Sven Giegold

Krumme Geschäfte bei Cum-Ex und Co.: Marktmissbrauch muss konsequent verfolgt werden

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,

wenn bei Cum-Ex und Co. Milliarden ergaunert werden, geht das nicht ohne krumme Geschäfte an den Finanzmärkten. Um sich die Erstattung nicht gezahlter Dividendensteuern zu erschleichen, handeln Steuerbetrüger*innen im großen Stil mit Aktien und Derivaten. All diese Transaktionen dienen ausschließlich dem Betrug und haben keinen reellen ökonomischen Hintergrund. Eigentlich klar, dass das ein Missbrauch der Finanzmärkte ist. Trotzdem kam die europäische Wertpapieraufsicht ESMA in ihrem letztes Jahr vorgelegten Bericht zu Cum-Ex und Co. zu dem schwer nachvollziehbaren Ergebnis, dass dabei typischerweise nicht gegen die europäischen Marktmissbrauchsregeln verstoßen wird. Eine schlüssige Begründung blieb die ESMA schuldig. Außerdem hatte sie die besonders kritischen Geschäfte mit Derivaten praktisch ignoriert. Darauf habe ich die ESMA in einer Anhörung des Unterausschusses für Steuern im Europaparlament am 24. Februar 2021 hingewiesen, die wir Grünen angeregt hatten. Außerdem habe ich die ESMA in einem Brief aufgefordert, beim Thema Marktmissbrauch noch einmal genauer hinzuschauen.

Nicht alles, was objektiv die Integrität der Finanzmärkte beschädigt, ist zwangsläufig auch ein Verstoß gegen die europäische Marktmissbrauchsverordnung (MAR). Darauf weist die ESMA zurecht hin. Die Tatbestände der MAR sind konkret gefasst, und so ist es grundsätzlich möglich, dass manche zweifelhaften Praktiken durchs Raster fallen. Bei Cum-Ex und Co. gibt es aber klare Anzeichen, dass in vielen Fällen tatsächlich gegen die Regeln der MAR verstoßen wird. Geschäfte werden zwischen den Marktteilnehmer*innen abgesprochen, Wertpapiere werden im Kreis gehandelt, Handelsumsätze massiv aufgebläht und ihre Preise verfälscht. Insbesondere dürfte es sich bei den Transaktionen oftmals um sogenannte “Wash Trades”, bei denen die Handelnden wirtschaftlich betrachtet Geschäfte mit sich selbst abschließen, oder abgesprochene Geschäfte handeln, die beide nach MAR verboten sind. Im Rahmen deutscher Strafverfahren gegen Cum-Ex-Betrüger wurde außerdem festgestellt, dass die Diebesbeute oftmals über die begleitenden Geschäfte in Aktien-Futures und anderen Derivaten aufgeteilt wurde, die gezielt zu marktunüblichen Preisen abgeschlossen wurden (nachzulesen z.B. im Urteil des Landgerichts Bonn vom 18.03.2020). Die Einschätzung, dass bei Cum-Ex und ähnlichen Modellen vermutlich regelmäßig Marktmissbrauch vorliegt, wurde mir bei der Anhörung vor dem Steuerausschuss vom Mannheimer Cum-Ex-Experten Prof. Dr. Christoph Spengel bestätigt. Zu diesem Ergebnis kommt auch ein vor Kurzem veröffentlichter Bericht der Kanzlei Heist Legal, die auf die komplexen Finanzkonstrukte hinter Cum-Ex und Co. spezialisiert ist.

In meinem Brief fordere ich die ESMA deshalb auf, ihre Einschätzungen zum Marktmissbrauch zu überprüfen und ihre Analysen vollständig offenzulegen. Außerdem schlage ich vor, vor allem die Derivategeschäfte noch einmal gesondert zu untersuchen. Für Ihren Bericht hatte die ESMA Informationen bei allen Marktaufsichtsbehörden Europas eingeholt. Dabei kam heraus, dass bisher keine der Behörden Marktmissbrauch im Zusammenhang mit Cum-Ex und Co. mit Nachdruck verfolgt hat. Die abwiegelnde Einschätzung der ESMA sendet das fatale Signal, dass es hier nichts zu tun gibt.

Klar ist: In erster Linie handelt es sich bei Cum-Ex und Co. um Steuerverbrechen, denen man nicht allein mit den Marktmissbrauchsregeln beikommen kann. Trotzdem ist es wichtig, dass die europäischen Behörden – insbesondere die deutsche BaFin – den Marktmissbrauch im Zusammenhang mit den Steuerbetrugsmodellen konsequent untersuchen und zur Anzeige bringen. Dazu sollten die Aufseher*innen auch die starken Anhaltspunkte aus den bereits gefällten Gerichtsurteilen aufgreifen. Für die Zukunft ist es wichtig, dass wir die Aufsichtsbefugnisse in der MAR stärken. Bisher können die meisten europäischen Aufsichtsbehörden nur vollumfänglich ermitteln, wenn sie bereits begründete Verdachtsmomente für Marktmissbrauch haben. Diese ergeben sich aber gerade bei komplexen Vergehen wie Cum-Ex oftmals erst, wenn man das große Ganze betrachtet. Aufsichtsbehörden sollten deshalb bereits ermitteln dürfen, wenn sie eine generelle Beeinträchtigung der Marktintegrität vermuten. Ich werde mich bei der anstehenden Überarbeitung der MAR dafür einsetzen, das Mandat der Aufsichtsbehörden entsprechend auszuweiten.

Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold

 

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Hintergrund: Cum-Ex – noch aktuell?
Schätzungen zufolge wurden wurden die Steuerbehörden in Europa zwischen 2002 und 2012 durch Cum-Ex und Co. um mindestens 55 Milliarden Euro betrogen. Dabei kennen wir möglicherweise nur einen Bruchteil des systematischen Steuerraubs in Europa. Außerdem betonten die Sachverständigen bei der Anhörung im Steuerausschuss, dass Varianten der illegalen Geschäfte weiterhin möglich sind und weitergehen. Mehr als zwei Jahre nachdem das Europaparlament in einer Resolution umfassende Aufklärung verlangt hat, ist immer noch erschreckend wenig passiert.

Mein Brief an die ESMA zu Marktmissbrauch bei Cum-Ex und Co.:
https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2021/03/20210302_Letter-to-Chair-Steven-MAIJOOR-and-Executive-Director-Verena-ROSS-from-MEP-Sven-GIEGOLD.pdf

Meine Frage an Prof. Spengel und die ESMA bei der Anhörung im Steuerausschuss:
https://multimedia.europarl.europa.eu/de/event_20210224-1345-COMMITTEE-FISC_vd?start=20210224134241&end=20210224135443

Eingangsstatement von Prof. Spengel bei der Anhörung im Steuerausschuss:
https://sven-giegold.de/en/statement-spengel-cum-ex-scandal/

Vollständige Aufzeichnung der Anhörung im Steuerausschuss:
https://multimedia.europarl.europa.eu/en/subcommittee-on-tax-matters_20210224-1345-COMMITTEE-FISC_vd (Video)

Bericht von Heist Legal zu Cum-Ex, Cum-Cum und ähnliche Modellen:
https://heist-legal.de/wp-content/uploads/2021/02/Stellungnahme-ESMA-Report-Langversion-1.pdf

Meine Einschätzung zum Bericht der ESMA zu Cum-Ex und Co. vom September 2020:
https://sven-giegold.de/esma-bericht-cum-ex/

Meine Einschätzung zum Bericht der EBA zu Cum-Ex und Co. vom Mai 2020:
https://sven-giegold.de/cum-ex-eba-antworten-schuldig/

 

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Definition von “Wash Trades” aus den Detailregelungen zur MAR der EU-Kommission (Delegierte Verordnung 2016/522):

Vorkehrungen für den Kauf oder Verkauf eines Finanzinstruments, eines verbundenen Waren-Spot-Kontrakts oder eines auf Emissionszertifikaten beruhenden Auktionsobjekts, bei dem es nicht zu einer Änderung des wirtschaftlichen Eigentums oder des Marktrisikos kommt oder bei dem eine Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums oder des Marktrisikos zwischen den gemeinschaftlich oder in Absprache handelnden Parteien stattfindet, was gewöhnlich als „Wash Trades“ bezeichnet wird. Diese Praxis lässt sich auch anhand der folgenden zusätzlichen Indikatoren für Marktmanipulation veranschaulichen:

i) ungewöhnliche Wiederholung einer Transaktion zwischen einer kleinen Anzahl von Parteien über einen gewissen Zeitraum;

ii) Transaktionen oder Handelsaufträge, durch die sich die Bewertung einer Position verändert bzw. wahrscheinlich verändert, obwohl der Umfang der Position weder kleiner noch größer wird;
iii) eine ungewöhnliche Konzentration von Transaktionen und/oder Handelsaufträgen, entweder allgemein oder aufseiten nur einer Person, die dazu ein oder mehrere Konten benutzt, bzw. aufseiten einer begrenzten Anzahl von Personen;

 

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P.S. Petition: Digitalsteuer Jetzt! – Geschäfte schließen, Amazon & Co machen Riesengewinne, zahlen aber kaum Steuern: Die Digitalsteuer muss jetzt kommen! Gemeinsam haben wir die Chance, die Blockade bei der Digitalsteuer endlich zu überwinden: Bitte unterschreibt unsere Petition und teilt sie mit Euren Kontakten!  https://www.change.org/digitalsteuer-jetzt

Rubrik: Europaparlament, Wirtschaft & Währung

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