperschaftssteuer plus Gewerbesteuer, berechnet Zypern einen Körperschaftssteuer-Satz von 10 Prozent.

Selbst diese 10 Prozent sind nicht unbedingt zu zahlen, wenn die zypriotische Holdinggesellschaft Unternehmen oder Privatpersonen gehört, die im EU-Ausland sitzen. Denn die Ausschüttungen zypriotischer Holdings an Steuerausländer unterliegen keiner Besteuerung. Im Klartext: Zypern ist die ideale  Zwischenstation, um Gewinne steuerfrei aus der EU in Oasen wie die Kaimaninseln oder die Bermudas zu verlagern.

Und Zypern ist kein Einzelfall. Auch niederländische Doppelbesteuerungsabkommen erleichtern den Gewinnabfluss in Steueroasen, indem konsequent keine Quellensteuern auf Zins- oder Lizenzzahlungen erhoben werden. Konzerne wie Amazon, Apple und Starbucks drücken so den realen Unternehmenssteuersatz schon einmal deutlich unter 10 Prozent. „Das nennt man Kapitalismus“, sagt Google-Chef Eric Schmidt in einem Interview und zeigt sich stolz auf die Steuervermeidung seines Unternehmens.

Etwa eine Billion Euro gehen in der EU Jahr für Jahr durch Steuerhinterziehung und Steuerumgehung verloren, schätzt EU-Kommissar Algirdas Šemeta. Der Aufreger Zypern muss zu einer Grundsatzdebatte über Europas Steuergerechtigkeit führen.  Gefragt sind zu allererst EU-weite Mindeststeuersätze für Unternehmen, berechnet auf einer verbindlichen, gemeinsamen Bemessungsgrundlage (GKKB). Zudem ist der automatische Informationsaustausch der Finanzbehörden auszuweiten – auf Kapitaleinkünfte und juristische Personen wie Stiftungen. Schließlich müssen sich die EU-Staaten auf eine strenge Definition von Steueroasen außerhalb Europas einigen, und diese mit gemeinsamen Drittstaatenabkommen austrocknen. Zypriotische und niederländische Steuerfluchtwege unterwandern das ganze System.

Es bleibt unerklärlich, warum Berlin die Steuerfrage auf die lange Bank schiebt und nur halbherzig angeht. Wenn Angela Merkel vor der Wirtschaftselite im Schweizer Davos über Stellschrauben für Europas Wettbewerbsfähigkeit redet, fallen ihr Lohnkosten und Lohnzusatzkosten ein – die es offenbar im europäischen Korsett zu drücken gilt. Europas Steuervermeidungs-Karussell, das nachhaltigen Staatsfinanzen und Investitionen in die Zukunft erst das Fundament entzieht, darf sich dagegen weiterdrehen. Hier endet die Einmischung aus dem Kanzleramt.

Zu Ende gedacht bedeutet die deutschen Prioritäten auch: Arbeitnehmer sollen Europas Weg aus der Krise schultern, nicht allein durch Verzicht auf Lohn- und Sozialleistungen, sondern auch mit ihren Einkommens- und Verbrauchssteuern. Ihnen wird der Fiskus habhaft. Sie können sich nicht über Stiftungen, Zweckgesellschaften und abenteuerliche Holding-Konstrukte aus der Solidarität stehlen.

 

Rubrik: Wirtschaft & Währung

Bitte teilen!