Sven Giegold

Breiter Aufruf an den Bundesvorstand zu Sonder-BDK zu Europa und Fiskalpakt

Betreff: Europäische Finanzkrise

25. Mai 2012 

Liebe Claudia, Steffi und Astrid,
lieber Cem, Benedikt und Malte,

die europäische Finanzkrise spitzt sich erneut dramatisch zu. Die Lage in Griechenland, aber auch die gesamte Lage der Europäischen Union erlaubt keine einfachen Antworten. Die Politik der Bundesre-gierung allerdings führt in eine gefährliche Sackgasse. Denn reine Austerität kann die Krise nur ver-schärfen. Wir meinen, dass jetzt die Zeit so weit ist, dass es in der Verteidigung des Projekts der eu-ropäischen Integration auf die Grünen ankommt.

Wichtige Beiträge zu einer Antwort auf die Krise wie ein Schuldentilgungsfonds, Euro-Bonds, eine einheitliche Finanzmarktaufsicht, eine gerechtere Vermögensbesteuerung, die Einführung einer Fi-nanztransaktionssteuer oder die Bündelung relevanter Kompetenzen in der Wirtschafts-, Haushalts- und Steuerpolitik auf der Ebene der Europäischen Union werden von der Bundesregierung nach wie vor behindert oder gar verhindert. Die dringend nötige Stärkung der Gemeinschaftsinstitutionen und der europäischen Demokratie vor allem des Europäischen Parlaments wird als zweitrangig vernach-lässigt. In Politik und Öffentlichkeit machen sich zunehmend Lethargie und Angst breit; In zahlreichen europäischen Ländern wächst auf dem Boden von Europaskepsis Europaablehnung. Die notwendigen Bemühungen um mehr europäisches Zusammenwirken zur Überwindung der Krise verlieren an Rück-halt. Diese Fragen werden zu Recht im Zentrum der politischen Auseinandersetzung der nächsten Wochen und Monaten stehen. Es geht hier um unsere europäische Zukunft!

Die Krise in der Euro-Zone und die Politik der Regierung Merkel lässt vieles wieder in Vordergrund tre-ten, was wir auf dem Müllhaufen der Geschichte glaubten: Nationale Ressentiments, deutsche Sonder-wege, eine darwinistische Interpretation von wirtschaftlichen Unterschieden in Europa und Szenarien von „lieber ein Ende mit Schrecken“. Die Debatten in Deutschland über Europa, den Euro, andere EU-Staaten und insbesondere Griechenland finden wir erschrecken und beängstigend. Dieser Rhetorik, der Untätigkeit der Bundesregierung und der falschen und einseitigen Krisenpolitik von Kanzlerin Merkel wollen wir ein klares pro-europäisches Signal entgegensetzen. Wir Grüne wollen zeigen, was wir Europa in dieser Krise anzubieten haben. Wir brauchen dazu die öffentliche und streitige Debatte: Wir schlagen deshalb vor, zu dieser Frage eine Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz einzuberufen.

Dabei werden auch unangenehme Fragen zu klären sein. Keineswegs sind Grüne europaweit in allen Fragen des Kampfes gegen die Krise einfach einer Meinung. Eben deswegen wollen wir die Debatte mit Grünen aus anderen Ländern gemeinsam führen. Wir müssen uns nicht nur zum Fiskalpakt positi-onieren, sondern als Europapartei klar sagen, was wir den Menschen als Alternativen zum Kurs der Bundesregierung vorschlagen. Gerade jetzt ist die Zeit ein deutliches Zeichen für den Euro, die euro-päische Integration und Solidarität mit Griechenland im Euro zu setzen. Zu wenig ist in letzter Zeit deutlich geworden, dass uns darin, was jetzt dafür getan werden muss, sehr viel vom Kurs der Bun-desregierung unterscheidet.

Merkel hat ihren Fiskalpakt zum Symbol der Krisenpolitik erhoben. Dabei trägt er zur Bewältigung der Krise wenig bei. Trotzdem ist die Entscheidung zum Fiskalpakt ist eine Entscheidung von sehr lang-fristiger und weitreichender Wirkung. Sie schwächt als intergouvernementale Einigung der National-staaten die Europäische Gemeinschaftspolitik und das Europäische Parlament. Der Fiskalpakt betrifft den Kern parlamentarischer Kompetenz – das Haushaltsrecht – und damit die Handlungsmöglichkei-ten des Staates auch in Krisenzeiten. Dies trifft hierzulande vor allem Länder und Kommunen. Aber auch ökonomisch gibt es viel Kritik. Zu Recht wird deshalb mit der Bundesregierung darüber verhan-delt, wie die europapolitischen und wirtschaftspolitischen Weichenstellungen korrigiert werden können. Wir halten es für richtig, dass sich die grüne Bewertung des Verhandlungsergebnisses zum Fiskalpakt auf einen Parteitagsbeschluss stützt.

Wir wissen, dass der Fiskalpakt innerhalb der Grünen Partei umstritten ist. Zum Teil gab es auch schon Kritik am Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion bei verschiedenen Krisenmaßnahmen. Auf einem Parteitag können wir verbindlich klären, wie wir Grünen uns positionieren. Dort treffen unter Beteiligung der Partei-Basis alle zusammen – europäische, Bundes- und Landesebene. Der Länderrat konnte wegen des NRW-Wahlkampfs dazu nicht genutzt werden, die G-Länder-Koordination erlaubt unserer Basis keine Mitwirkung, ein Parteirats- oder Länderratsbeschluss würde geringere Verbind-lichkeit für unsere Partei entfalten. Eine konstruktive inhaltliche Debatte, die stellvertretend für die Gesellschaft von uns öffentlich geführt wird, wird uns und der Gesellschaft dagegen gut tun – unab-hängig von der Entscheidung, die wir auf der BDK treffen.

Wir wissen, dass ein Sonderparteitag organisatorisch eine große Herausforderung ist, gerade auch angesichts des knappen zeitlichen Vorlaufs, und auch viel Arbeit macht. Trotzdem schlagen wir Euch vor, dass Ihr als Bundesvorstand diesen Vorschlag aufgreift. Da in der heutigen Telefonkonferenz sicher noch keine eindeutigen Informationen zu den anstehenden Gipfel-Kompromissen und den Rati-fizierungszeitplänen zu erwarten sind, möchten wir anregen, dass Anfang der kommenden Woche zu einer Telefonkonferenz geladen wird, bei der auch andere europapolitischen Akteure in der Partei, wie etwa von den BAGen und der Grünen Jugend teilnehmen können.

Viele grüne Grüße von

Gerhard Schick, MdB
Reinhard Bütikofer, MdEP
Sven-Christian Kindler, MdB
Jan Philipp Albrecht, MdEP
Rebecca Harms, MdEP
Sina Doughan, Sprecherin Grüne Jugend
Franziska Brantner, MdEP
Sven Giegold, MdEP
Lisa Paus, MdB
Wolfgang Strengmann-Kuhn, MdB
Anna Cavazzini, Sprecherin BAG Europa
Max Löffler, Parteirat
Enno Hagenah, MdL Niedersachsen
Gesine Agena, GA KV Friedrichshain-Kreuzberg
Rasmus Andresen MdL Schleswig-Holstein
Katharina Dröge, Kreisvorsitzende Köln
Stefan Wenzel, MdL, Fraktionsvorsitzender in Niedersachsen
Beate Walter-Rosenheimer, MdB
Karl Bär, Sprecher Grüne Jugend
Bettina Jarasch, Landesvorsitzende Berlin
Daniel Wesener, Landesvorsitzender Berlin
Katharina Schulze, Vorsitzende Grüne München
Katja Dörner, MdB
Agnieszka Brugger, MdB
Christian Brugger, KV Tübingen Thomas Schremmer, RV Hannover
Ulrich Schneider, MdB
Beate Müller-Gemmeke, MdB
Peter Alberts, KV Münster
Christian Kühn, Landesvorsitzender Baden-Württemberg
Dieter Janecek, Landesvorsitzender Bayern
Stefan Ziller, KV Marzahn-Hellersdorf
Christian Meyer, MdL Niedersachsen
Jan Frederik Wienken, KV Vechta
Ska Keller, MdEP
Markus Ganserer, KV Nürnberg
Heide Rühle, MdEP
Dieter Lauinger, Landesvorsitzender Thüringen
Gerald Häfner, MdEP
Korbinian Deuchler, Schatzmeister RV Hannover
Daniel Mack, MdL Hessen
Valentin Münscher, GA KV Friedrichshain-Kreuzberg
Miriam Staudte, MdL Niedersachsen
Margarete Bause, Fraktionsvorsitzende Landtag Bayern
Elisabeth Schroedter, MdEP
Martin Häusling, MdEP
Toni Hofreiter, MdB

 

Rubrik: Politik

Bitte teilen!