Sven Giegold

Für Frieden in Sudan: Jetzt handeln, Hilfe leisten und Druckmittel nutzen – Beschluss des Bundesvorstandes

Nach Jahrzehnten diktatorischer Herrschaft in Sudan brachte eine von Bürgerprotesten getragene Revolution das Regime unter Omar al-Bashir Anfang 2019 zu Fall. Das Land und seine mutige Zivilgesellschaft zeigten auf beeindruckende Weise, was friedlicher Widerstand erreichen kann. Eine bessere Zukunft unter einer von Zivilist*innen geführten Regierung schien zum Greifen nah – bis im April 2023 Krieg zwischen der Sudanesischen Armee (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) ausgebrochen ist. Mehr als zwei Jahre später tobt dieser Krieg unvermindert weiter und hat eine der schwersten humanitären Krisen weltweit ausgelöst. Millionen Menschen sind von Hunger, Gewalt, Vertreibung und dem Zusammenbruch grundlegender Versorgung betroffen. Darüber hinaus gefährdet er den Zusammenhalt ihres Landes als Staat, destabilisiert Nachbarländer und droht erneut Zufluchtsorte für Terrorismus zu schaffen. Menschenrechte und Völkerrecht stehen auf dem Spiel – deren Achtung uns alle vor Gewalt und Willkür schützt und die Grundlage für Verständigung und Kooperation bildet. Wo beides auf so eklatante Weise verletzt wird, können Deutschland und Europa nicht tatenlos bleiben. Doch der politische Druck auf die Kriegsparteien und ihre externen Unterstützer ist bislang unzureichend.

Die Zivilbevölkerung zahlt den höchsten Preis. Rund 30 Millionen Menschen – die Hälfte davon Kinder – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Jede dritte Person in Sudan musste ihr Zuhause verlassen: 10 Millionen sind innerhalb ihres Landes vertrieben. Weitere 4 Millionen Menschen sind in Nachbarländer geflohen, vor allem nach Ägypten, Tschad und Südsudan. 19,2 Millionen Menschen – etwa 40 % der Bevölkerung – sind von akuter Ernährungsunsicherheit (IPC3+) betroffen. In El Fasher und Kadugli wurde eine Hungersnot festgestellt. Insbesondere Frauen und Mädchen sind einem erhöhten Risiko von Vergewaltigungen, sexueller Sklaverei, Menschenhandel und Zwangsheirat ausgesetzt.

Ende Oktober eroberten die RSF nach einer über 500-tägigen Belagerung die Stadt El Fasher in Nord-Darfur. Seitdem verüben RSF-Kämpfer dort Massaker an der Zivilbevölkerung, offensichtlich gezielt gegen Angehörige nicht-arabischer Gruppen. Vieles deutet auf die bislang größte Massentötung während dieses Krieges hin.

Überall dort, wo Hilfsorganisationen wieder sicheren Zugang erhalten und ihre Arbeit machen können, verbessert sich die Lage spürbar – doch die Sicherheitslage und Behinderungen der Konfliktparteien erschweren den Zugang für internationale Organisationen. Belagerung und Abriegelung sowie der Einsatz von Hunger als Waffe gehören zur Kriegsführung beider Lager. Humanitäres Personal und Menschenrechtsverteidiger*innen werden vielerorts selbst Opfer von Gewalt.

Das humanitäre System ist dramatisch unterfinanziert: Der UN-Aufruf für Sudan ist nur zu 28 % finanziert, für die Versorgung der Geflüchteten aus Sudan in den Nachbarländern sogar nur zu 15,5 %. Deutschland gibt in diesem Jahr weniger als die Hälfte der Mittel für Sudan als 2024 – dabei sind die Bedarfe gestiegen. Nur ein Bruchteil der internationalen Hilfsgelder geht an informelle Hilfsnetzwerke wie die Emergency Response Rooms, die auch dort noch arbeiten, wo andere nicht hinkommen.

Die Bundesregierung ist angesichts der dramatischen Lage in Sudan aufgefordert, ihrer humanitären, menschenrechtlichen und außenpolitischen Verantwortung gerecht zu werden. Die Bundesregierung handelt in dieser katastrophalen Notlage bisher nicht mit der notwendigen Konsequenz. Die humanitäre Hilfe bleibt auf unzureichendem Niveau. Diplomatische Initiativen verpuffen – während externe Akteure den Krieg befeuern.

Die RSF werden in erster Linie von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt und auch Länder in der Region wie Tschad, Libyen, Südsudan, Uganda und Kenia leisten ihren Beitrag. Immer wieder dokumentierte Logistikketten zeigen, wie die VAE Waffen, Munition, Treibstoffe, Drohnen und Söldner an die RSF liefern. Internationale Berichterstattung zeigt, dass die Beziehungen zwischen den VAE und den RSF bis zur höchsten Ebene gehen. Ebenso spielt der Handel mit sudanesischem Konfliktgold über die VAE eine zentrale Rolle für die Finanzierung beider Konfliktparteien. Zugleich gibt es Hinweise auf Unterstützung der SAF durch Ägypten, Russland und Iran, sowie der Türkei.

Dennoch fehlt eine entschlossene europäische Sanktionsstrategie, die diese Liefer- und Finanzkettenken sichtbar unterbindet. Während Hunger, Gewalt und Vertreibung täglich zunehmen, fehlt eine klare deutsche Linie zu Waffenembargos, Eindämmung von Finanzflüssen, Sanktionsdurchsetzung, Konfliktgold und Geldwäschebekämpfung.

Die Bundesregierung scheint erneut auf eine Form der Diplomatie zu setzen, die so still ist, dass sie gar nicht mehr gehört wird. Anders ist es nicht zu erklären, dass Serap Güler als Staatsministerin im Auswärtigen Amt in Port Sudan die katastrophale Lage anmahnt und direkt im Anschluss in Abu Dhabi die „Freundschaft“ und strategische Partnerschaft mit den VAE lobt.

Deutschland hat konkrete Ansatzpunkt in Sudan. Die Bundesregierung gehörte zu den wichtigsten Unterstützern des Übergangsprozess zwischen 2019 und 2021, gründete die internationale Unterstützergruppe „Friends of Sudan“ mit, richtete die erste Partnerschaftskonferenz für Sudan aus, und unternahm hochrangige Besuche. Deutsche Organisationen sind seit Jahrzehnten eng mit der sudanesischen Zivilgesellschaft verbunden und unterstützen sie auch im Krieg in der humanitären Hilfe, Menschenrechtsarbeit und politischen Koordination.

In Sudan sehen wir bereits heute die komplexen Wechselwirkungen zwischen der Klimakrise und Konflikten. Steigende Temperaturen, unregelmäßiger Regen, und häufiges Extremwetter wirken sich spürbar auf die Lebensgrundlagen von Menschen aus und verschärfen existierende Unsicherheiten sowie humanitäre Notlagen. Wenn wir Konflikte umfassend verstehen wollen, müssen wir über Waffengewalt hinaus blicken – und die Zusammenhänge politischer, ökologischer und sozialer Veränderungen betrachten.

Die vor zwei Jahrzehnten von der internationalen Gemeinschaft verabschiedete „Responsibility to Protect“ bleibt ein notwendiges, aber bislang unerfülltes Versprechen. Da eine VN-mandatierte Mission unter den gegenwärtigen globalen Rahmenbedingungen kaum realistisch ist, ist es umso dringlicher, alternative Handlungsmöglichkeiten zu nutzen.

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist klar:

  1. Humanitäre Hilfe deutlich aufstocken
    Deutschland muss seine humanitäre Hilfe für den Sudan deutlich aufstocken. Nach dem Rückzug der USA darf sich der zweitgrößte Geber nicht aus der Verantwortung stehlen. Es ist ein Skandal, dass die schwarz-rote Koalition sowohl die Mittel für humanitäre Hilfe insgesamt als auch speziell für den Sudan halbiert. Stattdessen sollte sie die Mittel im Bundeshaushalt erhöhen und eine globale Allianz der Staaten anführen, die Sudan und andere Krisenregionen weiterhin unterstützen wollen. Sowohl internationale Organisationen als auch lokale zivilgesellschaftliche Initiativen sind unerlässlich, um das Leid in Sudan zu lindern und müssen unterstützt werden.
  2. Humanitären Zugang und den Schutz der Zivilbevölkerung sicherstellen
    Deutschland muss sich mit Nachdruck für sicheren, dauerhaften und ungehinderten Zugang für humanitäre Akteure einsetzen – insbesondere in Darfur und belagerten Städten wie El Fasher, Kadugli und Dilling. Die Bundesregierung muss den Vereinten Nationen und den nichtstaatlichen humanitären Akteuren weiterhin den Rücken stärken, sich ohne Einschränkungen im gesamten Land bewegen zu dürfen. Auch ohne Waffenstillstand kann Deutschland sich für einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen und lokale Initiativen unterstützen. Deutschland sollte das humanitäre Resettlement-Programm in Zusammenarbeit mit dem UNHCR wieder aufnehmen, das in der Vergangenheit auch sudanesischen Geflüchteten Schutz geboten hat.
  3. Waffenströme unterbinden und Sanktionspolitik stärken
    Die Bundesregierung sollte die Einhaltung des UN-Waffenembargos für Darfur von allen Unterstützerstaaten der Konfliktparteien einfordern. Zudem sollte es sich für eine Ausweitung des Waffenembargos auf das ganze Land einsetzen. Innerhalb der EU sollte sich die Bundesregierung für einen umfassenderen Sanktionsansatz zu Sudan einsetzen, der Netzwerke in den Unterstützerstaaten ins Visier nimmt. Geschäfte betroffener Unternehmen in der EU sollten verboten werden. Es braucht einen sofortigen Rüstungsexportstopp für die VAE. Notwendig sind außerdem effektive Endverbleibskontrollen von Rüstungsgütern, strikte Überwachung von Sorgfaltspflichten für Goldimporte, enge Koordination mit anderen Sanktionsregimen wie in Großbritannien oder den USA sowie die konsequente Anwendung internationaler Geldwäschestandards der Financial Action Task Force einsetzen. Zu diesen Druckmitteln gehört auch, die Rolle von internationalen Unterstützern der Kriegsparteien klar zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Beispielsweise können die VAE kein strategischer Partner für Deutschland sein und die Verhandlungen zum EU-VAE-Freihandelsabkommen können nicht vorangetrieben werden, solange Abu Dhabi nicht glaubhaft und überprüfbar die militärische Unterstützung der RSF beendet. Gleiches gilt für Unterstützer der SAF. Denn für uns ist klar: Wir stehen an der Seite von Menschenwürde und Recht, nicht an der Seite interessengeleiteter Grausamkeit.
  4. Zivilgesellschaft als Rückgrat eines nachhaltigen politischen Prozesses unterstützen
    Für dauerhaften Frieden braucht es einen umfassenden politischen Prozess, getragen und geführt von der sudanesischen Zivilbevölkerung. Sie ist noch immer eine treibende Kraft für Veränderung – und brauchen dabei unsere Unterstützung. Deutschland und Europa müssen zivilgesellschaftlichen Dialog vor Ort und in der Diaspora aktiv unterstützen, finanzielle Mittel und sichere Räume zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung sollte sich im Rahmen der multilateralen Organisationen außerdem für ein sudanesisches Gremium mit Mitgliedern aller relevanten politischen Kräfte einsetzen, um einen politischen Prozess zu gestalten.
  5. Kritisch-konstruktive Unterstützung internationaler Vermittlung
    Deutschland sollte die nächste hochrangige Konferenz für Sudan im April 2026 in Berlin ausrichten und dabei die sudanesische Zivilgesellschaft aktiv einbinden. Die Konferenz sollte finanzielle Unterstützung für die Bevölkerung Sudans mobilisieren, die diplomatische Koordination auf eine neue Ebene heben und konkrete Impulse für einen politischen Prozess liefern. Die Bundesregierung und ihre Mit-Ausrichter müssen voraussetzen, dass sich teilnehmende Staaten und internationale Organisationen glaubhaft und konstruktiv für ein Ende des Krieges einbringen wollen. Folgenlose Lippenbekenntnisse hat es genug gegeben. Vermittlungsinitiativen Dritter wie der Quad-Initiative der USA, Saudi-Arabiens, Ägyptens und der VAE sollte Deutschland konstruktiv, aber nüchtern unterstützen. Statt Sichtbarkeit und kurzlebiger Erfolge sollte der Fokus darauf liegen, die Gewalt in konkreten Gebieten zu reduzieren. Statt leere Ankündigungen der Konfliktparteien oder ihrer Unterstützer zu begrüßen, sollte Deutschland diese Akteure an ihren Taten messen.
  6. Rechenschaftslosigkeit beenden
    Es darf keine Straflosigkeit für die Gräueltaten geben, die von den Konfliktparteien in Sudan verübt wurden. Der schwierige und weite Weg zur Aussöhnung geht über Rechenschaftspflicht. Deshalb muss Deutschland den IStGH und die UN-Untersuchungskommission für Sudan mit forensischen Kapazitäten, nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, Zeug*innenschutz und politischer Unterstützung ausstatten, um Kriegsverbrechen konsequent zu verfolgen. Bei Konfliktakteuren, die eine Berührung zu Deutschland haben, sollten auch Ermittlungen nach dem Weltrechtsprinzip geprüft werden.