Sehr geehrter Herr Bundesminister,
lieber Thomas de Maizière,
mit Befremden haben wir die jüngsten Äußerungen Ihrerseits das Kirchenasyl betreffend aufgenommen. Eine wie von Ihnen beschriebene „prinzipielle und fundamentale“ Ablehnung der Möglichkeit für Asylsuchende, in einem Kirchenraum Zuflucht und Schutz zu finden und so eine erneute Prüfung ihres Falles zu ermöglichen, ist nicht nur ein Affront gegenüber den vielen für Flüchtlinge und Asylsuchende engagierten Menschen in Kirchengemeinden und kirchlichen Einrichtungen. Sie widerspricht auch unserem Verständnis von Solidarität und Barmherzigkeit, auf das wir uns als Christenmenschen berufen.
In der Vergangenheit wurde von kirchlicher Seite höchst sorgsam mit der Möglichkeit des Asyls in kirchlichen Räumlichkeiten umgegangen. Wir sprechen uns gegen eine Darstellung aus, die den Eindruck erweckt, das Kirchenasyl sei eine Form des Rechtsbruches, die staatliches Handeln konterkarieren würde. Sie ist vielmehr eine christliche Form zivilen Ungehorsams, der Respekt verdient. Denn weder das Kirchenasyl noch ziviler Ungehorsam im Allgemeinen stellt die Rechtsordnung als solche in Frage, sondern appelliert an die staatlichen Institutionen auf der Grundlage des geteilten Rechts noch einmal nachzudenken. Weder die Kirchen noch die beteiligten Gemeinden und Gläubigen beanspruchen über dem Recht zu stehen. Daher hinkt auch der Vergleich mit der Scharia, die tatsächlich ein anderes Rechtssystem darstellt. Die Legitimität des Kirchenasyls wie des zivilen Ungehorsams folgt genau aus der grundsätzlichen Anerkennung der demokratischen Grundordnung unserer Verfassung. Ihre Legitimität ist daher auch keine Frage der Zahl der Fälle des Kirchenasyls.
Das Kirchenasyl ist eine Ultima Ratio, die in den allermeisten Fällen dazu führt, dass die eigentlich von vornherein notwendige Einzelfallprüfung durchgeführt und das Asylrecht als Recht des Individuums erst seine Ausübung erfährt. Die gestiegene Zahl von Fällen von Kirchenasyl ist kein Zeichen einer gewachsenen Anmaßung durch Christinnen und Christen, sondern ein Ergebnis der höheren
Zahl von Migrantinnen und Migranten. Offensichtlich kommt es dabei auch zu einer gestiegenen Zahl von Betroffenen behördlicher Fehleinschätzungen und Willkür. Statt die engagierten Kirchenmitglieder zu kritisieren, verdienen Sie öffentliche Anerkennung.
Wir sprechen uns deshalb in aller Deutlichkeit gegen den Vorschlag aus, die Flüchtlinge im Kirchenasyl künftig als „untergetaucht“ zu behandeln und so die Abschiebefristen von sechs auf achtzehn Monate zu verlängern.
Mit freundlichem Gruß
Katrin Göring-Eckardt MdB & Sven Giegold MdEP
DLF Interview mit Thomas de Maizière :
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