Sven Giegold

‚Das treibt die Bürger auf die Bäume‘ – Interview mit Sven in der Süddeutschen Zeitung

‚Das treibt die Bürger auf die Bäume‘

Der langjährige Attac-Vertreter und jetzige Grünen-Politiker Sven Giegold über die staatlichen Hilfen für Banken, sozial-ökologische Reformen und die nachlassende Wirkung von Occupy

Seit drei Jahren sitzt Sven Giegold, 42, für die Grünen im Europaparlament. Bekannt geworden ist er als Mitbegründer von Attac Deutschland; deren Ziele erklärte er schon mal in Talkshows. Der Master of Social Science in Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsentwicklung hat sich früh für ökologische Ziele eingesetzt.

 

SZ: Seit 14 Jahren gibt es die Attac-Bewegung. Was haben die Kritiker des Kapitalismus in dieser Zeit erreicht?


Giegold: Attac hat dazu beigetragen, den Glauben an die Selbstregulierung der Märkte zu erschüttern. Die Ursprungsthemen dieser Bewegung stehen heute hoch auf der Agenda. Die Finanztransaktionsteuer zum Beispiel soll in vielen Ländern eingeführt werden. Es ging im Kern nicht darum, den Kapitalismus selbst infrage zu stellen. Die einen wollen ihn sozial-ökologisch reformieren, die anderen suchen nach einem System nach dem Kapitalismus.


SZ: Das wollten Sozialismus und der Kommunismus auch.


Giegold: Wenn man nicht an das Ende der Geschichte glaubt, muss man davon ausgehen, dass der Kapitalismus nicht das letzte Wirtschaftssystem auf dieser Erde sein wird. Viele sehnen sich beispielsweise nach einer Gesellschaft, die nicht so stark auf Konkurrenz basiert, die Menschlichkeit fördert statt Gier. Die Versuche, etwa über Genossenschaften oder gemeinwirtschaftliche Unternehmen eine solidarische Ökonomie zu schaffen, verdienen Unterstützung.


SZ: Was haben Sie gegen Wettbewerb?


Giegold: Nichts. Aber es gibt eben nicht nur den ruinösen Wettbewerb, bei dem noch niedrigste Standards durch höhere Leistungsanforderungen unterboten werden, sondern auch den Wettbewerb eines Bauernmarktes, mit Leben-und-leben-Lassen und einer Vielfalt der Angebote. Die Debatte über Marktwirtschaft ist eine andere als die über Kapitalismus. Markt ist fast etwas Natürliches, wenn sich Menschen so austauschen. Die zentrale Frage ist nach wie vor, dem global entgrenzten Markt eine sich internationalisierende Demokratie entgegenzusetzen. Die erste Antwort: eine erneuerte, vertiefte Europäische Union.


SZ: Attac ist gegen das Dogma von der nötigen Deregulierung der Märkte angetreten – und für eine stärkere Rolle des Staates. In der Finanzkrise wurde dieser dann dazu gezwungen, mit Milliardenzahlungen gleich das ganze System zu retten.


Giegold: Natürlich könnte man sagen, das ist eine Form von Re-Regulierung. Aber was für eine! Unser Grundproblem ist: Vieles in Europa ist im Detail überreguliert, und damit gehen wir allen auf die Nerven – aber viele große Dinge sind andererseits unterreguliert. Etwa: Wer haftet, wenn spekuliert wird. Es kommt darauf an, gerechte, effiziente Regeln durchzusetzen. Und da macht sich wieder das Unbehagen am Kapitalismus bemerkbar, denn in diesem System ist Demokratie stets etwas Prekäres. Es gibt mächtige Lobbys mit viel Geld, die sich Einfluss kaufen können, und dagegen stehen Kräfte der Demokratie, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die das ausgleichen wollen. Wir sehen derzeit, wie schwer es ist, eine vernünftige Bankenstruktur zu schaffen, damit die kleinen Leute nicht für die Risiken zahlen müssen, mit denen andere sehr gut verdient haben.


SZ: Im Volk wächst das Gefühl, hier laufe etwas aus dem Ruder. Viele fragen sich, warum über Rettungsschirme die Fehler von Banken bezahlt werden.


Giegold: Wenn man die schwachen Staaten und die schwachen Banken einfach in die Pleite schicken würde, dann hätten wir danach einen Kollaps unserer Währung. Das ist die schlechteste Basis für gerechte Reformen. Die Zeit, die wir mit solchen Rettungen gewinnen, sollte jedoch wirklich dazu genutzt werden, zu konsequenten Regelungen zu kommen. Nach wie vor schaffen es die Großbanken, echte Haftungsregeln und Strukturreformen zu verhindern. Das sehe ich hier in Brüssel jeden Tag. Das treibt die Bürger auf die Bäume.


SZ: Mit dem Ergebnis, dass bei einem Referendum über den Euro eine Mehrheit dafür nicht sicher ist.


Giegold: Das wäre ein fataler Kollateralschaden. National werden wir den Kapitalismus sicher nicht sozial-ökologisch regulieren können. Wenn die Konsequenz der Rückzug aus Europa sein sollte, dann bekommen wir eine noch härtere Version der Krise. Dabei ist die Krise in Deutschland noch gar nicht angekommen. Den meisten von uns geht es gut. Die Zinsen sind sehr niedrig, viele haben Jobs. Das ist auch der Grund, weshalb Occupy nicht in dem Maße gezündet hat.


SZ: Occupy, ein Auslaufmodell?


Giegold: Was mit dem Begriff Occupy wird, weiß ich nicht. Bewegungen vorauszusagen ist so schwer wie Finanzmärkte. Eines kann man sagen: Eine Bewegung, die keine klaren Forderungen hat, sondern nur ein Unwohlsein ausdrückt, hat es schwer. Bewegungen brauchen einige klare Botschaften. Davon einmal abgesehen: Der Protest gegen offensichtliche Ungerechtigkeiten des Kapitalismus wird weitergehen. Das sieht man in einigen Ländern.


SZ: Lernen die Repräsentanten des Kapitalismus genug aus der Krise?


Giegold: Daran glaube ich nicht. Es gibt Unternehmen, die sich sozial engagieren, da passiert viel Erfreuliches. Gleichzeitig werden Firmen immer bereit sein, Geschäfte zu machen, mit denen man auf Kosten anderer verdient. Das entspricht ihrem Code, wie das der Soziologe Niklas Luhmann genannt hat. Die Lösung ist eine demokratisch beschlossene Rahmenordnung, damit sich alle Unternehmen im Markt gemeinwohlfreundlich verhalten können.


SZ: Die Deutsche Bank sagt, man wisse um die Fehler der Vergangenheit und wolle wieder Vertrauen schaffen.


Giegold: Das amüsiert mich eher. Vor einem Jahr hat der damalige Chef Josef Ackermann die Finanztransaktionsteuer begrüßt. Als dann die Gefahr bestand, dass sie wirklich eingeführt wird, hat er seine Lobby-Truppen losgeschickt. Auch die lange Geschichte der Aufdeckung von Skandalen der Bank stimmt mich wenig hoffnungsvoll. Und vor einem Jahr wurde gesagt, man wolle die Lebensmittelspekulation überprüfen – mit dem Ergebnis, dass man offensichtlich weitermachen will. Nein, bei der Deutschen Bank gilt: I“m not convinced.


SZ: Die geplante Finanzsteuer, die längst nicht alle EU-Länder einführen, ist der große Erfolg der Gegenbewegung?


Giegold: Die Steuer ist zum Symbol geworden, wer wirklich bestimmt – die Anbieter auf den Finanzmärkten oder die Demokratie. Entscheidend ist am Ende, den Finanzkapitalismus wieder einzubetten in Gemeinwohlregeln. Soziale Marktwirtschaft setzt Banken voraus, die nie so groß sein können, dass sie nicht fallen dürfen. Bisher ist es nicht bei einem einzigen Geldinstitut zu einer Haftung der Anleihehalter gekommen. Da geht es nicht um 20 Milliarden Euro im Jahr wie bei der Finanztransaktionsteuer in verstärkter Zusammenarbeit, da reden wir über 4,5 Billionen Euro, die gesamte Haftungssumme in der Finanzkrise.


SZ: Die Bürger regt neben dem Milliardenspiel der Banken auch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich auf.


Giegold: Das Tauschverhältnis wird verschoben, auch zwischen einem Europaabgeordneten und einer Friseurin, deren Lohn nicht steigt. Bedingt durch technologischen Wandel und intensiveren Wettbewerb wird die Arbeitsleistung eines gering Qualifizierten relativ immer schlechter bezahlt. Die steigende Ungleichheit zerstört die Gesellschaft. Da ist in Deutschland vieles auf die schiefe Bahn gekommen. Der freiheitliche Markt beruht auf Voraussetzungen, die er selber nicht schaffen kann.


SZ: Und daraus folgt?


Giegold: Wir brauchen Mindestlöhne und Regeln für die Gehälter von Managern. Sie sollten maximal 20 mal mehr verdienen können als ein Mitarbeiter mit dem niedrigsten Lohn im Unternehmen. Da verlässt keiner das Land – sondern der betriebliche Zusammenhalt wird gefördert.


Interview: Hans-Jürgen Jakobs


(SZ vom 29.06.2012)
Rubrik: Unkategorisiert, Wirtschaft & Währung

Bitte teilen!