Mein Interview im Deutschlandfunk vom 19.04., morgens:
Europas Banken: Trennbankensystem wird zentrale Aufgabe der neuen Legislaturperiode
Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide
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Der Beschluss über die Regeln zur Bankenabwicklung sei ein wichtiger Schritt, erklärte Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, im DLF. Nun müsse jedoch endlich ein Trennbankensystem eingeführt werden – ansonsten müssten die Steuerzahler wieder einspringen.
In dieser Woche hat das Europaparlament beschlossen, dass die Steuerzahler nicht länger für die Rettung maroder Banken aufkommen müssen. Das sei ein wichtiger Schritt, erklärte Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, im Deutschlandfunk. Allerdings gebe es noch Handlungsbedarf bei der Regulierung der gesamten Finanzbranche. „Je mehr wir die Banken regulieren, desto wichtiger ist eben, dass alle anderen Akteure ebenso klar reguliert sind“, sagte Giegold. Insbesondere im Bereich der Versicherungen sei bislang zu wenig passiert.
Die wichtigste Aufgabe der neuen Legislaturperiode werde das Trennbankensystem. „Sie können noch so schöne Gesetze machen, letztlich ist es immer ein Kamikaze-Akt, eine Großbank wie die Deutsche Bank abzuwickeln.“ Man müsse Banken dann in kleinere Haftungsabteilungen unterteilen, damit sie abgewickelt werden könnten. Ansonsten würden kleinere Banken weiterhin benachteiligt, und am Schluss müsse der Steuerzahler wieder einspringen.
Jürgen Zurheide: „Das Europäische Parlament beschließt historische Bankenunion“, so waren in dieser Woche etliche Meldungen überschrieben, und viele Politiker haben versprochen: Künftig sollen die Eigentümer und nicht mehr die Steuerzahler haften, wenn bei den Banken irgendetwas schiefgeht. Die Botschaft hören wir gerne, allein fehlt uns der Glaube. Das ist die Frage: Was wird davon wirklich umgesetzt und treffen diese vollmundigen Versprechen zu? Darüber wollen wir reden mit Sven Giegold, der selbst im Europäischen Parlament mitgestimmt hat, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Giegold!
Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Giegold, jetzt könnte ich die Frage stellen, die man dann häufig stellt: Ist das Glas halb voll oder halb leer? Wie bewerten Sie das, was in dieser Woche da im Parlament beschlossen worden ist?
Giegold: Also das, was wir im Rahmen der Finanzmarktreform zur Bankenabwicklung beschlossen haben, das ist sicherlich mehr als halb voll.
Zurheide: Welche Fortschritte sehen Sie da?
Giegold: Der entscheidende Punkt ist erst mal, dass die Verflechtung zwischen Nationalstaaten und ihren Banken, dass die so stark gebrochen wurde. Das hat es noch nie gegeben, dass Nationalstaaten darauf verzichten, im Zweifelsfall ihre Banken mit Steuerzahlergeld retten zu können, sondern dass in Zukunft sie erst mal europäisch beaufsichtigt werden – alle 130 größten Banken in der Eurozone werden in Zukunft von der EZB beaufsichtigt –, und dann, dass, wenn es schiefgeht, dass dann eine europäische Behörde entscheidet, und in aller Regel eben Staaten kein Geld zuschießen dürfen, sondern dass die Banken abgewickelt werden wie andere Unternehmen auch. Und damit wird das Haftungsprinzip wieder eingeführt, was irrsinnigerweise völlig aufgehoben war die letzten Jahre im Bereich der Banken, und das ist ein großer Fortschritt.
Regulierung aller Akteure notwendig
Zurheide: Jetzt halte ich mal dagegen: Insgesamt sollen in den künftigen acht Jahren 55 Milliarden in einem Fonds von den Banken selbst gesammelt werden. Jetzt weiß jeder: Angesichts der Bilanzsummen, die Banken vor sich herschieben, sind die 55 Milliarden, ich will jetzt nicht das Wort von den berühmten Peanuts bemühen, aber das reicht möglicherweise nicht aus – richtig oder falsch?
Giegold: Ja, das stimmt. Der Wert 55 Milliarden wirkt niedrig. Man muss aber zwei Sachen hinzu sagen: Erst mal müssen, bevor man diesen europäischen Fonds überhaupt benutzen darf, acht Prozent bei einer Bank an der Größe der gesamten Bilanz an Gläubigerbeteiligung passieren. Das heißt, zunächst mal zahlen acht Prozent der Bilanzsumme die Eigentümer beziehungsweise die risikotragenden Anleger der Bank. Und das war mehr, als man bei den allermeisten Banken überhaupt benötigt hat. Deshalb ist auch der Fonds jetzt kleiner. Und was viele in der öffentlichen Berichterstattung nicht mehr mit berichtet haben, war: Bei den 55 Milliarden, wenn die nicht ausreichen, dann können die Banken zum Nachschuss verpflichtet werden. Bei den 55 Milliarden geht es nur um die Summe, die direkt schon zur Verfügung steht, und insofern ist das keine Obergrenze. Die Banken müssen also im Zweifelsfall noch mehr bezahlen, bevor der Steuerzahler drankommt.
Zurheide: Das heißt, auf der Seite, sagen Sie, ist das Glas mehr als halb voll. Wie sieht es denn bei der Regulierung insgesamt aus? Da gibt es ja viele kritische Hinweise darauf, dass die Banken, die europäischen Banken gut in den Blick genommen werden, aber dass das Reich der Schattenbanken noch weitgehend so funktioniert, wie es vor der Krise auch war. Ist diese These richtig oder falsch?
Giegold: Ja, das ist richtig. Allerdings will ich eins noch sagen, weil warum sage ich nicht, das Glas ist ganz voll? Das bin ich Ihnen ja bisher schuldig geblieben. Und da ist der zentrale Grund einfach, dass es ein großes Schlupfloch gibt, und dieses Schlupfloch heißt: Immer dann, wenn ein Stresstest durchgeführt wird, dann dürfen präventiv doch wieder Staatsgelder an die Banken geflossen werden. Das haben die Mitgliedsländer dem Europäischen Parlament abgepresst. Wir haben zwar einige zusätzliche Bedingungen einführen können, aber hinter den verschlossenen Türen in Brüssel wird derzeit schon wieder versucht, unter anderem auch von der EZB leider, diese Schlupflöcher weiter aufzustoßen. Und das treibt mich eigentlich mit Sorge um, also dass praktisch über Ausnahmeregelungen versucht wird, im Zweifelsfall doch nicht abzuwickeln. Und das ist natürlich gegen die Interessen der Steuerzahler.
Dann die von Ihnen angesprochenen Schattenbanken: Ja, das stimmt. Also je mehr wir die Banken regulieren, desto wichtiger ist eben, dass alle anderen Akteure ebenso klar reguliert sind. Das größte Loch zweifelsfrei ist, dass wir im Bereich der Versicherungen bisher zu wenig gemacht haben und dort auch zu viele Sonderbestimmungen zugelassen haben. Und wir haben spezialisierte Fonds, die nach internationalen Expertengremien in Formen aufgebaut sind, dass sie wie eine Bank operieren, also Fonds, die garantieren ihren Anlegern, dass sie den Rückkaufswert, also ihren Nominalwert auf jeden Fall zurückzahlen, und das führt eben dazu: Wenn die Anlagen tätigen, die im Wert verlieren, dann machen sie Panikverkäufe und beschleunigen damit Kursabfälle. Und das wollten wir eigentlich europaweit beschränken und verbieten. Und die Abstimmung darüber hat bis heute nicht stattgefunden, weil Liberale und Konservative schon im Europaparlament die Abstimmung verhindert haben. Das war recht grotesk, und damit muss sich jetzt das neue Parlament beschäftigen.
Trennbankensystem wird wichtigste Aufgabe
Zurheide: Was bleibt denn aus Ihrer Sicht in der neuen Legislaturperiode als wichtigste Aufgabe übrig?
Giegold: Also ich finde, das Allerwichtigste ist das Trennbankensystem, weil Sie können noch so schöne Gesetze machen, letztlich ist es immer ein Kamikaze-Akt, eine Großbank der Größe wie der Deutschen Bank abzuwickeln, und die muss meiner Meinung nach in kleinere Haftungseinheiten zerteilt werden, damit das Haftungsprinzip, was wir jetzt beschlossen haben, auch im Notfall wirklich greifen kann. Und wenn wir das nicht tun, dann werden wir weiter die kleinen Banken gegenüber den großen benachteiligen und die Steuerzahler am Schluss doch wieder immer in Gefahr sein, dass sie doch bezahlen müssen.
Zurheide: Sie spielen damit an auf diesen berühmten Satz „too big to fail“, also wenn man sich vorstellt, dass die Deutsche Bank eine Bilanzsumme hat, die fast in der Größenordnung des gesamten Bruttoinlandsprodukts, also der wirtschaftlichen Leistung Deutschlands liegt, dann weiß jeder: Das kann man kaum auffangen – oder?
Giegold: Also es ist auf jeden Fall unheimlich schwierig. Der Punkt ist, Sie müssen sich vorstellen, Sie haben ein Wochenende Zeit, weil wenn es sich um eine größere Krise handelt, muss man ja vermuten: Wenn der Branchenprimus in Schwierigkeiten ist, dann haben andere auch Schwierigkeiten. Und das zu kontrollieren, das in so kurzer Zeit, das stellt die Demokratie natürlich vor eine riesige Herausforderung. Und wesentlich angemessener wäre, dass zum Beispiel das Investmentbankgeschäft der Deutschen Bank abgetrennt wird in eine eigene Haftungseinheit, sodass man eben kleinere Stückchen besser abwickeln kann, ohne gleich größere Elemente zu gefährden. Leider ist genau das von der deutschen Bundesregierung in Brüssel massiv bekämpft worden. Das ist auch der schwerste Vorwurf, den ich Herrn Schäuble persönlich zu machen habe, dass er über die Jahre diese Sache hintertrieben hat, mit den Franzosen übrigens unter sozialistischer Regierung. Ich finde das schon bemerkenswert.
Zurheide: Was steht damit in der neuen Legislaturperiode auf diesem Gebiet an und wen brauchen Sie dann, wenn Sie gerade ansprechen, dass sowohl Konservative wie Sozialisten da nicht mitmachen? Mit wem würden Sie es auch erst dann durchsetzen können und wollen?
Giegold: Also so pauschal würde ich es erst mal nicht sagen. Die deutsche SPD hat ja Herrn Steinbrück während der Kampagne der Bundestagswahl dieses Trennbankensystem versprochen. Es steht auch im Koalitionsvertrag. Nur: Seit die Große Koalition real operiert, kann ich in Brüssel keine Veränderung, sage ich mal, feststellen. Daher ist es notwendig, denen mit ausreichendem Gewicht im Nacken zu sitzen. Das, glaube ich, ist das Zentrale. Im Übrigen vermute ich, dass, um eine wirklich tief greifende Reform durchzuführen, man noch mal neue Energie braucht, denn was ich in Brüssel erlebt habe, ist schon, dass der Einfluss der jeweiligen Bankenverbände enorm groß ist. Und meine Konsequenz dieser fünf Jahre Regulierungsarbeit ist: Wenn wir den Lobbyeinfluss nicht gesetzlich beschränken und alles transparent machen, was in dem Bereich passiert, dann wird es das Gemeinwohl immer unglaublich schwer haben.
Zurheide: Das war Sven Giegold, der grüne Europaabgeordnete, zum Thema Bankenunion und zu dem, was aus seiner Sicht an Regulierungen noch da ist. Herr Giegold, ich bedanke mich für das Gespräch!
Giegold: Sehr gerne!
Hier gibt es das Interview zum Nachhören: