Sven Giegold

Versicherungskrise: Unverantwortliche Tatenlosigkeit der Bundesregierung auf Kosten der Versicherten

Die Finanzaufsicht BaFin hat am gestrigen Mittwoch eine Erhebung zur Kapitalausstattung der deutschen Lebensversicherer veröffentlicht. Sie stellt darin fest, dass fast die Hälfte aller Unternehmen an den neuen europäischen Versicherungsregeln Solvabilität II scheitern würden, wenn es nicht eine großzügige Übergangsfrist gäbe. Denn erst nach 16 Jahren müssen alle Anforderungen eingehalten werden. Insgesamt fehlen der Branche 12 Mrd. Euro, allerdings auch nur bei sehr optimistischen Annahmen. Das Bundesfinanzministerium hat daraufhin trotzdem erklärt, es gäbe keinen akuten Handlungsbedarf.

 

Dazu erklärt Sven Giegold, wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:

 

Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung ist unverantwortlich. Die deutschen Lebensversicherer sind auf breiter Front unterkapitalisiert. Wenn die Niedrigzinsphase anhält, können die Unternehmen ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht erfüllen. Es droht eine Versicherungskrise mit Leistungskürzungen oder milliardenschweren Subventionen aus dem Bundeshaushalt, um die Zahlungsversprechen der Lebensversicherer erfüllen zu können. Bundesfinanzminister Schäuble muss endlich handeln, statt länger zuzuwarten. Angemessen wären längst eine Dividendensperre, die Begrenzung sehr hoher Gehälter bzw. Boni sowie Einsparungen bei den Überschussbeteiligungen.

 

Die BaFin rechnet die Lage der Branche zudem schön. Erst jüngst hatte der Europäische Systemrisikorat (ESRB) den Versicherungsaufsehern vorgerechnet, dass die Versicherungsregulierung von Mondzinsen ausgeht. Die BaFin nimmt in ihrem Branchenbericht einen risikofreien Langfrist-Zins („ultimate forward rate“) von 4,2% an. Das ist jedoch völlig unrealistisch und schon gar nicht vorsichtig im Sinne der Versicherten. Laut ESRB müsste der Zinssatz um 0,5 – 1% niedriger angesetzt werden. Dann stellte sich die Lage der Branche nochmals schlechter dar. Daher ist die Einschätzung der BaFin „die Branche sei gut gerüstet“ unverantwortlich. Sie ist auch deshalb unrealistisch, weil die schwarz-rote Bundesregierung sich konsequent einer Investitionsoffensive widersetzt, die alleine geeignet wäre, die langfristigen Zinssätze wieder steigen zu lassen. Wir Grünen werden uns dagegen weiterhin für eine deutliche Erhöhung der privaten und öffentlichen Investitionen im Rahmen eines Green New Deal einsetzen. Indirekte Subventionen der Versicherungsbranche durch fragwürdige Public-Private-Partnerships sind dagegen ineffiziente Subventionen zum Nachteil der Steuerzahler.

 

Die optimistische Einschätzung von BaFin und Bundesfinanzministerium wirft auch ein schlechtes Licht auf Interessenskonflikte der Versicherungsaufsicht in Deutschland. Obwohl die BaFin zur Vorsorge und Vorsicht verpflichtet ist, kommt sie dem nicht nach. Allerdings ist die deutsche BaFin keine unabhängige Behörde, sondern Weisungsempfänger des Bundesfinanzministeriums. Dass die Bundesregierung kein Interesse an schlechten Nachrichten vom Finanzmarkt hat, überrascht wenig.

 

 

Die Veröffentlichung der BaFin:

http://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Pressemitteilung/2015/pm_150729_vollerhebung_leben.html;jsessionid=2DB75B301C2DC6DFA4760046371B769C.1_cid290?nn=2819248

 

Die Einschätzung des Europäischen Systemrisikorats (ESRB):

https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2015/07/ESRB-life-insurances.pdf