Sven Giegold

Grüne Erfolge in der FinTech-Regulierung: Innovation fördern & Verbraucher schützen

Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Interessierte,

es gibt Neuigkeiten für den Verbraucher- und Anlegerschutz bei den digitalen Finanzdienstleistungen! Dass im FinTech-Bereich lückenloser Verbraucherschutz und Innovationsfreundlichkeit kein Widerspruch sein müssen, hat gerade der Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europaparlaments gezeigt. In seiner Positionierung zu den Regeln für Handelssysteme auf Blockchain-Basis hat er Anlegerschutz und Aufsicht deutlich gestärkt und gleichzeitig mehr Raum für innovative Anbieter*innen geschaffen. Dafür hatten wir Grüne uns im Vorfeld stark gemacht. Außerdem hat die europäische Wertpapieraufsicht ESMA eine Einschätzung zum Geschäftsmodell der sogenannten Neobroker vorgelegt, die wir Grüne angeregt hatten. Die neuen Trading-Apps bieten Anleger*innen viele Vorteile, Verbraucherschutz wird jedoch bisher nicht immer groß geschrieben. Die ESMA ruft jetzt die nationalen Aufsichtsbehörden auf, hier viel genauer hinzusehen. Die bewährten Standards beim Verbraucher- und Anlegerschutz müssen auch im Digitalen gelten. So stärken wir Verbraucher*innen und sorgen für fairen Wettbewerb zwischen alten und neuen Anbieter*innen.

Von der Distributed-Ledger-Technologie (DLT), die hinter Bitcoin und anderen Kryptowährungen steht, erhoffen auch wir uns mehr Effizienz beim Handel und der Übertragung von Wertpapieren. Im sogenannten DLT Pilot Regime sollen Firmen genau das für einen Zeitraum von sechs Jahren ausprobieren können. Gut so! Dem Gesetzesentwurf der EU-Kommission fehlte es jedoch an Balance: Zwar gab es restriktive Obergrenzen für die Größe der Handelssysteme, doch die Anforderungen – insbesondere im Hinblick auf den Verbraucherschutz – waren teils vage und wurden den Risiken nicht gerecht. Außerdem sollten 27 nationale Aufseher über die Anwendung des Pilot Regimes wachen. Eine Zersplitterung der aufsichtlichen Standards und teils überforderte Aufsichtsbehörden wäre die unvermeidliche Folge. Aus Erfahrung wissen wir zudem, dass die Mitgliedstaaten laxe Aufsichtspraxis gerne als Instrument der Standortpolitik missbrauchen, um gezielt FinTech-Firmen anzuziehen.

Wir Grünen haben stattdessen vorgeschlagen, die ESMA zum zentralen europäischen Aufseher für das DLT Pilot Regime zu machen. Das sichert eine einheitliche Regelanwendung und macht das Pilot Regime zu einem echten Leuchtturmprojekt der europäischen Kapitalmarktunion. Außerdem haben wir Vorschläge eingebracht, um konsequenten Anlegerschutz und vollständige Haftungsübernahme durch die Anbieter*innen sicherzustellen. Gleichzeitig befürworteten wir eine Öffnung des Pilot Regimes mit höheren Obergrenzen und weiteren Anlageklassen, etwa Staatsanleihen. Der ECON-Ausschuss ist uns in all diesen Punkten gefolgt, so dass gleichzeitig Innovationsfreundlichkeit und Anlegerschutz des DLT Pilot Regimes gestärkt wurden. Eine Aufstellung aller grünen Änderungsanträge findet man hier bzw. hier. Der vorgestern verabschiedete Entwurf kann hier heruntergeladen werden.

Im nächsten Schritt wird es nun darum gehen, mit dem Ministerrat und der EU-Kommission in den Trilog-Verhandlungen einen finalen Kompromiss zu erzielen. Gerade bei der zentralen Rolle der ESMA wird es Gegenwind aus den Mitgliedstaaten geben. Ich werde mich dafür einsetzen, dass die guten Ergebnisse der Parlamentsverhandlungen dabei nicht unter die Räder geraten.

Apropos ESMA: Dass die Behörde im digitalen Finanzwesen auf der Höhe der Zeit ist, hat sie gerade mit ihrer Einschätzung zu den sogenannten Neobrokern bewiesen. Diese bieten Kleinanleger*innen den scheinbar kostenlosen oder zumindest sehr kostengünstigen Handel mit Wertpapieren an, oft in attraktiv gestalteten Apps. Kern ihres Geschäftsmodells sind Rückvergütungen, die sie von Handelsplattformen und Börsen erhalten. Dieses “payment for order flow” genannte Vergütungsmodell steht vor allem seit den Vorgängen rund um die Gamestop-Aktie Anfang des Jahres verstärkt in der Kritik. Denn: Eigentlich sollte ein Broker ausschließlich im besten Interesse seiner Kund*innen agieren und für deren Kauf- oder Verkauforders den besten am Markt verfügbaren Preis suchen. Durch die Provisionszahlungen entstehen jedoch handfeste Interessenskonflikte, weil aus Sicht des Brokers eine Handelsabwicklung über den am besten rückvergütenden Handelsplatz attraktiv wird – was nicht den besten Preis für die Kund*innen liefern muss.

In einer Anhörung zum Fall Gamestop im Februar hatte ich die ESMA darum gebeten, payment for order flow genauer zu untersuchen und zu klären, inwiefern das Modell mit der europäischen Finanzmarktregulierung MiFID II kompatibel ist. Die ESMA hat darauf nun ihren Bericht vorgelegt und kam darin nun zu dem klaren Urteil, dass ein Großteil der Angebote sehr wahrscheinlich gegen die Verbraucherschutzregeln verstößt. Sie hat die nationalen Aufsichtsbehörden – in Deutschland also die BaFin – aufgerufen, zügig die Neobroker vor Ort unter die Lupe nehmen und eventuelle regelwidrige Praktiken zu unterbinden. Im Gamestop-Hearing hatte die EU-Kommission angekündigt, auf Grundlage der ESMA-Einschätzung eine mögliche Änderung der MiFID II vorzuschlagen. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass wir Rückvergütungs- und Provisionsmodellen zum Nachteil der Verbraucher*innen im Finanzbereich endlich effektiv einen Riegel vorschieben.

Übrigens: Gestern hat die EZB beschlossen, das Projekt eines digitalen Euros weiter voranzutreiben. Wir Grüne begrüßen das ausdrücklich, wünschen uns aber einen direkteren Zugang der Bürger*innen Europas zur neuen digitalen Währung ohne künstliche Obergrenzen. Außerdem stehen nach der Sommerpause des Parlaments die Verhandlungen zur großen Krypto-Gesetzgebung der EU an. Bei der Digitalisierung des Finanzwesens gibt es also noch viel zu tun! Ich bleibe dran.

Mit grünen europäischen Grüßen
Sven Giegold

 

———

Entwurf des ECON-Ausschusses zum DLT Pilot Regime vom 13.07.2021:
https://sven-giegold.de/wp-content/uploads/2021/07/20210713_DLT-Pilot-Regime_ECON-after-1st-reading.pdf

Einschätzung der ESMA zu payment for order flow vom 13.07.2021:
https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/esma-warns-firms-and-investors-about-risks-arising-payment-order-flow

Meine Einschätzung zur Gamestop-Anhörung im ECON-Ausschuss am 24.02.2021:
https://sven-giegold.de/neobroker-unter-der-lupe/

———

P.S.: Eil-Petition: EU-Agrarpolitik darf die Klimakrise nicht weiter anheizen, Agrarwende jetzt! – In Brüssel steht in diesen Wochen eine der wichtigsten Entscheidungen für den Klima- und Umweltschutz an: Es geht um die Zukunft der EU-Agrarpolitik. Doch im Rat der Mitgliedsländer blockiert Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Agrarwende für mehr Klima-, Umwelt- und Tierschutz. Helft mit diese Blockade zu beendet und unterzeichnet unsere Eil-Petition hier: www.change.org/agrarwende-jetzt

Rubrik: Europaparlament, Wirtschaft & Währung

Bitte teilen!